Krisen, Corona-Pandemie, Krieg in Europa, zweistellige Inflationsrate, Rezessionsgefahr und Zukunftsangst: Man könnte meinen, die Menschen hätten andere Sorgen, als sich Gedanken über Freizeit und Urlaub zu machen und dafür viel Geld auszugeben. Doch das Gegenteil ist der Fall – jedenfalls, wenn im Haushalt nicht jeder Euro einzeln umgedreht werden muss.
Die Camping- und Tourismusbranche boomt und die Nachfrage nach Urlaubsreisen auf dem deutschen Markt hat nach zwei durch die Pandemie gedämpften Jahren im Jahr 2022 in vielen Bereichen fast wieder das Niveau des Vor-Corona-Jahrs 2019 erreicht. Und die Aussichten für 2023 sind glänzend.
„Es war 2022 fast wie früher.“Martin Lohmann, Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen
Allerdings sitzt das Geld für den Urlaub nicht bei allen Menschen locker. Wer mit eher wenig Geld auskommen muss, spart verhältnismäßig beim Urlaub am meisten. Das geht aus der Branchenanalyse mit Rück- und Ausblick auf den Tourismus 2022/2023 hervor, die der Wissenschaftler Martin Lohmann von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) zum Auftakt der neuntägigen Urlaubs-Messe CMT in Stuttgart gab. „Es war 2022 fast wie früher“, so Lohmann.
Die Zahl der Urlaubsreisen mit mindestens fünf Tagen Dauer stieg der Analyse zufolge im Jahr 2022 auf rund 63 Millionen. Das seien 13 Prozent mehr als im Vorjahr, aber zwölf Prozent weniger als 2019. Für das laufende Jahr 2023 erwartet Lohmann eine leichte Steigerung auf über 65 Millionen Reisen – 2019 hatte die Zahl noch bei 71 Millionen gelegen.
Zwei Drittel der Deutschen planen für dieses Jahr demnach bereits Urlaubsreisen – und das, obwohl sich die gesellschaftliche Stimmung deutlich eingetrübt hat und mehr Menschen als in den Vorjahren davon ausgehen, im kommenden Jahr wirtschaftlich schlechter dazustehen.
Reisen als Statussymbol
Rund jeder Vierte gab an, dass eine Reise 2023 am Geld scheitern wird – und damit so viele wie nie in den mehr als 50 Jahren der Reiseanalyse. Für 2022 hatte das nur etwa jeder Achte gesagt. Es gebe einen kleinen Teil am unteren Ende der Gesellschaft, für den das Reisen nicht möglich sein werde, so Lohmann. „Für den Tourismus ist das kein großes Problem, weil diese Menschen auch vorher weniger gereist sind. Aber gesellschaftlich ist das schon bedenklich.“
So planten 80 Prozent der Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 4000 Euro sicher mit einem Urlaub. Bei den Konsumprioritäten – wofür jenseits der laufenden Kosten und des täglichen Bedarfs Geld ausgegeben wird – stehen Urlaubsreisen gleich nach Ausgaben für Lebensmitteln auf Platz zwei. Wo dagegen weniger als 2000 Euro monatlich zur Verfügung stehen, plant nicht einmal die Hälfte der Menschen für 2023 einen Urlaub (47 Prozent).
Wie reisen?
Klimakrise, steigende Energiepreise und Nachhaltigkeits-Debatte hin oder her: Hauptreisemittel für die Deutschen in den Urlaub blieben im Jahr 2022 Auto und Wohnmobil (55 Prozent) vor dem Flugzeug (34 Prozent). Mit Bus und Bahn verreisten lediglich acht Prozent der Urlauber.
Unter Baden-Württembergern ist der Trend zu Camping- und Wohnmobilurlaub noch etwas stärker als bundesweit: 59 Prozent waren mit einem Fahrzeug unterwegs, zwölf Prozent (Bundesschnitt: acht Prozent) steuerten Campingziele an. In Hotels oder Gasthöfen übernachteten 44 Prozent der Reisenden (Bundesschnitt: 46 Prozent), 27 Prozent (28 Prozent im Bund) entschieden sich für eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus.
Wohin reisen?
Top-Reiseziel der Deutschen bleibt der Analyse zufolge auch 2023 weiter Deutschland, gefolgt von Spanien, Italien, der Türkei, Österreich, Kroatien und Griechenland.
Messe mit Rekordzahlen
Die Messe Stuttgart schreibt mit der CMT 2023 bereits zu Beginn Rekordzahlen: 120.000 Quadratmeter Messefläche in zehn Hallen sind von 1126 Ausstellern komplett ausgebucht, dazu sind weitere Präsentationsflächen belegt, wie Roland Bleinroth, Geschäftsführer der Messe Stuttgart, vor dem Publikumsstart berichtete.

