Am Dienstag scheint die Welt beim Zulieferer ZF noch in Ordnung. In München ist Messezeit. Die Autoschau IAA hat ihre Tore geöffnet. Für den Friedrichshafener Stiftungskonzern ist das eine gute Gelegenheit, die Technologie in den Vordergrund zu stellen und die Krise Krise sein zu lassen. Immerhin hat sich der Kanzler angekündigt.
Rückzug mitten in der IAA
Als Friedrich Merz am Stand der ZF erscheint, im Schlepptau Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und VDA-Chefin Hildegard Müller, ist die Stimmung ausgelassen. ZF-Vorstandschef Holger Klein erklärt dem Kanzler den neuesten ZF-Antrieb, für den man sich politischen Rückenwind aus Berlin erhofft. „Wir zählen auf Ihre Unterstützung“, sagt Klein zum Kanzler gewandt. „Die haben Sie“, sagt Merz.

Zumindest Klein braucht diese Unterstützung jetzt nicht mehr. In einer Sondersitzung am Donnerstag hat der ZF-Aufsichtsrat seinen Konzernchef vor die Tür gesetzt. Mit ihm geht der von vielen als Kronprinz gehandelte ZF-Nutzfahrzeugvorstand Peter Laier.
Beide verlassen Deutschlands zweitgrößten Zulieferer vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit. An die Konzernspitze nachrücken soll der bisherige Spartenchef für E-Mobilität, Mathias Miedreich. Seit nicht einmal einem Dreivierteljahr ist er bei ZF unter Vertrag. Es ist, als ob jemand eine Notbremsung einleitet und dann versucht, wieder einen Gang einzulegen, ohne dass der Motor abwürgt. Es ist: ein gewagtes Manöver.
Dudenhöffer: „Chaos“ bei ZF
Aber was zählt das schon? Nach außen bemüht sich ZF, das „Chaos“, das Experten wie der Automobilprofessor Ferdinand Dudenhöffer dem Konzern jetzt bescheinigen, geordnet aussehen zu lassen. Klein gehe in „gegenseitigem freundschaftlichen Einvernehmen“, heißt es vom Unternehmen.
ZF-Aufsichtsratschef Rolf Breidenbach, spricht von einem „unermüdlichen Einsatz“, den Klein im Dienst des Unternehmens geleistet habe. Friedrichshafens OB Simon Blümcke ergänzt, Klein habe die ZF in herausfordernden Zeiten wirtschaftlich stabilisiert und auf einen neuen Kurs geführt.

Alles nicht so schlimm also? Tatsächlich kommt der Wechsel an der Konzernspitze zur Unzeit. ZF steckt in der wohl schwersten Krise seiner Geschichte. Mit einem Verlust von gut einer Milliarde Euro war das abgelaufene Geschäftsjahr tiefrot.
Und auch nach den ersten sechs Monaten 2025, schreibt der Getriebebauer Miese. 10,5 Milliarden Euro Schulden, hohe Zinszahlungen sowie schlecht verhandelte Verträge mit Schlüssel-Kunden in der Automobilindustrie drücken die ZF seit zwei Jahren ins Minus. Weil viel zu wenig Neugeschäft hereinkommt, sitzt ZF in der Schuldenfalle, und das Geld wird knapp.
Nur Sparen war als Strategie zu wenig
Noch-Konzernvorstand Klein, der vor rund zehn Jahren von McKinsey an den Bodensee gewechselt ist und seit 2023 ZF führt, reagierte auf die sich stetig verschärfende Finanzlage mit harten Sparprogrammen.
Sechs Milliarden Euro Kosten will ZF bis Ende dieses Jahres einsparen. Dafür schließt man zum ersten Mal seit Jahrzehnten Werke. Insgesamt 14.000 Stellen – und damit ein Viertel aller inländischen Arbeitsplätze – sollen wegfallen.

