Seit Wochen halten die Bauernproteste Deutschland in Atem. Besonders die Art und Weise der Proteste kommt nicht bei jedem gut an. SÜDKURIER-Leser Christof Beck hat aus diesem Grund eine Pauschalkritik an den Bauern und ihrem Aufstand formuliert und als Leserbrief eingesendet. Landwirt Philipp Hofacker reagierte auf diesen Leserbrief in der Zeitung, verteidigte die Proteste – und bot Beck ein Gespräch an. Denn, so Hofacker in seinem Leserbrief, „Demokratie lebt vom konstruktiven Diskurs“.
Die Proteste an der Fähre von Habeck waren der Auslöser
Gesagt, getan. Der SÜDKURIER vermittelte die beiden miteinander, so kam es schließlich zum Austausch im Wohnzimmer von Philipp Hofacker, auf seinem Hof in Bräunlingen. Hofacker führt einen Milchviehbetrieb mit 66 Kühen, sein Betrieb hat das Bio-Siegel Demeter und erfüllt damit hohe Anforderungen bei Erzeugung und Vermarktung seiner Produkte.
Er war sowohl bei den Bauernprotesten in Berlin, als auch im Schwarzwald-Baar-Kreis. Er will zuerst von Beck wissen, was ihn dazu bewogen hat, den Leserbrief zu schreiben.
Christof Beck ist im öffentlichen Dienst beschäftigt, bezeichnet sich als selbst als Laie beim Thema Landwirtschaft. Er kommt aber vorbereitet, vier Seiten an Notizen hat er mitgebracht. Er eröffnet die Diskussion: „Der Protest hat eine politische Ebene bekommen, die mehr ist, als Politik- und Regierungsverdrossenheit – nämlich Staatsfeindlichkeit“.
Trotzdem hätten erst die Szenen, als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von wütenden Demonstranten am Verlassen einer Fähre gehindert wurde, für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht: „Wenn gewählte Regierungsmitglieder im privaten Raum angegriffen werden, dann das hat schon eine neue Dimension von Protest für mich, die ich so nur aus der rechten Szene kenne“.

Philipp Hofacker kann ihm da nicht ganz zustimmen. Er hat sich alle verfügbaren Aufnahmen von der Fähre angeschaut. Seiner Meinung nach wurde die Situation falsch dargestellt, Habecks Sicherheit sei nie in Gefahr gewesen, der Grünen-Politiker hätte an Land gehen können. Und überhaupt sei der Aufruf nicht von einem Bauernverband, sondern von Privatpersonen gekommen. Außerdem seien die Proteste immer nur gegen die Regierung, nie gegen die Demokratie oder den Staat als Ganzes gerichtet.
In der Beurteilung der Geschehnisse an der Fähre haben Hofacker und Beck also eine sehr unterschiedliche Sichtweise. Hofackers Frau Melanie Lengowski, promovierte Agrarwissenschaftlerin, sitzt auch mit am Tisch.
Sie wirft ein, dass diese Aktion nur einen sehr kleinen Teil der ansonsten überwiegend friedlichen Bauernproteste ausmache. Da kann Beck zustimmen, ist aber weiterhin der Meinung, dass eine solche Protestform in einer zivilen Gesellschaft nichts verloren hat.
Zu viel Agrarfläche für Tierfutter?
Nun geht es ans Inhaltliche. Beck hatte in seinem Brief kritisiert, dass 60 Prozent der Agrarfläche für Tierfutter verwendet wird, also nicht einmal die Hälfte für Lebensmittel für den Menschen genutzt wird. Hofacker erklärt Beck, dass durch die Tierhaltung überhaupt erst Grünland, also eine Wiese oder Weide, für den Menschen nutzbar gemacht wird.
Für das Demeter-Siegel ist so eine Kreislaufwirtschaft verpflichtend. Das bedeutet, dass die Tiere auf der Wiese des Hofs fressen und gleichzeitig den natürlichen Dünger für die Wiese liefern. Christof Beck versteht das – er hatte das Thema hauptsächlich angesprochen, um bewusst plakativ die angebliche Sonderstellung der Deutschen Landwirtschaft als Ernährer des Volkes zu relativieren.
Oder wie er es ausdrückt: „Wenn man mit dem König auf Augenhöhe reden will, muss man ihn vom Thron ziehen“. Auf Augenhöhe ist das Gespräch an diesem Nachmittag zu jeder Zeit, man lässt sich gegenseitig ausreden, nie geht es unter die Gürtellinie.
