Ralf Homburger sah mit 15 Jahren seine erste Leiche. Tausende werden folgen. Die Passion für den Tod ist geblieben. Heute leitet der Bestatter mit verschmitztem Grinsen in dritter Generation sein Familienunternehmen in Hilzingen. Doch Grund zum Lachen gibt es nicht. Ein Virus frisst sich durch die Bevölkerung. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Und Menschen wie Ralf Homburger versuchen, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten.
Dass dieses Vorhaben eine der größten Herausforderungen seines Berufsstands werden sollte, ahnte Homburger schon, als er die Fernsehbilder aus China Anfang des Jahres sah. „Ich habe meine Kollegen gewarnt, was da auf uns zukommen wird“, erinnert er sich in seiner Kaffeeküche in seinem Betrieb – eine Wand entfernt von gestapelten Holzsärgen. Viele der 230 baden-württembergischen Bestatter, die in der Landesinnung organisiert sind, stempelten Homburgers Appell als viel zu übertreiben ab. „Mittlerweile haben aber alle begriffen, wie ernst die Lage ist.“
Kein Keim stirbt mit
Denn gerade Bestatter leben gefährlich. Kein Keim, kein Bakterium und kein Coronavirus stirbt mit. Die Gefahr sich bei der Leichenschau anzustecken, ist hoch. Beim nachgewiesenen Covid-19-Patienten wird der Leichnam in ein mit Desinfektionsmittel getränktes Tuch eingeschlagen und in eine Leichenhülle gelegt. Der verschlossene Sarg wird mit dem Warnhinweis „infektiös“ gekennzeichnet. Nach zwei Tagen wird beerdigt.
In Deutschland werden im internationalen Vergleich zwar viele Tests durchgeführt, aber „nach unserem Wissenstand sind sie nicht immer genau. Und auch der Abstrich muss gekonnt durchgeführt werden, damit das Ergebnis eindeutig ist“, sagt Homburger. Und: Viele Infizierte sterben, ohne jemals auf das das Virus getestet worden zu sein.
Also einfach immer FFP-3-Maske auf, Schutzanzug an und Leiche desinfizieren? Das wäre sinnvoll, aber unmöglich. Ralf Homburger gehört zu den wenigen Bestattern, die ihren Vorrat an Schutzausrüstung Mitte Februar aufgefüllt haben. „Eine Woche später war der Markt komplett leer gefegt. Es war nichts mehr da“, sagt der dreifache Familienvater.
Jeder fünfte Bestatter hat wenig oder keine Schutzausrüstung
Vor 14 Tagen fragte die baden-württembergische Bestatter-Innung bei ihren Mitgliedern ab, wie viel Schutzausrüstung zur Verfügung steht. Das Ergebnis: Rund 20 Prozent der Bestatter gaben an, dass Masken, Anzüge, Desinfektionsmittel und Handschuhe zur Neige gehen, oder jetzt schon aufgebraucht sind. Das Credo – auch im Hause Homburger: So viel Ausrüstung wie nötig, so wenig wie möglich. „Man weiß ja nicht, wie sich das Ganze entwickelt. Ich glaube zwar nicht, dass uns hier italienische Verhältnisse drohen, aber sicher ausschließen kann man nichts.“
Bei der Landesinnung der Bestatter sorgt deshalb ein Notfallteam für den Ernstfall vor. „Eine Gruppe telefoniert ständig mit Lieferanten und versucht Arbeitsschutz zu kriegen“, sagt Homburger. Vor allem Masken seien jetzt der wichtigste Schutz für sich und seine Mitarbeiter – aber auch am schwierigsten zu beschaffen. Der Bestatter aus Hilzingen appelliert deshalb an die Politik, die Hürden für die lizenzierte Herstellung hierzulande zu senken: „Der bürokratische Aufwand ist – wie so oft – sehr groß. Das muss geändert werden. Nur dann können wir unseren Beruf sicher ausüben – und ihn für die Toten würdevoll gestalten.“
Nur fünf Freunde dürfen bei Beerdigung dabei sein
Für Bestatter ist der Umgang mit Hinterbliebenen in Zeiten von Corona sowieso schon eine enorme Herausforderung. Denn nicht alle Trauernden können nachvollziehen, dass neben der geraden Linie in der Verwandtschaft derzeit nur fünf weitere Trauergäste bei der Beerdigung teilnehmen dürfen – egal ob Freund, Neffe oder Cousin.
Besonders schwer muss es sein, wenn sich der Ehepartner zum Zeitpunkt des Todes nicht verabschieden konnte. Wenn dann die Beerdigung im kleinsten Kreis, bei schlechtem Wetter stattfinden muss, sei das dramatisch. Und diese Fälle gibt es – auch in Hilzingen.
„Es ist enorm wichtig zu sehen, wie die Person im dunklen Erdboden verschwindet“
Für die Trauergemeinde muss der Tod „dinglich erfahrbar sein“. So beschreibt es der Bestatter. Was er meint: Um mit dem Schicksalsschlag fertig zu werden, es zu akzeptieren, dass ein lieb gewordener Mensch tatsächlich diese Welt verlässt, muss man dem Tod ins Auge blicken. „Es hört sich komisch an, aber es ist enorm wichtig zu sehen, wie die Person im dunklen Erdboden verschwindet“, sagt Homburger.
Beerdigung wird aufgezeichnet
Damit das auch die Verwandten und Freunde erleben können, ohne live dabei zu sein, zeichnet Homburger Beerdigungen künftig per Video auf. „Einige Kollegen machen das schon und ich habe nun über Ostern auch eine Kamera bestellt“, sagt er. Der Bestatter aus Hilzingen ist zwar kein Profi, aber er wächst an seinen Aufgaben. „Wenn es den Menschen hilft mit der Trauer besser umzugehen, lohnt sich der Aufwand allemal.“
Corona: Eine Chance für die Gesellschaft?
Und nicht nur in punkto Videoaufzeichnung wirkt Ralf Homburger optimistisch. Der Bestatter betrachtet die Corona-Krise auch als eine Chance die Vergänglichkeit in der Gesellschaft wieder weiter in den Mittelpunkt zu rücken. „Der Tod spielte in den letzten Jahren gar keine Rolle mehr. Und das kriegen wir jetzt zu spüren. Trauer braucht Zeit. Wir müssen lernen, uns diese Zeit zu nehmen. Corona hat den Stein ins Rollen gebracht.“