Um sich finanzielle Spielräume zu verschaffen, hat ZF zudem begonnen, wenig gewinnbringende Bereiche oder solche, die man nicht als Kerngeschäft definiert, einzustellen, auszugliedern oder zu verkaufen.
Das Projekt, autonome Shuttle-Bussen anzubieten, wurde im Zuge dieser Restrukturierung als erstes kassiert. Das Geschäftsfeld Achsmontage brachte Klein im April 2024 in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Apple-Zulieferer Foxconn ein. Seit mehr als eineinhalb Jahren sucht man zudem einen Käufer für die Airbag-Sparte.
Streitpunkt Ausgliederung der E-Division
Trug die bei ZF traditionell starke Arbeitnehmervertretung Kleins Sanierungsplan anfangs mit, so änderte sich dies spätestens Anfang dieses Jahres. Im Februar wurden Pläne des Unternehmens bekannt, das Kerngeschäft der Friedrichshafener – den Getriebebau und die Fertigung von E-Komponenten – abzustoßen oder zumindest aus dem Konzern herauszulösen, um finanzkräftige Investoren mit an Bord zu holen.
Betroffen sind Spartenumsätze dieser sogenannten E-Division von mehr als 11 Milliarden Euro und gut 30.000 Beschäftigte.
Die Arbeitnehmer, die schon zuvor im Gegenzug zu Standortsicherungen deutliche Gehaltseinbußen hatten hinnehmen müssen, gingen daraufhin auf die Barrikaden. Ende Juli versammelten sich Tausende ZFler vor der Friedrichshafener Konzernzentrale, um gegen die Sparpläne des Vorstands und die Ausgliederung des Antriebsgeschäfts zu demonstrieren.
Immer lauter wurde auch der Ruf nach einer Strategie, jenseits des bloßen Sparens. „Wir müssen wieder zeigen, was wir können, nicht, was wir nicht können“, sagte damals ZF-Betriebsratschef Achim Dietrich, der auch für die Arbeitnehmerseite im ZF-Aufsichtsrat sitzt.
„Klares Votum gegen Klein“ von den Eignern
Tatsächlich scheint in den vergangenen Monaten auch die Kapitalseite im ZF-Kontrollgremium die Geduld mit ihrem seit Januar 2023 amtierenden Konzernchef verloren zu haben.
„Die Eigentümervertreter im Aufsichtsrat haben die Hängepartie beendet“, heißt es von informierten Kreisen zum Rauswurf des ZF-Chefs gegenüber dem SÜDKURIER. Es habe von dieser Seite „ein klares Votum gegen Klein gegeben“.

ZF-Eigner ist neben der Ulderup-Stiftung die Friedrichshafener Zeppelin-Stiftung, hinter der die Stadt Friedrichshafen steht und die 93,8 Prozent an ZF hält. Im Aufsichtsrat vertritt die Stiftung Friedrichshafens OB Simon Blümcke.
Dieser nehme seine Rolle im Aufsichtsrat „sehr aktiv“ wahr, sagt ein weiterer langjähriger Beobachter der ZF. „Mehr als unruhig“ seien Blümcke und der Vertreter der Ulderup-Stiftung zuletzt wegen der Entwicklung der ZF gewesen.
Kommune fürchtet um ihre Dividende
Kein Wunder: Friedrichshafen hängt am Tropf des Stiftungsunternehmens. Mit den jährlichen Ausschüttungen des Getriebebauers finanziert die Kommune Schwimmbäder und Kita-Plätze.
Aufgrund der wirtschaftlichen Krise schüttet ZF indes weit weniger aus als noch vor Jahren. Von einer Rekorddividende von 183 Millionen Euro im Jahr 2017 sind 2024 gerade noch 38 Millionen Euro übriggeblieben – und das auch nur, weil die Auszahlungsregeln verändert wurden.
Dietrich: Schulterschluss mit neuem Chef – unter Bedingungen
Das Aus von ZF-Chef Klein erinnert an den Abgang von dessen Vor-Vorgänger Stefan Sommer am Nikolaustag 2017. Auch er stürzte über eine Auseinandersetzung mit dem damaligen Friedrichshafener OB Andreas Brand. Seit damals steht der Einfluss der kommunalen Eigner auf die ZF in der Kritik.
Als „höchst gefährlich für das Unternehmen“, bezeichnet Automobilexperte Dudenhöffer die Rolle der Zeppelin-Stiftung. Die Abberufung von Klein, der sich durchaus verdient ums Unternehmen gemacht habe, und seines Vorstandskollegen Laier hinterlasse ZF orientierungslos.
Warum geht Vorstand Laier?
Gerade Laier galt intern als unumstritten. Zwar setzte auch er harte Entscheidungen durch, gleichzeitig fuhren die von ihm verantworteten Bereiche – das Nutzfahrzeuggeschäft und die Industrietechnik – konstant Gewinne ein. Von ihm wird der Satz kolportiert, es sei „nicht seine Aufgabe, Werke zu schließen, sondern sie in die Gewinnzone zu bringen“. Das verschaffte ihm Respekt bei den Arbeitnehmern.
Konzern-Betriebsratschef Dietrich sagte, man bedauere seinen Weggang „außerordentlich“. Zum Schulterschluss mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden, Mathias Miedreich, stünde man bereit – sofern „Beschäftigte, Technologie und Kunden wieder im Mittelpunkt der ZF“ stünden, sagte er.