So schmeckt die Fotzelschnitte: TV-Koch aus Zürich bereitet Gericht aus invasiven Muscheln zu
Die asiatische Korbmuschel gilt im Zürichsee als Plage. Spitzenkoch Markus Stöckle macht daraus in seinem Restaurant eine Delikatesse. Gibt es am Bodensee bald Fotzelschnitten mit Quaggamuschel?
Markus Stöckle ist deutscher Spitzenkoch und Gastronom und war schon in TV-Sendungen wie Kitchen Impossible zu sehen, wo er gegen Tim Mälzer gekocht hat. Seit acht Jahren findet man auf der Karte seines Restaurants die invasive Körbchenmuschel.
| Bild: Marina Schölzel
Wenn Markus Stöckle über seine salzige Fotzelschnitte redet, spricht er über das Rezept, als wäre es ein romantisches Liebesgedicht. „Die Fotzelschnitte ist ein mit Flusskrebsbisque aufgesogenes Stück Sauerteigbrot, das innen saftig trieft und außen knusprig ausgebacken ist“, erklärt Markus Stöckle.
Angerichtet werde das Brot mit Oberschinken, warmer Muschel-Glassage und kleinen, mit Weißwein abgelöschten, frischen Süßwasser-Muscheln – damit man sieht, was man Schönes esse, sagt Stöckle. „Das gibt dann dieses schöne, jodig, herzhaft breite, aber doch elegante Zwischenspiel von Schinken und Muscheln“, beschreibt es der Koch.
Woher die Muscheln dafür kommen? Aus dem Zürichsee. Stöckle hat eine kreative Lösung für ein bekanntes Problem gefunden: Invasive Muschelarten, die die Ökosysteme der heimischen Gewässer bedrohen. Die asiatische Körbchenmuschel gilt im Zürichsee als Plage, ähnlich wie die Quaggamuschel im Bodensee. Auch im Bodensee ist die Körbchenmuschel mittlerweile angesiedelt.
Mittags ist es im „Rosi“ noch leer – man sei aber gut ausgebucht, sagt Stöckle. Die Fotzelschnitte ist der Renner unter seinen Gästen.
| Bild: Marina Schölzel
Stöckle gilt mit 17 von 20 möglichen Gault-Millau-Punkten laut dem Gourmetführer als Spitzenkoch. Auch im TV war er schon zu sehen. 2023 trat er bei der Kochshow Kitchen Impossible des TV-Senders Vox gegen Tim Mälzer an. Seine Frau Elif Oskan ist ebenfalls Spitzenköchin, führt in Zürich das Restaurant „Gül“ und ist seit 2025 festes Jury-Mitglied der Sat1-Sendung The Taste.
Sein Restaurant „Rosi“ in Zürich führt Stöckle seit 2018. Die Fotzelschnitte mit Zürichseemuscheln steht seitdem mit nahezu unverändertem Rezept auf der Karte. Viele seiner Gäste würden nur wegen der Fotzelschnitte, eine Schweizer Variante der Armen Ritter, ins „Rosi“ kommen, sagt Stöckle. „Bei jedem zweiten Tisch wird sie dazubestellt“, sagt der Koch.
Markus Stöckle in seinem Restaurant – aktuell sucht er in Zürich nach neuen Räumlichkeiten.
| Bild: Marina Schölzel
Die zündende Idee, die invasiven Muscheln aus dem Zürichsee zu kapitalisieren, hatte der Zürcher Unternehmer Manuel Vock.
Der Jungunternehmer Manuel Vock aus Zürich hatte die zündende Idee, die asiatische Körbchenmuschel zu kochen und an Gastronomen zu verkaufen.
| Bild: Christoph Braun
Aus großem Interesse daran, was im Wasser lebt und sich kulinarisch verwerten lässt, versuchte sich Vock durch verschiedene Muschelarten und stieß auf die Körbchenmuschel. Diese habe er gekocht und gegessen – und fand sie fantastisch: „Die invasive Muschel ist eine unerschöpfliche Ressource“, sagt Vock.
Seit nun knapp neun Jahren steigt er mit einer Kiste jede Woche, bei jedem Wetter und bei jeder Jahreszeit bis zur Hüfte in den Zürichsee und holt zwischen zehn und 40 Kilo Muscheln heraus. Damit beliefert er Stöckle. Der Preis pro Kilo: 27,50 Franken (knapp 30 Euro).