Allein im Caravan-Bereich wird die Rekordzahl von 181 Marken präsentiert, die 1200 Freizeitfahrzeuge aller Preisklassen und Größen zur Schau stellen, „darunter einige Weltneuheiten“, so Bleinroth. Im Reise-Sektor präsentieren sich 100 Länder, 360 Städte und Regionen mit ihren Angeboten. „Die CMT ist mit einem Schlag wieder da, wo sie vor Corona war“, bilanzierte der Messe-Chef.
Mit den Tochtermessen zu den Themen Fahrrad- und Wanderreisen, Golf- und Wellnessreisen, Kreuzfahrt- und Schiffsreisen sind erneut starke Publikumsmagneten im Zusatzangebot. Neu im Programm: Die „Interdive“, eine Messe für Tauch-Reisen, Tauch- und Schnorchel-Sport, sowie erneut die Gleitschirm- und Drachenmesse „Thermik“. Partnerregionen sind die Bundesgartenschau Mannheim, die Nationalparkregion Schwarzwald und die Landesarbeitsgemeinschaft „Urlaub auf dem Bauernhof in Baden-Württemberg“.
Das große Abenteuer
Partnerland der CMT ist 2023 im dritten Anlauf nach den abgesagten Planungen der Vorjahre die Mongolei. Messe-Chef Bleinroth ist von diesem Partnerland besonders angetan: „Es ist das am wenigsten besiedelte Land der Erde“, Reisende bräuchten eine gehörige Portion Abenteuerlust, würden aber auch reich belohnt durch Landschaft, Kultur und Gastfreundschaft in der Mongolei, schwärmte er.

Das demokratisch regierte Land zwischen China und Russland setze sehr auf Deutschland als Partner – und die CMT biete das Forum, sich vielen Menschen zu präsentieren.
Camping boomt weiter
In den Corona-Jahren haben viele Deutsche Camping, „Van-Life“ und Wohnmobil-Urlaub als letzte Bastion der großen Urlaubsfreiheit entdeckt. Die Folge: Die Nachfrage ging durch die Decke. Von einer „Zeitenwende“ für die Branche sprach daher Ariane Finzel, Geschäftsführerin des Deutschen Caravaning Handels-Verband (DCHV), zum CMT-Auftakt.
Die Auftragsbücher waren voll und die Produktionshallen und Lager der Händler in Folge der Lieferkettenprobleme leer. Die Folge: Die Preise für Neu- und Gebrauchtfahrzeuge zogen deutlich an. Allmählich entspanne sich die Lage, so Finzel, die Lager bei Herstellern und Händlern füllen sich wieder. Die Preise allerdings bleiben hoch.

„Der Boom ist ungebrochen, Camping ist so sexy wie noch nie“, so Finzel. „Es gibt die nächsten Rekordmeldungen, wir steuern auf 40 Millionen Übernachtungen zu, das ist schon eine Marke.“ Allein eine Viertelmillion Campingfahrzeuge seien in den vergangenen drei Jahren in Deutschland neu zugelassen worden – ohne die Lieferkettenprobleme wären es wohl noch mehr gewesen.
Gleichzeitig werfe der Boom aber neue Probleme auf, wie Finzel sagte: Es fehlen Service-Kapazitäten. „Die Leute verlieren die Lust, wenn sie keine Werkstatt finden“. Verschärfend wirke, dass auch die Caravaning-Branche unter Fachkräftemangel leidet. Zumindest mittelfristig soll der neue Ausbildungsberuf Reisemobil- und Caravan-Techniker etwas Abhilfe schaffen, der seit diesem Jahr angeboten wird.
Trend Radtourismus
Deutschland und vor allem Baden-Württemberg sind Top-Urlaubsziele für Radurlauber. „Wir haben Angebote in allen Regionen“, begründet Kathleen Lumma, Landesgeschäftsführerin des Fahrradclubs ADFC, warum immer mehr Menschen Urlaubstage auf dem Fahrrad verbringen. Für jeden Anspruch sei etwas dabei, „mit oder ohne Motor, und das praktisch überall vor der Haustür“.
In Baden-Württemberg sind allein 18 ADFC-zertifizierte Qualitäts-Rradrouten vom Bodensee über den Schwarzwald und Hohenlohe bis ins Taubertal ausgezeichnet. Für den Abschluss des Jahres 2022 erwartet der ADFC mit einer Zahl von fast fünf Millionen Radreisenden pro Jahr annähernd wieder Vor-Pandemie-Zahlen, mit aufsteigendem Trend.
Veranstalter erholen sich
Bei den Reiseveranstaltern lag laut der FUR-Analyse der Umsatz im Touristikjahr 2021/22 zwar noch niedriger als vor der Pandemie (minus 13 Prozent im Vergleich zu 2018/19), aber deutlich höher als im Vorjahr 2020/21 (minus 69 Prozent gegenüber 2018/19). Der Reisebüro-Umsatz lag von Januar bis November 2022 bei plus 151 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (minus 31 Prozent gegenüber 2019).
Auch die Flughäfen verzeichneten mit einem Passagierplus von 127 Prozent eine deutliche Erholung im Vergleich zum Vorjahr (minus 35 Prozent im Vergleich zu 2019). Den größten Zuwachs aber verzeichnen die in der Pandemie weitgehend zum Erliegen gekommene Schiffs- und Kreuzfahrtreisen: Die Buchungen sind 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 200 Prozent gestiegen, liegen aber noch 35 Prozent unter den Zahlen von 2019.