Kein Grab auf dem Friedhof von Zwiefaltendorf bei Riedlingen an der Donau fällt so ins Auge wie jenes der Familie von Bodman. „Baronengrab“ nennen es die Leute im Dorf. Ein gut drei Meter hohes, überdachtes Holzkreuz mit dem Gekreuzigten wird flankiert von zwei grauen Stelen, auf denen die Namen der Verstorbenen stehen.

Bis vor wenigen Wochen war auf der rechten Stele auch der Name des Franz Freiherr von und zu Bodman samt seinen Lebensdaten, 1909 bis 1945, eingraviert. Doch nach öffentlichem Druck hat die Familie diese Inschrift abschleifen lassen.

Das Bodmangrab mit zwei Gedenksteinen auf dem Friedhof in Zwiefaltendorf: Links Hans Petermann, früher Bürgermeister von Riedlingen, ...
Das Bodmangrab mit zwei Gedenksteinen auf dem Friedhof in Zwiefaltendorf: Links Hans Petermann, früher Bürgermeister von Riedlingen, rechts Arthur Sauter, früher Ortsvorsteher von Zwiefaltendorf. Die Inschrift zu Franz von Bodmann wurde entfernt. | Bild: Manfred Grohe

Der Grund: Franz von Bodman war SS-Obersturmführer und Arzt in mehreren Konzentrations- und Vernichtungslagern. Auch in Auschwitz. Dort soll er nach Zeugenaussagen 50 Frauen eigenhändig mit Phenolinjektionen getötet haben.

Der SS-Mann gehörte einem Seitenast des bekannten, uralten Adelsgeschlechts an. Die von Bodmans sitzen am Bodensee, der nach ihnen benannt ist. Rudolf von Bodman (1870-1926), ein Urgroßonkel des heutigen, hoch angesehenen Patrons Wilderich Graf von Bodman, heiratete in die Adelsfamilie Speth ein und ließ sich bei Riedlingen nieder.

Kindheit und Jugend in Zwiefaltendorf

So wuchs sein Sohn Franz im Schlösschen Zwiefaltendorf auf, zusammen mit seiner älteren Schwester Marie Sophie und seinem jüngeren Bruder Rudolf. Er legte sein Abitur in Ehingen ab, studierte Medizin in München und Tübingen, wurde Hitler-Anhänger. Mit 24 Jahren trat er in die NSDAP ein, mit 26 Jahren in die SS. Ein Jahr später, 1935, machte er seinen Doktor in Tübingen – und danach Karriere in der SS.

Ein kaltblütiger Typ, ein Fanatiker der NS-Ideologie. Offenbar praktizierte er nur kurze Zeit als Arzt in Mengen (Kreis Sigmaringen). Danach hinterließ von Bodman blutige Spuren in mehreren KZ. Ab 1941 war er in Majdanek als Lagerarzt tätig, im Juni 1942 wurde er zum Lagerarzt in Auschwitz befördert. Weitere Stationen waren die Lager in Neuengamme, Natzweiler-Struthof und Vaivara. Dort wurde er Arzt für alle Konzentrationslager im besetzten Estland.

Die Bahngleise, auf denen Hunderttausende Menschen ankamen, um in die Gaskammern des ehemaligen -Todeslagers Auschwitz Birkenau gebracht ...
Die Bahngleise, auf denen Hunderttausende Menschen ankamen, um in die Gaskammern des ehemaligen -Todeslagers Auschwitz Birkenau gebracht zu werden. Im Hintergrund die Hauptwache mit der Toreinfahrt für die Züge. | Bild: dpa

Der berühmte NS-Forscher Ernst Klee hat Bodman als Erfinder der Tötung durch Injektionen mit Phenol bezeichnet, eine Hinrichtungsmethode, die den Opfern besonders viel Qualen zufügt. Er soll auch kranke Häftlinge persönlich umgebracht haben. In Auschwitz habe er sich „beim Töten von Häftlingen mit mörderischem Eifer und kalter Grausamkeit hervorgetan“, beklagt das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK) in Berlin.

