Er wirkt nervös und sichtlich angespannt. „Es ist mein erster Prozess, es kann nur einen Freispruch geben“, sagt Udo Schulz kurz vor Verhandlungsbeginn im Amtsgericht Sigmaringen zum SÜDKURIER.

Die Staatsanwaltschaft Sigmaringen wirft ihm vor, 55 Teilnehmer eines unangemeldeten Corona-“Spaziergangs“ am 13. Februar gezielt zum Wohnhaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach Sigmaringen-Laiz geführt zu haben – ein politisch brisanter Protest gegen die Corona-Maßnahmen der baden-württembergischen Landesregierung. „Dabei gingen Sie voran, trugen ein großes Holzkreuz über der Schulter und gaben die Marschrichtung vor“, so die Staatsanwaltschaft.

„Abenteuerliche Geschichte“

Über Parteigrenzen hinweg wurde die Aktion, den privaten Wohnort eines ranghohen Politikers aufzusuchen, um Druck auf ihn auszuüben, scharf verurteilt. Nach einer Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung erhielt Udo Schulz im Schnellverfahren eine Geldstrafe von 30.000 Euro, wogegen er Berufung einlegte.

Der Gerichtsaal.
Der Gerichtsaal. | Bild: Hanser, Oliver

„Mein Mandant ist hergekommen, um reinen Tisch zu machen“, sagt Tomislav Duzel, der Konstanzer Verteidiger von Udo Schulz. Er weist die Tatvorwürfe „aufs Schärfste“ zurück, auch dass sein Mandant Leiter oder Organisator der Versammlung gewesen sei, und kündigt fünf Entlastungszeugen an. „Die Geschichte hört sich abenteuerlich an, aber wir haben keinen Anlass, an ihr zu zweifeln“, so Duzel.

„Mit Ahnen in Reine kommen“

Bei seiner Befragung wiederholt der Angeklagte Udo Schulz die 'göttliche Eingebung', wonach Jesus zu ihm gesprochen habe, ein riesiges Holzkreuz zu basteln. Warum er an dem Tag vor Ort war, will Richterin Kristina Selig wissen. „Ich wollte mit meinen Ahnen ins Reine kommen“, sagt der 52-Jährige und gibt an, dass seine Großeltern in Laiz begraben seien und er immer für sich alleine mit seinen Hunden laufe.

Verteidiger Tomislav Duzel im Gespräch mit Staatsanwalt Karl-Heinz Beiter.
Verteidiger Tomislav Duzel im Gespräch mit Staatsanwalt Karl-Heinz Beiter. | Bild: Hanser, Oliver

Als ihn die Richterin fragt, wie oft er zuvor schon an einem Corona-“Spaziergang“ teilgenommen hat, erweckt er den Eindruck, als fühle er sich ertappt, und nennt schließlich ein oder zwei Mal an. „Dann möchte ich wissen, warum Sie gegenüber dem SÜDKURIER gesagt haben, dass sie an fünf oder sechs ‚Spaziergängen‘ teilgenommen haben“, will Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Beiter später wissen, erhält aber keine Antwort.

„Es ist ein Bilderbuchfall“

Für Klarheit sollen die zahlreichen Zeugen sorgen. Ein leitender Polizist erklärt im Zeugenstand, dass sich der Angeklagte bei „Montagsspaziergängen“ in Sigmaringen sonst als letzter ganz hinten eingereiht habe. „Die zwei Mal stimmen nicht, er war locker fünf bis zehn Mal dabei, immer mit Kreuz, am Valentinstag war es ein Herz“, sagt der Polizeibeamte auf Nachfrage des Staatsanwalts.

Ein äußerst kurzes Video wird im Gerichtssaal gezeigt, das Udo Schulz mit Holzkreuz über der Schulter an der Spitze einer großen Gruppe auf der Straße in Laiz marschieren zeigt, welche ihm zu folgen scheint. Laut dem Polizisten soll sich der Angeklagte mehrfach zur Gruppe umgedreht und Reaktionen ausgelöst haben. „Das dürfte ihm Spaß gemacht haben. Er hat die Gruppe angeführt und gelenkt – es ist ein Bilderbuchfall“, sagt der Beamte.

