Herr Fitzenberger, Friedrich Merz sagte nach seiner Wahl zum Bundeskanzler, dass wir alle mehr arbeiten sollen. Ist die Vier-Tage-Woche jetzt tot? Oder der Achtstunden-Tag, wenn die Wochenarbeitszeit zum Richtwert wird?
Die Flexibilisierung der Tagesarbeitszeit zu einer Wochenarbeitszeit – unter Wahrung des Arbeitnehmerschutzes – ist insgesamt sinnvoll. Das schafft sowohl für Beschäftigte als auch für Betriebe Vorteile und kann produktivitätssteigernd wirken. Auch die Bedarfe von Firmen könnten besser abgedeckt werden. Zudem kann das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
Aber wurde der Achtstundentag nicht aus guten Gründen eingeführt?
Zweifellos gab es gute Gründe. Aber die Dinge haben sich verändert. Körperliche Arbeit ist zurückgegangen. Die Zahl der Arbeitsunfälle, die auch auf eine lange Tätigkeit am Tag zurückzuführen waren, hat deutlich abgenommen. Die Arbeitsplätze sind tendenziell immer sicherer geworden. Daher ist eine vorsichtige Flexibilisierung richtig. Ältere sind heute auch deutlich fitter als es in früheren Zeiten der Fall war.

Und die Viertagewoche?
Die kann sinnvoll sein. Die Flexibilisierung der Tagesarbeitszeit kann auch in Vollzeit zur Vier-Tage-Woche führen, wenn es für Betriebe und Beschäftigte passt. Hinzu kommt, wenn jemand vier Tage arbeitet, ist das besser als wenn er nur einen Tag oder gar nicht arbeitet. Ein Beispiel: Eine Mutter von drei Kindern könnte vielleicht vier Tage arbeiten, wenn eine Betreuung sichergestellt wird. Sie könnte vollzeitnah tätig sein und damit vielleicht an ihre Karriere vor der ersten Geburt anschließen. Voraussetzung dafür dürfte sein, dass der Partner auch auf eine Viertagewoche zurückfährt. Beide könnten dann Familie und Berufstätigkeit gut unter einen Hut bringen.
Der industrielle Mittelstand in der Region kämpft mit massiven Problemen, und Jobs stehen auf der Kippe. Wird der Südwesten jetzt von einer Region der Autozulieferer zu einem Dienstleistungsstandort?
Die Öffentlichkeit nimmt vor allem die Ankündigungen eines Beschäftigungsabbaus bei großen Firmen wahr. Aber bei den kleinen und mittleren Betrieben des produzierenden Gewerbes und bei den Zeitarbeitsfirmen wurde in der letzten Zeit schon Beschäftigung in hohem Umfang abgebaut. In Großbetrieben ist die Beschäftigung dagegen bisher noch relativ stabil. Dennoch: Die Transformationskrise in Baden-Württemberg ist da. Die Schwierigkeiten bei den Autozulieferern, bei den metallverarbeitenden Betrieben und in der Chemie-Branche treffen auch den Export. Von dem ist der Südwesten unter den großen Flächenländern in Deutschland am meisten abhängig.

Jetzt gibt es das Modell der „Drehscheibe“, bei dem Firmen Fachkräfte freisetzen und diese in derselben Region anderen Unternehmen zuführen. Eine Chance?
Ja, das wird eine sehr gute Chance sein, wenn Fachkräfte bereit sind zur Weiterbildung, um in den neuen Unternehmen erfolgreich arbeiten zu können. So kann man eine Abwärtsspirale in der eigenen Arbeitsmarktbiografie vermeiden. Das erfordert aber auch Mobilität und den Willen, sich auf etwas Neues einzulassen.
Könnten Rüstungs- und Raumfahrtbetriebe in der Region woanders wegfallende Stellen durch neue Nachfrage kompensieren?
In Gegenden, in denen Fachkräfte aus der Industrie neue Arbeit suchen und entsprechende Arbeitsplätze zu besetzen sind, kann das gut funktionieren. Aber ich bin skeptisch, ob hier alle Entlassenen neue Arbeit finden werden, insbesondere wenn ein Umzug oder längere Pendeldistanzen notwendig sind. Das Ganze hängt auch davon ab, wie viele Milliarden aus dem Sondervermögen für die Verteidigung in Baden-Württemberg ausgegeben werden. Auch die Verteidigungsausgaben anderer Nato-Partner spielen da eine Rolle.

Viele Fachkräfte aus der Boomer-Generation gehen jetzt in den (Vor)Ruhestand. Kann die geplante Aktivrente mit den steuerfreien 2000 Euro Zuverdienst helfen, gute Leute in den Firmen zu halten?
Die Aktivrente ist ein gutes Instrument, um nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze die Anreize für eine Erwerbstätigkeit hochzuhalten. Dies erhöht auch den Anreiz, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu arbeiten und danach – wenn man dazu in der Lage ist und das Geld brauchen kann – dem Betrieb seine Arbeitskraft und Expertise zu erhalten.
So manche Fachkraft fehlt in der Region, weil sie als Grenzgänger in der Schweiz arbeitet. Könnte deren Zahl noch weiter über die derzeit 66.000 steigen?
Das hängt auch von der Schweiz ab, die dies erschweren könnte – so wie sie bei den Einkäufen in Deutschland die Freigrenze gesenkt hat. Das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU ist ja immer anspruchsvoll (lacht), aber ich weise darauf hin, dass die Schweiz das Haupt-Zielland für Auswanderer aus Deutschland ist. Und das Grenzgängertum ist wegen der hohen Löhne in der Schweiz sehr attraktiv.
Hat das Rückwirkungen auf unsere Region?
Neben der steigenden Kaufkraft haben das IAB und Forscher der Uni Zürich einen weiteren Effekt festgestellt. Nachdem 2011 der Franken aufgewertet wurde, stieg zwischen Konstanz und Basel die Zahl der Ausbildungsverhältnisse. Denn mit einer Ausbildung hat man bessere Chancen in der Schweiz. Das ist das eine. Die Betriebe wiederum haben mehr ausgebildet, weil sie die Abwanderung in die Schweiz ausgleichen wollten.