„Ich ärgere mich, wenn gesagt wird, dass die Kitas geschlossen sind.“ Ines Riedl ist ihre Wut anzumerken. „Keine Kita ist geschlossen“, sagt die 54-Jährige, die den Kreuzkindergarten in Konstanz leitet. Für alle Eltern, die es benötigen, wird eine Notbetreuung angeboten.

Doch der Begriff Notbetreuung trifft es im Kreuzkindergarten nicht mehr. „Wenn man ehrlich wäre, müsste man es einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen nennen“, sagt die Erzieherin. Von den 40 Kindern der beiden Kindergartengruppen kommen 32 wieder regelmäßig in die Betreuung. Eine Auslastung von 80 Prozent. Bei den unter Dreijährigen im Krippenbereich sind es sieben von sonst zehn Kindern.

Foto am Fenster: Ines Riedl leitet den Kreuzkindergarten und stößt mit ihrem Team an die Belastungsgrenze.
Foto am Fenster: Ines Riedl leitet den Kreuzkindergarten und stößt mit ihrem Team an die Belastungsgrenze. | Bild: Kipping, Julia

Betreuungsquote liegt zwischen 25 und 50 Prozent

Eine Besetzung nahe des Regelbetriebs scheint keine Ausnahme zu sein. Viele Eltern stehen als Arbeitnehmer auch in der Pflicht ihrem Arbeitgeber gegenüber. „Wir haben mehrere Meldungen von Einrichtungen erhalten, dass Dreiviertel der Kinder wieder zur Betreuung da sind“, berichtet Jens Linek, Pressereferent des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Das Kultusministerium teilt dazu mit, dass die Betreuungsquote im Land zwischen 25 und 50 Prozent läge. Das habe eine Umfrage unter den Trägerverbänden in der vergangenen Woche ergeben. „In Einzelfällen liegt die Zahl auch deutlich darüber“, heißt es aus dem Ministerium.

Das könnte Sie auch interessieren

Außerdem werde die Notbetreuung in den Städten mehr als im ländlichen Raum in Anspruch genommen, sodass die Situation regional unterschiedlich sei. Das Kultusministerium verzeichnet eine steigende Nachfrage nach der Notbetreuung. Das zeige, dass die Situation Familien extrem belaste und diese nun an ihre Grenzen stoßen.

Viele Kinder da: An dem Wagen hängen die Rucksäcke mit dem Vesper der Kinder.
Viele Kinder da: An dem Wagen hängen die Rucksäcke mit dem Vesper der Kinder. | Bild: Kipping, Julia

Erzieherinnen arbeiten am Limit

Auch Ines Riedl und ihre zehn Mitarbeiterinnen sind an der Belastungsgrenze. Denn die Corona-Pandemie bedeutet im Kindergarten neben den vollen Gruppen auch regelmäßige Desinfektion von Türklinken, Spielzeugen, Tischen und Böden. Dazu kommt gründliches Händewaschen mit den Kindern und eine ausführliche Dokumentation in Listenform: Reinigungslisten, Essenslisten, Betreuungslisten. Der Bedarf an der Betreuung und am Essensangebot ändert sich täglich. Anders als sonst bringen die Eltern ihre Kinder nur für den Zeitraum, in dem sie die Betreuung wirklich benötigen.

Auch gibt es nur noch ein beschränktes Raumangebot, da sich die Gruppen nicht mehr durchmischen dürfen. Ein Aushelfen bei der Kollegin in der anderen Gruppe fällt damit auch weg. Sie versuche alles, um ihre Mitarbeiter vor einer Corona-Infektion zu schützen. Dazu gehört, dass der Träger, die evangelische Kirche, für das Personal FFP2-Masken stellt. Außerhalb des Gruppenraumes ist das jetzt für die Erzieherinnen Pflicht.

Maske auf und Abstand halten: Schon vor dem Kindergarten werden Besucher auf die Hygienevorschriften hingewiesen.
Maske auf und Abstand halten: Schon vor dem Kindergarten werden Besucher auf die Hygienevorschriften hingewiesen. | Bild: Kipping, Julia

Im Gruppenraum sieht es anders aus: „Wir arbeiten in den Gruppen ohne Maske. Alles andere ist unmöglich“, sagt Ines Riedl. Sie beobachtet ohnehin schon ein verändertes Verhalten bei den Kindern. Es sei alles viel geregelter geworden, die kindliche Spontanität wird weniger. Abstandsregeln erlauben kein In-den-Arm-Springen. „Das dreht mir das Herz um.“

Wann ist ein Arbeitnehmer unabkömmlich?