Der Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Tor des KZ Auschwitz I. Die Tötungen von Häftlingen mit der Phenolspritze – wie von Bodman ...
Der Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Tor des KZ Auschwitz I. Die Tötungen von Häftlingen mit der Phenolspritze – wie von Bodman sie durchführte – fanden in der Regel hier statt. | Bild: dpa

Seit 1934 war von Bodman mit seiner Frau Maria Anna verheiratet, hatte mit ihr drei Kinder. Von ehelicher Treue hielt er wenig. Zeugen berichteten von einer jahrelangen Affäre mit der sadistischen KZ-Aufseherin Luise Danz, die 1947 in Polen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Familie hat zunächst keine Lehren gezogen

An diesen Mann erinnerten seine direkten Nachfahren auf ihrem Familiengrab hinter der Kirche St. Michael auf dem Friedhof von Zwiefaltendorf. So, als ob er ein ehrenwerter Bürger gewesen sei. Das deutet auf eine gewisse Chuzpe und auf Realitätsverlust hin. Denn die Familie hatte auch aus einer Begebenheit keine Lehren gezogen.

Der frühere Bürgermeister Zwiefaltendorfs, Arthur Sauter, erinnert sich an den Antrag von Bodmans Witwe 1968, den Namen ihres Ehemanns auf dem damals geplanten Kriegerdenkmal aufzuführen. Das lehnte der Gemeinderat der bis 1975 selbstständigen Gemeinde ab – „nach Einholung und Anhörung verschiedener Auskünfte über die Dienstverwendung des Dr. med. Franz von Bodman im Kriege 1939 – 45“.

Kirchengemeinde blieb untätig

Die Familie Bodman muss sich nun fragen lassen, was sie nach dieser Vorgeschichte bewogen hat, den Namen Franz in der Stele eingravieren zu lassen. Das war 2002, als sie das Familiengrab umgestalten ließ. Jahre später erhielt der Kirchengemeinderat aus dem Ort einen Hinweis auf diesen Zusatz. Doch der Rat sah keinen Handlungsbedarf.

Das änderte sich, als die Ulmer „Südwest Presse“ im März 2024 über ein soldatisches Ehrengrab in Lend (Salzburger Land) berichtete. Dort liegt der Holocaust-Arzt nach allem, was man weiß, wirklich begraben. So richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Grablege von Zwiefaltendorf. Bürger nahmen Anstoß an diesem unkommentierten Gedenken an einen NS-Massenmörder auf ihrem Friedhof.

„Ein untragbarer Zustand“

Der frühere Bürgermeister von Riedlingen, Hans Petermann, Arthur Sauter und der Zimmermeister Peter Arnold bezeichneten die Stelen-Inschrift ohne Hinweis auf die Untaten von Bodman als einen „untragbaren Zustand“.

In Zwiefaltendorf ist der Kirchengemeinderat für den Friedhof zuständig. Nach anfänglichem Zögern machte er sich auf die Suche nach den Nutzungsberechtigten des Bodmanschen Familiengrabs. Bald darauf gab das Gremium bekannt, die Bodmans hätten erklärt, sie seien sich der Schwere der Taten ihres Ahnen bewusst und sähen ein, dass sein Name auf der Stele deplatziert sei. Ein paar Tage nach Allerheiligen war der Name verschwunden.

Kann der Doktorgrad entzogen werden?

„Wir sind fürs Erste zufrieden, dass der Name entfernt worden ist“, erklärte Hans Petermann. Aber damit sei es nicht getan. Der Rat versprach, einen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Zwiefaltendorf zu leisten, „damit öffentlich an die damaligen Gräueltaten und ihre Opfer erinnert wird“. Inzwischen laufen die Vorbereitungen für einen Vortragsabend im Gemeindesaal mit dem Tübinger Historiker Bastian Wade und der Schriftstellerin Sybille Eberhardt.

Wade hat alle greifbaren Informationen dazu gesammelt. Er gehört dem Arbeitskreis Nationalsozialismus an der Universität Tübingen an. Hier hat Bodman seinen Doktor in Medizin gemacht. Der Arbeitskreis wurde aktiv, nachdem der Autor dieses Artikels beim Uni-Rektorat angefragt hatte, wie die Universität mit der Causa umgehen und ob sie Bodman den Doktorgrad aberkennen wolle.