Globalisierung schadet der Landwirtschaft
Das zeigt sich auch beim Thema Selbstversorgung: „Die Landwirtschaft ist viel zu globalisiert“, stimmen beide überein. Das komme aber auch vom Konsumverhalten der Deutschen, wie Hofacker erklärt. Seine Frau Melanie Lengowski pflichtet ihm bei: „Der Konsument in Deutschland will nur ganz bestimmte Teile vom Fleisch, wie Filet- oder Schenkelstücke.“
Da Deutschland aber nicht genügend dieser sogenannten Edelteile vom Fleisch produziere, müssten sie importiert werden. Das sorge dafür, dass der Lebensmittelstandard sinke, so Hofacker, denn „die deutschen Produktionsstandards sind weltweit die höchsten“.
Was gleichzeitig einen massiven Wettbewerbsnachteil für deutsche Landwirte bedeute, denn die strengen Regularien hätten ihren Preis. Hofacker führt ein Beispiel aus dem Bereich Tierschutz an: „In anderen Ländern werden männliche Kälber nach der Geburt einfach getötet, da es mehr Geld kostet sie aufzuziehen, als dass sie wirtschaftlichen Nutzen haben – in Deutschland ist das schon seit Jahren verboten.“
Alle sind sich einig, dass das keine wünschenswerten Zustände für Deutschland seien, aber es schwierig sei, konkurrenzfähig zu bleiben, wenn Länder mit viel lascheren Standards nach Deutschland importieren.
Beck fordert deswegen, hier müsse der Staat regulierend eingreifen. Hofacker stimmt zu: „Eigentlich bräuchte es einen Importstopp für jedes Fleisch, das unseren Anforderungen nicht entspricht.“
Wie umweltschädlich ist die Landwirtschaft?
Ein weiterer Kritikpunkt von Christof Beck: Über den Dünger lande zu viel Nitrat im Grundwasser, mancherorts sind Grenzwerte erreicht. Philipp Hofacker entgegnet, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen EU-Ländern die Höchstwerte melde, weswegen die deutschen Nitratwerte im europäischen Vergleich so schlecht abschneiden würden.
Er müsse sowieso immer eine genaue Düngebedarfsrechnung machen, bevor er Dünger einsetze. Lengowski stimmt ihrem Mann zu: „In Deutschland haben wir einen sehr hohen Standard, die Gesundheitsgefahr, die von Dünger ausgeht, ist sehr gering.“ Ihre Meinung wird untermauert von einem Urteil der EU-Kommission, die im Juni 2023 ein Vertragsverletzungsgefahren gegen Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte eingestellt hat. Beck ist mit dieser Erklärung zufrieden, also flott weiter zum nächsten Thema.
Christof Beck liegt, unabhängig von den Bauernprotesten, der Klimaschutz sehr am Herzen. In seinem Leserbrief wünscht er sich, dass die Bauern aufhören, „zu protestieren wegen ein paar Euros zusätzlicher Dieselsubvention“. Hier ist Philipp Hofacker ganz anderer Meinung: Eigentlich sei der Anteil, den die Bauern bis jetzt zurückbekommen noch zu gering, sie würden die Straße doch sowieso kaum nutzen.
Beck erklärt sich, ihm sei es gar nicht so sehr um die Bauern gegangen, sondern generell darum, dass „der globale Süden und unsere Kinder und Enkelkinder für unsere Klimaschäden zahlen“. Beck rechnet vor: Ein Kilo Rindfleisch koste 80 Euro, der Verbraucher zahle aber nur 30 Euro.
Hofacker erwidert, dass das nur stimme, „wenn das Rind aus einem Turbo-Mastbetrieb in Argentinien stammt“. Stamme es aber aus einer Kreislaufwirtschaft, entstehe kein zusätzlicher CO2-Ausstoß. Das allerdings ist bei den wenigsten Betrieben der Fall. Melanie Lengowski sieht generell sehr viel Einsparungspotential außerhalb der Landwirtschaft, die den Diesel zum Produzieren von Lebensmitteln benötigt.

Einigkeit über die Beurteilung der Form der Proteste ist nicht notwendig
Volle drei Stunden diskutieren die drei. Inhaltlich können Christof Beck, seine Frau Melanie Lengowski und Philipp Hofacker also in vielen Punkten übereinstimmen. Beck sagt, er habe viel dazu gelernt an diesem Nachmittag. Bei der Ansicht über die Art und Weise der Proteste kommen sie zwar nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner – „müssen wir aber auch nicht“, wie sich alle dann aber doch wieder lachend einig sind.
Denn der Großteil der Diskussionen handelt davon, wie es denn weitergehen soll mit der Landwirtschaft. So ist zumindest auf dem Hof von Philipp Hofacker in Bräunlingen heute ein Stück weit geschehen, was Christof Beck sich in seinem Leserbrief gewünscht hat: „Wenn Ihr aufhört, unsere Rechtsordnung, unsere gewählten Vertreter und unsere Demokratie pauschal anzugreifen, würde ich aufhören, Euch pauschal anzugreifen, und wir könnten alle miteinander reden, wie wir uns eine Welt mit Landwirtschaft eigentlich wünschen würden.“