Die asiatische Körbchenmuschel ist auch im Bodensee zu finden. 2003 wurde sie dort erstmalig entdeckt. Der Unterschied zur Quaggamuschel ist vor allem der Geschmack: Wo die Quaggamuschel modrig schmecken soll, schmeckt die Körbchenmuschel nur leicht nach See.
| Bild: Marina Schölzel
In der Gastro-Szene gilt Markus Stöckle als experimentierfreudig. Dementsprechend sei er sofort begeistert davon gewesen, mit der Muschel zu experimentieren – die Faszination dafür war gleich da, sagt Stöckle: „Das war eine glückliche Begegnung. Wie immer im Leben braucht es nur einen schönen Zufall.“
Auf die Idee, die Körbchenmuschel kulinarisch zu verwerten, kam der Zürcher Unternehmer Manuel Vock. Seit acht Jahren beliefert er Markus Stöckle jede Woche. Für das Kilo verlangt er rund 30 Euro.
| Bild: Marina Schölzel
Stöckle ist Fan von alten Kochbüchern, sagt er. In alten Texten sei oft die Rede von Süßwassermuscheln gewesen. „Warum gibt es das heute nicht mehr?“, fragte er sich – bis ihm Vock vor acht Jahren die Muschel brachte. „Da ist eine richtige Euphorie draus geworden. Die alten Römer haben ja schon mit den Muscheln gekocht – da war die Frage: Was machen wir jetzt damit?“
Stöckle liebt es mit der Muschel zu kochen.
| Bild: Marina Schölzel
Das im Vakuum mit Muschelsaft und Flusskrebs eingesogene Sauerteigbrot wird in Butterschmalz kräftig ausgebacken, bevor angerichtet wird.
| Bild: Marina Schölzel
Die Fotzelschnitte vereine Stöckles persönliche Lieblingsgerichte wie Vongole, Schinken auf Brot und die eigentlich süßen Armen Ritter. „Sowas wollte ich schon immer machen. Mit den Muscheln aus dem See war das Gericht klar für mich.“
Mit der kleinen Muschel zu kochen, ist für Stöckle „wie alles im Leben“, sagt er: „Dort, wo es richtig schön wird, tut es auch ein bisschen weh, aber diese Extrameile muss man gehen.“ Denn viel Fleisch steckt nicht in der Körbchenmuschel, der Koch hat also ganz schön viel zu tun.
Die Muschel-Glassage wird über das mit Schinken angerichtete Sauerteigbrot gegeben. Die Glassage schmeckt würzig und salzig, durch die enthaltene Butter aber trotzdem cremig. Auch in der Glassage steckt Saft und Sud der invasiven Muschel.
| Bild: Marina Schölzel
Das Rezept sei dem des einstigen Leibkoch von König Ludwig, Johann Rottenhöfer, nachempfunden. Schon im 19. Jahrhundert habe man angeblich eine salzige Variante der Armen Ritter mit Muscheln und Flusskrebsen zubereitet. Eigentlich kennt man Arme Ritter als klassische Süßspeise, die Fotzelschnitte ist die Schweizer Variante.
Markus Stöckle richtet die Fotzelschnitte mit Schinken an. Auf den Schinken kommt dann die Glassage aus Muschelsaft und vereinzelte Deko-Muscheln.
| Bild: Marina Schölzel
Das Rezept klingt ambitioniert: Für eine Fotzelschnitte muss Stöckle einen Flusskrebs-Fond aus Flusskrebsen, Fenchelsamen und Safranfäden kochen, eine Bisque aus dem Flusskrebs-Fond und Kerbel- und Estragonzweigen zubereiten, eine Muschel-Glassage aus Muschelsaft, Xanthan und eingekochter Butter herstellen, das Sauerteigbrot backen und eben die frischen, invasiven Süßwassermuscheln zubereiten. Kostenpunkt laut „Rosi“-Karte: 21,50 Franken, rund 23 Euro.
Ob Stöckle auch Lust hat, am Bodensee mit der Quaggamuschel kulinarisch zu experimentieren? Stöckles Augen leuchten auf. „Auf jeden Fall. Man redet bei den Muscheln ja immer über die Kosten, über die Probleme. Die Muschel ist jetzt aber da, die Frage ist, was machen wir damit?“
Die fertige Fotzelschnitte. Kostenpunkt für eine Schnitte: 21,50 Schweizer Franken, das sind rund 23 Euro.
| Bild: Marina Schölzel
Grob geschätzt werden pro Schnitte rund 150 Gramm Muscheln verwertet, sagt Stöckle.
| Bild: Marina Schölzel
Für Stöckle ist das kein Argument, sagt er. „Logo kann man mit den Muscheln nicht so umgehen, wie mit normalen Muscheln, dass man sie einfach in einen großen Topf wirft und ausschlürft“, sagt Stöckle. „Bei meiner Fotzelschnitte finde ich die kleine Muschel wunderbar, sie ist petit und elegant. Für eine Soße braucht man eh kiloweise Muscheln – ob klein oder groß, ist da egal.“
Inspiriert greift er zum Hörer und ruft bei Manuel Vock an. Der bremst ihn in seiner Euphorie: Die Quaggamuschel schmecke immer grausig, sagt er, egal wie man sie zubereite – modrig und stinkig.
Für Stöckle ist das aber kein Hindernis: „Dann müssen wir wohl zusammen an der Quaggamuschel arbeiten und uns etwas einfallen lassen“, scherzt er und legt auf.