Gesetz sichert den Titel weiter

Man kam zu dem Ergebnis, dass das neue Landeshochschulgesetz den Entzug des akademischen Grads nicht erlaube. Vorgesehen ist aber, in der Promotionsliste der Fakultät einen Eintrag mit Hinweis auf Bodmans Verbrechen zu machen.

Was die Schriftstellerin Sybille Eberhardt aus Rechberghausen für nicht ausreichend hält. „Wenn knapp 80 Jahre nach Kriegsende noch juristische Bestimmungen dem Täterschutz dienen“, erklärte sie, „so müssen diese vom Gesetzgeber neu verhandelt und angepasst werden.“

Vermutlich ermordete er auch seinen Bruder

Thema der Erinnerungsarbeit könnte auch ein mysteriöser Todesfall sein, das ein unbekannter Autor 2021 festgehalten hat. Demnach soll Franz von Bodman 1938 seinen Bruder Rudolf erschossen und aus einem Fenster im Obergeschoss des Schlosses geworfen haben, um nicht das Erbe mit ihm teilen zu müssen. Auf Nachfrage habe Franz erklärt, sein Bruder sei von einem Hund angefallen und ins Ohr gebissen worden. Danach sei Rudolf aus dem Fenster gestürzt.

Eine kuriose Schilderung. Sollte die Version des anonymen Autors stimmen, müsste man von einem ungesühnten Verdeckungsmord sprechen. Arthur Sauter ist überzeugt: „Das sind Tatsachen.“

Die mutmaßliche Tat hatte offenbar auch Folgen für den Postboten Albert Arnold, Jahrgang 1889. Ihm musste bekannt gewesen sein, was im Schloss vorgegangen war. Arnold, so erzählt man es sich im Dorf, hielt vor der aufgebahrten Leiche Rudolfs Totenwache und bemerkte später: „Wenn die Zeit gekommen ist, dann red ich auch und sag, wie es wirklich war.“

Tatzeuge wurde beseitigt

Die Gestapo verhaftete den Postboten im Februar 1945 und brachte ihn nach Reutlingen. Angeblich sollte er nach Pforzheim versetzt werden. Dort sei er nach dem Bericht des anonymen Autors hingerichtet worden. Nach offizieller Darstellung starb er bei einem Fliegerangriff. Sauter vermutet, dass Franz von Bodman in die Aktion verwickelt war. Der SS-Mann habe einen wichtigen Mordzeugen beseitigen wollen.

Im Zuge der Auflösung der KZ im Osten kam von Bodman kam als Truppenarzt in der SS-Panzerdivision „Wiking“ zum Einsatz, die auf österreichischem Boden operierte. US-Soldaten nahmen den SS-Mediziner fest und internierten ihn im Kriegsgefangenenlager von St. Johann im Pongau. Von Bodman befürchtete wohl, als KZ-Mörder entlarvt zu werden und nahm sich im Lazarett am 25. Mai 1945 das Leben.

Keine Hinweise auf seinem Grab in Österreich

Begraben liegt er auf dem Soldaten-Ehrenfriedhof der Gemeinde Lend im österreichischen Salzachtal. Dorthin sind die Überreste des Freiherrn von einem früheren Grab in St. Johann im Pongau umgebettet worden, offenbar in Unkenntnis seiner Identität.

Erst 2019 entdeckten Vertreter der Bundestagsfraktion der Linken, um wen es sich in dem Grab von Lend wirklich handelt. Sie informierten die Gemeinde, und seitdem wird dort überlegt, in welcher Form über die Untaten Bodmans auf dem Friedhof informiert wird. Das von überlebenden KZ-Häftlingen gegründete IAK hat das für die Soldatenfriedhöfe zuständige österreichische Innenministerium zum Handeln aufgefordert.

Was die Familie von Bodman heute sagt

Der Juniorchef des Hauses, Johannes Freiherr von Bodman, plädiert auf Anfrage dafür, bleibend an die grauenhaften Taten des Verwandten zu erinnern. „Franz von Bodman war Teil des NS-Regimes und am Holocaust persönlich beteiligt“, sagt er.

Der NS-Mediziner habe furchtbare Taten während der NS-Diktatur begangen. Die Erinnerungsarbeit sei notwendig, um Geschichtsfälschung verhindern und um Sorge zu tragen, „dass ein solch menschenverachtendes Regime, auch nur ansatzweise, nie wieder möglich wird“.