„Mit was bist du erpressbar, Winfried?“

An einer Polizeisperre an der Straßeneinfahrt zum Haus des Ministerpräsidenten soll Schulz über den deutlich kleineren Polizisten demonstrativ hinweggeblickt haben, so als ob er gar nicht da wäre. „Ja, darf man da nicht rein?“, soll der Angeklagte provokant gefragt haben, was im Demozug für Lacher gesorgt habe. Eine Frau habe ein Transparent aus Karton dabei gehabt mit der Aufschrift: „Mit was bist du erpressbar, Winfried?“ (gemeint war Kretschmann, Anm.).

Udo Schulz steht am 13. Februar vor einer Polizeisperre in Laiz mit seinem Holzkreuz.
Udo Schulz steht am 13. Februar vor einer Polizeisperre in Laiz mit seinem Holzkreuz. | Bild: Telegram

Auch ein zweiter Polizist sagte vor Gericht aus, dass sich Udo Schulz durch Handzeichen und Anweisungen wie „Wartet“ und „Kommt mit“ eindeutig als Versammlungsleiter zu erkennen gegeben habe. „Seine Personalien waren bekannt, deshalb haben wir vor Ort keine Maßnahmen getroffen“, sagt der Beamte. Auch er schildert, wie am Ende der etwa einstündigen Versammlung Schulz dann noch zu den Teilnehmern am Parkplatz gesagt haben soll, dass sie jetzt alle nach Hause gehen und in einer Stunde wiederkommen, was aber nicht eingetreten ist.

„Impfwahl, Frieden, Freiheit“

Die erste Entlastungszeugin der Verteidigung gibt vor Gericht an, mit ihrem guten Freund Udo Schulz und einer weiteren Freundin am Handy geschrieben zu haben, am Tattag in Laiz „spazieren“ zu gehen. „Es waren viele da, die wir nicht kannten. Ich habe gefragt, ob jemand einen Plan hat, aber keiner hat sich gemeldet“, so die 25-Jährige. Schulz habe ihr angeboten, das Holzkreuz oder seine beiden Hunde zu nehmen, wobei sie sich für die Vierbeiner entschieden habe. „Dann sind wir losgelaufen, Udo war nicht immer ganz vorne war – es war ein ganz normaler Spaziergang“, so die Zeugin.

Das stößt dem Staatsanwalt sauer auf und droht ihr mit einer Anklage wegen Falschaussage, wofür drei Monate Haft verhängt werden können. Die Frau räumt schließlich ein, dass sie für die freie Impfwahl, Frieden und Freiheit auf die Straße gegangen sei. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie die Zeugin mit Suggestivfragen bis zur gewünschten Antwort prügeln“, sagt Verteidiger Duzel und es entspinnt sich eines von vielen hitzigen Wortgefechten an diesem Nachmittag zwischen ihm und Staatsanwalt Beiter.

Hubschrauber über Laiz

Der zweite Entlastungszeuge sei laut eigenen Angaben durch einen über Laiz kreisenden Hubschrauber beim Laufen zufällig auf die Versammlung aufmerksam geworden und habe zuerst gedacht, es handle es sich um einen Faschingsumzug wegen einiger Verkleidungen, darunter ein Skelettmann, und mehreren Schildern.

Auf Bitten des Angeklagten brannte er eine CD mit einem Videoaufruf von Bodo Schiffmann auf Telegram, einer der bundesweiten Leitfiguren der Corona-Protestbewegung. Darin soll Schiffmann fragen, wer der Mann mit dem Holzkreuz in Laiz sei – für die Verteidigung der Nachweis, dass die Demo-Teilnehmer seinen Mandanten nicht kannten.

Da zu fortgeschrittener Zeit das Abspielen der CD nicht funktionierte und noch zahlreiche Zeugen vor der Tür warteten, vertage Richterin Kristina Selig die Verhandlung auf Anfang Mai. Dann soll auch ein Kriminalpolizist die Frage beantworten, wer zu der politisch brisanten Demo vor dem Haus des Ministerpräsidenten aufgerufen hat. Der SÜDKURIER wird erneut von vor Ort berichten.