Herr Brettschneider, wir haben jetzt noch ein gutes Dreivierteljahr bis zur Landtagswahl. Laut den Umfragen liegt das größte Wählerpotenzial bei der CDU. Wie viel Bewegung steckt noch in diesen Werten?
Frank Brettschneider: Da kann sich noch viel bewegen. Das hat vor allem zwei Gründe. Der erste Faktor ist die Bundespolitik. Wenn die Bundesregierung aus Sicht der Bevölkerung eine gute Arbeit macht, profitiert davon die CDU in Baden-Württemberg.
Macht sie das nicht, dann profitieren davon die Grünen und die AfD. Welche Arbeit sie macht, ist recht unvorhersehbar, wir wissen einfach nicht, was noch passiert.
Der zweite große Einflussfaktor ist entscheidend. Das ist die Frage, wie die Themenkonjunktur zum Zeitpunkt der Wahl aussieht. Die Umfrage zeigt sehr schön, dass Manuel Hagel einen deutlichen Vorsprung bei Wirtschaft, bei Modernität und Fortschrittlichkeit hat. Wenn es dabei bleibt, dass Umwelt- und Klimaschutz nachrangig sind, dann können die Grünen nicht gewinnen.
Wie sehr kann Cem Özdemir auf die Füße fallen, dass er Mitglied der gescheiterten Ampelregierung war?
Brettschneider: Ich glaube, das wird gar nicht so sehr in die Waagschale fallen. Was ihm eher gefährlich werden kann, ist die politische Erfahrung. Sie wird ihm zugeschrieben, sehr viel mehr als Hagel. Diese Erfahrung hat Özdemir aber auf Bundesebene.
Er muss aufpassen, dass er nicht als Polit-Promi-Import aus Berlin wahrgenommen wird. Mit großer Verbundenheit zu Baden-Württemberg haben ihn die meisten Wähler in der Vergangenheit nicht assoziiert. Das versucht er wettzumachen, indem er mit großer Auffälligkeit schwäbelt, wenn er im Land ist. Aber das allein reicht nicht. Die landespolitische Verwurzelung nimmt man Hagel sofort ab – Özdemir nicht und das könnte ein Problem werden.

Die meisten Befragten sind relativ zufrieden mit Winfried Kretschmann. Welchen Einfluss hat das auf den Erfolg von Cem Özdemir?
Brettschneider: Der Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg ist der Erfolg Winfried Kretschmanns. Deswegen wird sich Cem Özdemir so oft es geht an der Seite von Winfried Kretschmann zeigen, damit dessen Glanz ein wenig abfärbt. Umgekehrt versucht Manuel Hagel, nicht die Sorge zu befeuern, dass er jetzt etwas ganz anders machen will als der beliebte Winfried Kretschmann.

Manuel Hagel ist den Menschen im Land offenbar weitgehend unbekannt. Trotzdem hat die CDU die besten Umfragewerte. Wie passt das zusammen?
Brettschneider: Das ist kein Problem für Manuel Hagel und die CDU. Menschen bewerten Parteien und Kandidaten. Wenn die Kandidaten unbekannt sind, dann treffen Wähler ihre Wahlentscheidung stärker auf der Basis ihrer Bewertung von Parteien.
Bei der aktuellen Sonntagsfrage beantworten viele Wähler die Frage vor dem Hintergrund ihrer Bewertung der CDU. Das heißt aber nicht, dass es am Wahltag auch so ist. Bis dahin hängen Tausende Plakate, die Aufmerksamkeit in der Medienberichterstattung wird größer.
Dann konzentriert sich vieles auf die Spitzenkandidaten. Damit wird die Bekanntheit von Manuel Hagel automatisch größer. Cem Özdemir hingegen kann gar nicht mehr viel bekannter werden.
Also muss sich die CDU keine Strategie zurechtlegen, um ihren Kandidaten bekannter zu machen. Das passiert automatisch?
Brettschneider: Genau. Die CDU darf nicht nervös werden und denken, sie müsste bei jeder Gelegenheit über Manuel Hagel reden. Er hatte zunächst eine sehr wichtige Funktion nach innen: die Partei zu einen. Das ist ihm meines Erachtens sehr gut gelungen.
Jetzt hat er eine andere Aufgabe, die über die eigenen Reihen hinaus geht. Mit seiner anstehenden Sommertour ist er dann vor Ort präsent. Je näher der Wahltermin rückt, desto bekannter wird Manuel Hagel werden.
Bei Wirtschaftsthemen schreiben die Befragten Cem Özdemir nicht viele Kompetenzen zu. Kann die Taktik der Grünen noch aufgehen, auf die Bekanntheit ihres Kandidaten zu setzen?
Brettschneider: Das ist wirklich eine schwierige Frage. Cem Özdemir muss sehr viel stärker daran arbeiten, dass Menschen in Baden-Württemberg eine Verbindung zwischen Wirtschaftskompetenz und Umweltkompetenz wahrnehmen.
Es ist Winfried Kretschmann in der Vergangenheit ziemlich gut gelungen, das deutlich zu machen: Ökonomie und Ökologie sind kein Gegensatz. Wenn man in Umwelt und Klimaschutz investiert, dann werden auch neue Technologien entwickelt. Dann hat man Vorteile auf dem Weltmarkt und so weiter.
Kretschmann hat es gut verstanden, das zu transportieren. Cem Özdemir ist eine Dublette von Winfried Kretschmann, was die inhaltlichen Positionen betrifft, aber nicht, was die Wahrnehmung in der Bevölkerung betrifft. Er muss im Wahlkampf diese Verbindung zwischen Klimaschutz und wirtschaftlicher Leistungskraft glaubhaft deutlich zu machen.
Das heißt, es muss keine inhaltliche Neuausrichtung der Grünen stattfinden, obwohl der Umweltschutz, eines der Kernthemen der Grünen, als eher unwichtig betrachtet wird?
Brettschneider: Bloß kein anderes Thema wählen! Das war schon bei der Bundestagswahl ein Kardinalfehler der Grünen, den ich nie verstanden habe. Eigentlich hätten sie plakatieren müssen: „Auch wenn es nervt, uns ist Klimaschutz trotzdem wichtig.“ Das ist nun mal ihr Kernkompetenzthema.
Die Landtagswahl können die Grünen nur gewinnen, wenn dieses Thema von einem großen Teil der Bevölkerung als relevant angesehen wird. Die Grünen sollten nicht auch noch ihren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen über andere Themen reden. Jetzt auf einmal von innerer Sicherheit oder Sozialpolitik zu sprechen, Bereiche, die anderen Parteien zugeschrieben werden, ist nicht richtig.
Wenn es gelingt, den Umweltschutz mit dem Wirtschaftsaspekt zu verbinden, dann könnte das eine vielversprechende Strategie sein.