Sehr geehrter Herr Özdemir,

ein kurzer Sprint die Treppe hoch, T-Shit aus dem Karton holen und dann der Satz: „Jetzt ko‘s losgange.“ So haben Sie vergangene Woche in den sozialen Medien Ihre Kandidatur für das Ministerpräsidentenamt verkündet. Am Wochenende folgte ein Bild mit Winfried Kretschmann vor dem Stuttgarter Fußballstadion, natürlich mit VfB-Schal.

Die Botschaft: Der „anatolische Schwabe“, wie Sie sich nennen, er meint es ernst. Also mit der Kandidatur, aber vor allem auch mit dem Schwäbischsein. Doch auf der politischen Württemberg-Autobahn ist es eng.

Gemächlich tuckert auf der Mittelspur der Daimler der Landespolitik vor sich hin, der ewige Kretschmann, bald kommt seine Ausfahrt, bis dahin bleibt sein Sound unverkennbar. Und rechts überholt, CDU-Beschleuniger Manuel Hagel, mit unverkennbar schwäbischem Motor.

Wir Badener haben nicht geglänzt

Jetzt soll es nicht darum gehen, dass man das als Badener kaum noch erträgt. Zwei von neun Ministerpräsidenten durften wir ja stellen. Hans Filbinger und Stefan Mappus (geboren in Pforzheim, allerdings im schwäbischen Mühlacker aufgewachsen) gelten nicht als die tollsten MPs der Geschichte, so ehrlich muss man sein.

Also bezahlen wir unseren Preis: Wir haben uns damit abgefunden, dass alle paar Jahre einige Millionen ins VfB-Stadion gesteckt werden. Dass das Land hunderte Millionen für Tunnels und Tiefbahnhof bezahlt, damit man Stuttgart beim Transit erst gar nicht mehr sehen muss, das ist eh völlig korrekt.

Für Sie bleibt die Frage, wie schwäbisch Sie es treiben wollen. Ob dieser Wahlkampf nach einem Schaffe-schaffe-Häusle-baue-Motto gelebt werden soll, mit der Frage, von welchem der Kandidaten man sich eher einen Bausparvertrag verkaufen lassen würden.

Da sind Sie freilich chancenlos. Manuel Hagel ist das personifizierte Sparbuch, hat tatsächlich eine Banklehre, drei Kinder, ist verheiratet, katholisch, hing gerade mit dem Papst auf dem Petersplatz ab. Der Traum einer jeden schwäbischen Schwiegermutter.

Manuel Hagel beim Papst. Der darf jetzt Hölderlin lesen, Hagel schenkte ihm eine Ausgabe.
Manuel Hagel beim Papst. Der darf jetzt Hölderlin lesen, Hagel schenkte ihm eine Ausgabe. | Bild: CDU-Landtagsfraktion

Sie können trotzdem versuchen, dagegen anzuschwäbeln. Müssen Sie vermutlich auch, weil der Ruf des Bundespolitikers an Ihnen klebt. Dialekt ist der einfachste Weg, volksnah zu wirken. Aber kein Mensch braucht einen heimatduseligen Wahlkampf.

Nur ein kleines Land in Europa

Wir sind nicht Bayern, den meisten Menschen in Baden-Württemberg ist klar, dass wir nicht der Nabel der Welt sind. Schön ist es hier, wunderschön, ja, wirklich. Aber wir sind nur ein kleines Ländchen in Europa. Toll, dass ein MP noch Dialekt spricht, viel wichtiger, dass er fehlerfrei Englisch kann.

Es wird spannend werden, wie Sie den Spagat zwischen nötiger Folklore und Ihrem eigentlich viel weiteren Blick auf die Welt meistern.

Genau diese Zerrissenheit zwischen Heimatliebe und Weltendrang ist das Gefühl des jungen Europas, so viele es haben gefühlt, so wenige gehen darauf ein.

Baden-Württemberg ist kein Bierzelt. Das ist Ihre Chance.