Das in Überlingen laufende Verfahren gegen den Bebauungsplan „Rauenstein Ost“ ist „eines der stärksten Bürgerbegehren“ in Baden-Württemberg der vergangenen 20 Jahre. Das teilt jetzt der Verein „Mehr Demokratie“ zur Bürgerinitiative „Landschaftspark St. Leonhard“ in einer Pressemitteilung mit. Mehr als 5000 Unterschriften hat die Initiative gesammelt, um die Bebauung der Grünfläche an der Rauensteinstraße zu verhindern.
Der gemeinnützige, politisch unabhängige Verein „Mehr Demokratie“ mit gut 10.000 Mitgliedern setzt sich in Deutschland und der EU für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung ein. Die Organisation berät Initiatoren von Bürgerbegehren und -entscheiden. Auch die Initiatorinnen in Überlingen haben auf rechtliche Beratung des Vereins zurückgegriffen, um auf dem Weg zur Zulassung des Bürgerbegehrens formale oder rechtliche Fehler zu vermeiden.
Sogar OB Zeitler hat weniger Stimmen bekommen
Die Zahl der Unterschriften, die Andrea Knorr und Elisabeth Horn am 19. August im Bauamt einreichten, findet der Verein außergewöhnlich. Und setzt sie ins Verhältnis: 5030 Unterschriften entsprechen rund 26 Prozent aller Stimmberechtigten, fast viermal mehr als nötig und jetzt schon mehr, als für einen erfolgreichen Bürgerentscheid notwendig wären (20 Prozent). Die Initiative habe sogar mehr Stimmen gesammelt, als sie der amtierende Oberbürgermeister bei seiner Wahl Ende 2024 bekommen hat (4603 Stimmen, 25,2 Prozent).

Dass es sich bei Überlingen mit seinen knapp 23.000 Einwohnern um eine vergleichsweise große Gemeinde handelt, macht die Resonanz erstaunlich. Normalerweise gelinge eine derart hohe Mobilisierung nur in kleineren Gemeinden. In den vergangenen 20 Jahren gab es nach Angaben des Vereins nur zwei etwa gleich große Städte, in denen bei einem Bürgerbegehren eine ähnlich hohe Unterstützung auftrat: 2010 in Weinstadt im Rems-Murr-Kreis, wo Bürger den Neubau eines Bads verhindern wollten, und 2018 in Waldshut-Tiengen, wo Bürger sich für den Erhalt des örtlichen Freibads einsetzten.
Ähnliche Begehren in 27 von 29 Fällen erfolgreich
In beiden Fällen ging der Konflikt zugunsten der Bürgerinitiativen aus. „Es gilt die statistische Grundregel: Je mehr Unterstützung ein Bürgerbegehren bei der Unterschriftensammlung erreicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim Bürgerentscheid durchsetzt“, erklärt Edgar Wunder, Leiter der baden-württembergischen Beratungsstelle für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide des Vereins, in der Mitteilung.
Seine Einschätzung untermauert Wunder mit Zahlen: 360 Bürgerentscheide gab es in den vergangenen 20 Jahren in Baden-Württemberg. 29 davon erreichten schon bei der Einreichung des Bürgerbegehrens eine so hohe Unterstützung wie jetzt in Überlingen. In 27 dieser 29 Fälle sei der anschließende Bürgerentscheid im Sinne des Bürgerbegehrens verlaufen, in zwei Fällen habe sich der Gemeinderat durchgesetzt.
2025 haben sich in Baden-Württemberg laut des Vereins „Mehr Demokratie“ 27 neue Bürgerbegehren formiert. Bis zum 1. August haben in diesem Jahr im Land schon 15 Bürgerentscheide stattgefunden. Acht davon betrafen die Windkraft – mit unterschiedlicher Stoßrichtung. Zustimmung gab es in den vier Fällen, wo die Anlagen als Beitrag zur Energiewende und zur finanziellen Stärkung der Kommune gesehen wurden. Ablehnung überwog, wo Anwohner Beeinträchtigungen oder den Eingriff ins Landschaftsbild befürchteten.
So geht es jetzt mit den Unterschriften weiter
In Überlingen prüft jetzt die Stadtverwaltung die eingereichten Unterschriften. Voraussichtlich wird der Gemeinderat sich am 8. Oktober mit der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens beschäftigen. Nach Einschätzung des Vereins erfüllt das Begehren alle gesetzlichen Voraussetzungen. Der Gemeinderat werde es zulassen müssen, „falls er nicht freiwillig auf die Bebauung verzichtet“.