Eine eingeworfene Autoscheibe, die Polizei setzt Tränengas und Schlagstöcke ein gegen wütende Demonstranten – und am Ende muss der Politische Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen abgesagt werden. Biberach zeigt, wie sehr sich der Unmut der Landwirte auf die Grünen konzentriert.
„Wir sind für viele ein Feindbild“, stellt die grüne Landesvorsitzende Lena Schwelling am Tag danach nüchtern fest. Seit dem Jahreswechsel macht sie sich Gedanken darüber, weshalb Bauern, aber auch Handwerker oder Lkw-Fahrer oft mit großer Wut auf die Grünen protestieren.
In Biberach sei es „wirklich speziell“ gewesen, „das habe ich so noch nicht erlebt“, sagt sie beim Telefonat mit dem SÜDKURIER. Ein Gespräch sei schon deshalb nicht möglich gewesen, weil bei der unangemeldeten Demo kein Ansprechpartner bekannt war. Persönlich habe sie sich sehr sicher gefühlt, auch weil sie als Landesvorsitzende eher unbekannt sei.

Schwelling, Jahrgang 1992, fragt sich nicht erst seit Biberach, was dieser Protest mit den Grünen zu tun hat – und was sie anders machen könnten. Sehr selbstkritisch kritisiert sie die Absolutheit, mit der die Grünen ihre Überzeugungen oft vorbrächten. „Nicht jeder, der sich über Zuwanderung Sorgen macht, ist gleich ein Rassist.“
Vor den Kopf stoße die Menschen auch, wenn politische Ziele, zum Beispiel beim Klimaschutz, gar nicht begründet würden. „Wir gelten als Besserwisser, scheinen weit weg von den Nöten der Menschen, auch wenn das gar nicht so ist.“ Und die Grünen wollten immer etwas von den Leuten: „Unsere Veränderungsagenda trifft die Menschen im persönlichen Nahbereich.“ Auch hier, lautet Schwellings Analyse, müsse besser kommuniziert werden.
Die Kritik trifft sie besonders hart
Zwei Grüne, die die Proteste besonders hart treffen, weil sie sich beiden Seiten verbunden fühlen, sind Martin Hahn und Martina Braun. Bauer und Bäuerin – und beide Grünen-Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag.
Martina Braun hat die Wut in Biberach auch hautnah mitbekommen. Die Abgeordnete für den Wahlkreis Villingen-Schwenningen hat sich im Zuge der Bauerndemos im ganzen Land mit Landwirten getroffen. Die Stimmung sei auch da manchmal aufgeheizt. „Aber am Ende war es immer ganz gut“, sagt die Furtwangerin. Man könne den Grünen nicht vorwerfen, sie würden sich wegducken, sagt Braun. Auch „der Cem“, Bundesagrarminister Cem Özdemir, stelle sich den Gesprächen und Vorwürfen.
Für Braun ist klar, dass in Biberach nicht nur Landwirte am eskalierenden Protest beteiligt waren. „Eine Frau hat mich gefragt, ob ich geimpft bin“, schildert Braun. Sie glaubt, dass die Proteste von Wutbürgern unterwandert würden. Aber sie hat auch die zahlreichen Traktoren gesehen.
Braun lebt mit ihrer Familie im Linachtal. 35 Milchkühe haben sie, vor 25 Jahren auf Bio umgestellt; sie haben Legehennen in Freilandhaltung, den Ertrag vermarkten sie teilweise selbst, auch eine Fleischvermarktung haben sie aufgebaut.
Dazu kommen noch 50 Hektar Wald mit schwankenden Erträgen, und die Fotovoltaik bringt noch etwas ein. Als Abgeordnete bleibt ihr nicht mehr viel Zeit für die Landwirtschaft, aber in den Wochen ohne Landtagssitzungen sei sie morgens um 6 Uhr im Stall beim Melken.
Wie geht sie um mit dem Hass, der den Grünen von Seiten der Bauern entgegengeschleudert wird? „Wir sind ja auch Menschen, das prallt nicht an einem ab.“ Zumal in Baden-Württemberg zuletzt viel für die Landwirte getan worden sei.