Was fehlt ist ein Konzept, das allen Sicherheit gibt. Allen Beteiligten – den Erzieherinnen, den Kindern und den Eltern als Arbeitnehmer und Verantwortliche für ihre Familie. So steht der Zugang zur Notbetreuung derzeit allen Elternpaaren zur Verfügung, bei denen beide arbeiten und vonseiten des Arbeitgebers als „unabkömmlich“ gelten. Das ermöglicht es vielen Eltern, ihre Kinder weiterhin in die Kita zu bringen.

Das könnte Sie auch interessieren

Walter Beyer, stellvertretender Vorsitzender des VBE, findet deutliche Worte für die jetzige Situation: „Das ist eine Öffnung der Kitas durch die Hintertür. Ich habe das Gefühl, dass es keinen Arbeitgeber gibt, der die Unabkömmlichkeit nicht bescheinigt.“ So mache der Lockdown wenig Sinn. Sein Verband setze sich deswegen für eine langfristige Lösung ein, damit die Kinder weiter betreut werden können. Es müsse mehr getan werden, um die Erzieherinnen zu schützen, fordert Beyer und verweist auf eine Studie der AOK, nach der Erzieherin als die Berufsgruppe gilt, die sich am häufigsten mit Corona infiziert.

Stop: Ein großes Warnschild verbietet das eintreten in den Kindergarten ohne Anmeldung. Eltern geben ihre Kinder an der Tür ab.
Stop: Ein großes Warnschild verbietet das eintreten in den Kindergarten ohne Anmeldung. Eltern geben ihre Kinder an der Tür ab. | Bild: Kipping, Julia

Infektionsschutz gegen Kindeswohl

An der Notbetreuung zeigt sich ein ungelöster Konflikt für alle Betroffenen: Die Familien sind wegen des Jobs auf die Betreuung angewiesen, aber die vollen Kindergartengruppen lassen die Kontakte in die Höhe schnellen. Das untergräbt die Bemühungen zur Reduzierung der Kontakte. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Kinder zuhause bleiben könnten“, sagt Ines Riedl mit Blick auf den Infektionsschutz.

Das könnte Sie auch interessieren

Aber da gibt es auch die andere Seite: „Ich glaube erst einmal jedem Elternteil, das mir sagt, dass es die Betreuung braucht.“ Für einige Eltern werde es finanziell einfach knapp. Die Belastung der Familien ist hoch und Kinder bräuchten auch die Kontakte. „Jeder gibt die Verantwortung weiter und am Ende stehen die Familien, die schauen müssen, wie sie mit der Situation klarkommen.“ Riedl sieht ein großes Versäumnis der Landespolitik. „Ich kann nicht bitten, die Kinder zuhause zu lassen, das aber dann nicht regeln“, sagt sie.

Forderung nach klaren Kriterien zur Öffnung

Mit der Meinung steht sie nicht alleine da. Klare Kriterien zur Öffnung der Kitas fordern Gewerkschaften und Verbände vonseiten der Erzieherinnen, der Kitas und der Eltern. Denn statt am 14. Februar, wie es bundesweit vorgesehen ist, möchte Baden-Württemberg die Kitas und Grundschulen schon am kommenden Montag, 1. Februar, wieder öffnen, abhängig vom Infektionsgeschehen. Der durchschnittliche Inzidenzwert für Baden-Württemberg ist in den vergangenen Wochen gesunken und lag am Montag bei 87.

Kretschmann will am Mittwoch Entscheidung treffen

Eine Entscheidung möchte Landeschef Winfried Kretschmann am Mittwoch, 27. Januar, bekannt geben. Er hält es aufgrund der sinkenden Infektionszahlen für verantwortbar, Grundschulen und Kitas im Wechselbetrieb wieder zu öffnen. Eine neue Bewertung müsse aber statt finden, falls sich die Virusmutationen im Südwesten verbreiten würden. Es ist eine schwierige Abwägung zwischen Infektionsrisiko und Kindeswohl.

Das könnte Sie auch interessieren

Der Arbeitgeberverband Südwestmetall befürwortet eine schnelle Öffnung der Kitas und Grundschulen, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt – „aus bildungspolitischer Sicht und unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, wie er auf Nachfrage mitteilt. Dabei müssten aber immer die entsprechenden Hygienekonzepte umgesetzt werden. Er verweist auch auf die neue Regelung zum Kinderkrankentagegeld, die Familien in der momentanen Situation entlasten und eine Betreuung von Kindern zu Hause ermöglichen soll.

Ines Riedl würde sich wohler fühlen, wenn es regelmäßige Schnelltests geben würde. Bislang haben Erzieherinnen Anspruch auf drei kostenlose Testungen bis zu den Osterferien. Auch Kultusministerin Susanne Eisenmann fordert nun regelmäßige Schnelltests in Kitas und Schulen.