Friedlich sieht sie diese kleine Kirche aus – friedlich und wie neu mit ihrem frischen Dach mit glänzenden roten Ziegeln. Die Ödlandkapelle bei Herrischried gehört im Kapellenland Schwarzwald zu den herausragenden Beispielen. Das gilt nicht nur für die lohnenswerte Aussicht, die man auf Herrischried genießt, weshalb auch der viel belaufende Hotzenwald-Querweg hier vorbeiführt.

Vielmehr ist sie auch ein aktiv genutztes Gotteshaus. Einmal jährlich kommen Gläubige aus dem ganzen Kreis Waldshut und von noch weiter her zum Festgottesdienst. Einst wurde das sakrale Bauwerk gebaut, um für die Verschonung von Rinderpest zu danken. Die Seuche ist längst vorbei, die Dankbarkeit bleibt.

Zu den Menschen, die regelmäßig den Weg zur Ödlandkapelle finden, gehört auch Sandhya Hasswani. Die 37-jährige wohnt mit ihrer Familie im nahen Herrischried. Häufig verlässt sie ihr Haus am Ortsrand und steigt die Waldpfade hoch. Nach etwa zwei Kilometer steht sie auf der akkurat gemähten Wiese, in deren die Mitte die Kapelle wie eine Glucke im Nest thront. „Das ist ein Kraftort“, sagt Hasswani leise, und schaut sich die Kerzen an, die von Wanderern oder Pilgern immer wieder gestiftet und angezündet werden.

Die Schriftstellerin mit deutschen und indischen Wurzeln hat einen engen Bezug zu diesem Ort. Hasswani beschäftigt sich in ihrem Roman „Die letzte Äbtissin“ auch mit der Familie Gäng aus dem Hotzenwald, deren Schicksal hier ihren Ausgang nimmt. Der Familienvater wird verdächtigt, dass er bei den Salpeterern mitmischt.

„Das ist ein Kraftort.“ Die Schriftstellerin Sandhya Hasswani über die Kapelle. Die Salpeterer hat sie in einem Roman beschrieben.
„Das ist ein Kraftort.“ Die Schriftstellerin Sandhya Hasswani über die Kapelle. Die Salpeterer hat sie in einem Roman beschrieben. | Bild: Fricker, Ulrich

Diese Handwerker mit niedrigem sozialen Status waren bei der österreichischen Herrschaft unter Generalverdacht geraten. Immer wieder begehrten die Salpeterer gegen die hohen Steuern und Lasten auf, die ihnen die Vögte und die Vögte des Damenstifts Säckingen auflegten. Zur Rebellion hatten Leute wie die Familie Gäng durchaus guten Grund.

Wer der Aufmüpfigkeit überführt wurde oder die Aufständischen unterstützte, wurde hart bestraft: Der Schuldige oder Verdächtige wurde samt Familie vertrieben. Maria Theresia, sonst als milde Herrscherin in Wien bekannt, kannte bei den Salpeterern kein Pardon.

Sie ließ die Familien aus dem Häusern reißen und unter militärischem Geleit nach Ulm bringen. Dort wurden sie in schmale Holzschiffe verfrachtet und die Donau abwärts verschifft. Unter strenger Bewachung siedelten sich die Familien auf Parzellen an, die ihnen zugewiesen waren. So wurden auch 127 Menschen aus dem Hotzenwald zu Banater Schwaben (heute Rumänien).

Das beschreibt Hasswani und das ist auch wahre Geschichte. Im nahen Herrischried wurden die Familien versammelt, nachdem man sie aus ihren Häusern geholt hatte. Dort erinnert eine Bronzetafel an diese Deportation. Auch an der Ödlandkapelle kam der Zug der 127 Hotzenwälder vorbei, sie war die erste Station auf ihrer Reise ohne Wiederkehr. Im Banat hatten es die Verbannten erst einmal schwer. Sie befanden sich in einer Kategorie mit Landstreichern oder „liederlichen Weibspersonen“, wie es damals hieß; dazu Wilderer, Schmuggler und eben Aufsässige.

Die Wiese vor der Kapelle war damals ein Schauplatz des Jammers – mit alten Leuten, mit kleinen Kindern und teils schwangeren Frauen. Ihre Nachkommen blieben fast 200 Jahre als Donauschwaben oder Banater Schwaben im Banat, bis die Mehrzahl nach 1945 ins deutsche Sprachgebiet zurückwanderte – erneut vertrieben, diesmal von Ungarn und Rumänien.

Der Wandernde steht staunend vor der harmlosen Schönheit der Kapelle, die doch ein wichtiges Kapitel an regionaler Geschichte erzählt. Die Zunft der Salpeterer gibt es nicht mehr, ihr anstrengender und schmutziger Beruf ist ausgestorben. Für das Selbstgefühl dieses Teil des Schwarzwalds jedoch sind sie bis heute stilbildend. Sie stehen für einen unbeugsamen Menschenschlag auf dem Hotzenwald, der sich seit dem Mittelalter überwiegend selbst verwaltete und in Einungen organisiert war. Die Salpeterer wären erstaunt, wenn sie sehen würden, wie ruhig es heute in diesen Ferienorten ist. Und stolz wären sie darauf, dass man sich noch an sie erinnert.