Schüler und Lehrer haben es in der Pandemie ohnehin schon schwer genug. Doch manche Täter wollen den Online-Unterricht an Schulen in ganz Baden-Württemberg auch ganz gezielt stören. Die Täter gehen immer ähnlich vor. Sie vermummen ihr Gesicht, verschaffen sich Zugang zum Online-Unterricht und spielen dann pornografische oder rechtsradikale Inhalte ein.
Mehrere Fälle in Baden-Württemberg wurden in den letzten Wochen bekannt, die Region schien jedoch noch verschont worden zu sein. Doch was bisher nicht bekannt war: Wie der SÜDKURIER von der Polizei auf Nachfrage erfuhr, war eine Schule in Tuttlingen am 12. Januar 2021 und eine Schule in Schwenningen bereits am 21. April 2020 betroffen.
Im Tuttlinger Fall hatte sich ein Unbekannter „in den Online-Unterricht einer Klasse mit Minderjährigen eingewählt und ein pornografisches Video eingespeist“, sagt Polizeisprecher Uwe Vincon. Die Sicherheitsbeamten ermitteln nun wegen Verbreitung pornografischer Schriften an Personen unter 18 Jahren.
In Schwenningen hatte eine jugendliche Schülerin den Zugangslink ihrem Freund geschickt. Der stellte daraufhin ebenfalls pornografische Inhalte in den Unterricht ein.
Warum erfährt die Öffentlichkeit nichts von den Vorfällen?
Die ermittelnden Polizisten entschieden offenbar bewusst, nicht die Öffentlichkeit zu suchen. Ihre Begründung: Die Persönlichkeitsrechte der Schüler wiegen sehr hoch und müssen gewahrt bleiben.
„Ich habe nach Ihrer Anfrage recherchiert und war selbst erstaunt, dass es diese Fälle bei uns gab“, sagt Vincon. Er habe bis dahin von den Fällen keine Kenntnis gehabt. Welche Schulen in Tuttlingen und Schwenningen konkret von den Ereignissen betroffen waren, will Vincon nicht sagen.
Regierungspräsidium und Schulamt wollen nichts gewusst haben
Merkwürdig ist, dass das Regierungspräsidium Freiburg von den Vorfällen in Tuttlingen und Schwenningen keine Kenntnis hatte – das beteuert zumindest die Sprecherin Heike Spannagel. Und sogar das für Tuttlingen zuständige Konstanzer Schulamt will laut Schulamtsleiter Gerhard Schlosser nichts gewusst haben.
So ermittelt die Polizei gegen Täter
Fakt ist: Um die beiden Taten kümmern sich Experten für Computerkriminalität in den jeweiligen Polizeirevieren. Sie gehen in der Regel folgendermaßen vor: Zunächst werden Zeugen ermittelt und dann die Technik geprüft. „Solche Täter hinterlassen oft digitale Spuren. Sofern natürlich fahrlässig oder sorglos mit Zugangsdaten umgegangen wird, bringt das natürlich alles nichts“, beschreibt Vincon. Computer würden nur dann sichergestellt und eingezogen, wenn sie als Tatmittel in Frage kommen.

Die Aussicht auf Erfolg, den oder die Täter zu fassen, hängt vom Einzelfall ab. Wenn jemand seine Zugangsdaten in einer WhatsApp-Gruppe postet oder anderen weitergibt, dann wird es für die Polizei schwer, den eigentlichen Täter zu finden. „Ansonsten zeichnen Server oder Router oft die Verbindungsdaten der angeschlossenen Computer auf, mit denen Wege nachvollzogen werden können“, erklärt Vincon.
Das baden-württembergische Kultusministerium verurteilt Aktionen dieser Art auf Schärfste. Bislang seien dem Ministerium nur zwei Vorfälle im ganzen Land bekannt – wobei die öffentlich bekannte Zahl durch die Fälle in der Region bei mindestens vier liegt. Bei den zwei dem Ministerium bekannten Fällen sei eine Rückverfolgung möglich gewesen, so ein Sprecher.
„Beleidigungen, Pornografie oder extremistische Aussagen haben auf Lernplattformen von Schulen nichts verloren“
„Beleidigungen, Pornografie oder extremistische Aussagen haben auf Lernplattformen, in Chats oder in Videokonferenzen von Schulen nichts verloren“, sagt Ministerialsprecher Benedikt Reinhard.
Kommen solche Fälle vor, würden sie konsequent aufgearbeitet und auch mit strafrechtlichen Instrumenten verfolgt. Das veranlassen entweder die Schulen selbst oder das Kultusministerium wird aktiv.
Schulen bekommen Unterstützung durch Psychologen
In jedem Fall werde den Schulen bei Bedarf Unterstützung angeboten. Sie reichen von einer Beratung zu rechtlichen Fragen bis hin zu speziellen Präventionsmaßnahmen. Beratungslehrer können tätig werden oder die Schule greift auf schulpsychologische Beratungsstellen zurück.
Moodle laut Kultusministerium „relativ gut abgesichert“
Moodle mit dem Videokonferenzsystem „Big Blue Button“ ist laut Reinhard gegen Missbräuche „relativ gut abgesichert“. Man könne „Big Blue Button“ nur nutzen, wenn eine Anmeldung über Moodle stattfand. Dieser Account werde ausschließlich von der Schule vergeben. „Dadurch ist ein Account eindeutig zugeordnet und ein Vorfall kann einem Schüler zugeordnet werden“, so Reinhard.
Schulen verwenden zum Teil aber auch andere, kommerzielle Lösungen. Das Ministerium habe ihnen wegen der Pandemie „weitreichende Handlungsspielräume eröffnet.“, so Reinhard. „Allerdings sollte vor der Verwendung eines Tools eine gründliche Auseinandersetzung mit dessen Fähigkeiten und Limitierungen und auch mit dessen Sicherheit stattfinden.“
Schusswaffe in die Kamera gehalten
Auch in Hessen, Bayern, Heidelberg und Mannheim kam es zu ähnlichen Szenen. Im Fall Mannheim etwa bemerkte die Lehrerin kurz nach Beginn des Unterrichts, dass sich deutlich mehr Schüler eingewählt hatten. Als sie die Namensliste überprüfte, hat eine männliche Person sie mit sexistischen Sprüchen beleidigt und eine Schusswaffe gezeigt. Die Lehrerin beendete daraufhin sofort den Unterricht.
Es droht Haft von bis zu drei Jahren
In Augsburg schaut die Staatsanwaltschaft ganz genau hin und geht entschieden vor. Bei einem 21-Jährigen durchsuchten Sicherheitsbeamte am Donnerstag die Wohnung. Der Mann hatte nach den bisherigen Ermittlungen den Online-Unterricht einer Mittelschule im Unterallgäu gestört und ein Video davon anschließend auf YouTube veröffentlicht. Gegen ihn wird wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in mehreren Fällen ermittelt. Dem Verdächtigen drohten eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Ähnlich wie in Schwenningen soll der Verdächtige die Zugangsdaten von einem 14-jährigen Neuntklässler erhalten haben. Gegen den Schüler läuft ein Verfahren wegen Beihilfe.