Braun führt das Erosionsschutzgesetz an, das so verändert worden sei, dass es nun praxistauglich sei. Sie denkt an das Biodiversitätsstärkungsgesetz, an dem gemeinsam mit den Landwirten hart gearbeitet worden sei und das ihnen nütze. Wenn sie davon berichte bei ihren Gesprächen mit den Bauern, dann würden manche wach. In der Agrarpolitik laufe schon längere Zeit einiges schief, schon lange vor Cem Özdemir. „Dass wir Grünen jetzt für alles verantwortlich gemacht werden, sehe ich nicht als gerechtfertigt an.“
Die Rede von der Verbotspartei
Warum gerade die Grünen den ganzen Hass abbekommen, diese Frage stelle sie sich auch. Ein paar Antworten hat sie gefunden: Zum einen sei es das Narrativ von der Verbotspartei, die einem vom Fleischkonsum bis zur Flugreise angeblich Dinge verbieten wolle.
Dann stehe die Partei wie keine andere für das Thema Klimaschutz. „An manchen Stellen haben die Leute Angst, dass sie sich verändern müssen. Die sagen: Jetzt geht‘s mir an den Wohlstand.“ Und die Grünen stünden für den Wandel, der eben auch unpopuläre Maßnahmen nötig mache. Dass der nötig ist, davon ist die 63-Jährige überzeugt, als Bäuerin: „Weil unsere Weiden nicht mehr wachsen im Sommer wegen der Trockenheit.“
Martin Hahn zählt wie Martina Braun zu der seltenen Spezies grüner Politiker, die aus der Landwirtschaft kommen. Oder, wie der 60-Jährige es formuliert, „die noch echten Stallgeruch haben“. Martin Hahn, Landtagsabgeordneter aus Überlingen, hat seine Landwirtschaft 2012 übergeben, aber er lebt weiter auf dem Hof und leidet mit, wenn der Markt für Biogemüse schwächelt.
Auch bei ihm schlagen zwei Herzen in der Brust: Er versteht die Nöte der Bauern und erkennt aber auch die Erfordernisse der Politik. Die Proteste gegen die Abschaffung der Steuervergünstigungen beim Agrardiesel habe er deshalb sehr gut verstanden. „Die Betriebe haben einfach genug“, sagt er.
Das Grundgefühl der Landwirte in den letzten Jahren sei gewesen: Wir kriegen immer mehr drauf an Vorschriften und bei den Einkünften verbessert sich nichts. Die Proteste seien eigentlich gut gelaufen, sie hätten das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Nur einigen sei das wohl zu Kopf gestiegen.
Hahn erfährt persönlich Ablehnung
Den Gegensatz Bauern – Klima- und Umweltschutz sieht Hahn nicht. Er verweist auf die vielen Landwirte, die bei der Energiewende vorne dabei sind. Auch beim Tierwohl sei es überhaupt nicht so, dass Landwirte sich verweigerten. „Sie wollen es halt bezahlt bekommen.“
Warum sich die Bauern offenbar auf die Grünen eingeschossen haben, ist für Hahn „nicht rational zu verstehen“. Er ringe da selber mit Erklärungen. Die, die er bislang anbieten kann, lautet: „Wir stehen nicht erst seit dem Heizungsgesetz für ökologische Veränderung. Das wird vom konservativen Milieu kritisch gesehen.“ Die Folge: „Wir sind jetzt der Boxsack, auf den alle draufhauen.“
Hahn hat im Zuge der Demonstrationen der letzten Zeit erlebt, wie auch er persönlich bestraft wird. Er habe Leute getroffen, mit denen er die Landwirtschaftsschule besucht habe und die ihn nun nicht mehr kennen wollten. „Das ist schwer“, sagt Hahn. Es sei eine harte Zeit. Vor allem, weil er eigentlich vor allem in die Politik gegangen sei, um etwas für die Landwirtschaft zu tun. Wie Braun ist er im Ausschuss für ländlichen Raum. Beim Strategiedialog Landwirtschaft, der seit Herbst 2022 tagt, ist er ebenfalls involviert.
Immerhin eine Hoffnung hat der Überlinger: Dass Biberach das Ende der Proteste einläuten könnte. „Ich glaube, das geht der großen Mehrheit der Bauern gegen den Strich. Die allermeisten Landwirte, die bisher bei den Protesten mitgemacht haben, werden sich deutlich distanzieren und haben damit nichts zu tun.“