Herr Stürmer, Sie sollten eigentlich gar nicht hier sein. Sie leiten gerade zwei Polizeipräsidien auf beiden Seiten des Bodensees, weil gegen den designierten Präsidenten in Konstanz ermittelt wird. Auch sonst sorgen Berichte über interne Machtkämpfe für Irritationen. Hat das Präsidium ein Führungsproblem?

Nein. Richtig ist, dass mehrere herausgehobene Führungsfunktionen im Polizeipräsidium Konstanz wie bekannt derzeit vakant sind. Das führt zwangsläufig dazu, dass die verbliebene Führungscrew zusätzliche Aufgaben schultern muss. Wir haben verschiedene Aufgaben und Funktionen dieser Situation angepasst. Eine Führungskrise haben wir deshalb aber sicher nicht. Die Bürgerschaft kann sich auch weiterhin uneingeschränkt auf uns verlassen. Beleg hierfür sind ja nicht zuletzt auch die jüngsten Ermittlungserfolge. Es muss sich also niemand Sorgen machen.

Wie stemmen Sie die Doppelbelastung als Interimspräsident?

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass es so leicht ist, noch schnell ein zweites Polizeipräsidium zu führen. Es ist eine ungewöhnliche Situation und eine Doppelbelastung, da braucht man nicht drum rumreden.

Noch bis Ende März sind Sie offiziell hier in Konstanz als Interimspräsident im Amt. Kommt dann der Mann, der eigentlich schon ernannt war – oder geht es für Sie in die Verlängerung?

Also jetzt muss man erstmal abwarten, wie die Ermittlungen voranschreiten. Ich mache keine langen Planungen. Es ist so natürlich kein Dauerzustand, auch nicht für die Belegschaft. Für diese Entscheidungen ist das Innenministerium zuständig und angesichts meiner langjährigen Erfahrung schließe ich mal gar nichts aus. Meine Tage sind derzeit deutlich länger als sonst.

Diese Tat verunsicherte viele Bürger: Noch am Montag, 3. Februar, waren die Spuren des Messerangriffs auf drei junge Männer in der ...
Diese Tat verunsicherte viele Bürger: Noch am Montag, 3. Februar, waren die Spuren des Messerangriffs auf drei junge Männer in der Konstanzer Fußgängerzone sichtbar. | Bild: Hanser, Oliver

2025 war bisher auch ein turbulentes Jahr: Zwei Sonderkommissionen sollen derzeit Tötungen aufklären, eine Ermittlungsgruppe wurde nach einer Messer-Attacke in der Konstanzer Altstadt eingesetzt. Die Verunsicherung in der Bevölkerung nimmt zu. Dabei hält die Statistik langfristig betrachtet dagegen, die Zahl der Kapitaldelikte sinkt. Wie nehmen Sie diesen Widerspruch wahr?

Kriminalität ist voller Paradoxe. Die Leute haben Angst vor Straftaten im öffentlichen Raum, dabei ist der gefährlichste Ort statistisch die eigene Wohnung und der eigene Partner. Es wärmt aber niemandes Herz, wenn man ihn auf statistische Wahrscheinlichkeiten verweist.

Die Sicherheitslage und die Zahl der Straftaten schwanken seit Jahrzehnten. Um es aber klar zu sagen: Wir haben nach der „Coronadelle“ einen deutlichen Anstieg der Gewaltkriminalität. Dennoch muss die Statistik mit Sachverstand interpretiert und im Kontext betrachtet werden.

Das heißt?

Die Gesamtzahl der Straftaten ist das eine. Weitaus entscheidender ist aber, wie einzelne Verbrechen die Menschen berühren. Was die Menschen erschüttert, sind beispielsweise Wohnungseinbrüche, die ihre Privatsphäre verletzen, oder schwere Gewaltverbrechen. Besonders dann, wenn sie denken: Das hätte mir auch passieren können. Straftaten in Drogenmilieus oder im Rotlichtviertel lassen die meisten kalt, weil sie sich dort nicht aufhalten.

Doch sobald jemand zufällig Opfer wird – zur falschen Zeit, am falschen Ort – wächst die Angst. Das sind Taten, wie jetzt jüngst in der Wessenbergstraße, wo man sich fragt, warum geschieht so eine Tat? Und wenn man zur Einschätzung kommt, das hätte mir selbst oder meinen Angehörigen auch passieren können, verängstigt es die Leute massiv. Ebenso verängstigend wirken herausragende Fanal-Straftaten, die dann in aller Munde sind.

Die Liste dieser Fanale, also der Taten mit besonderer Signalwirkung, ist lang. Öffentlich diskutiert man deswegen hitzig über Messergewalt und die Ohnmacht der Behörden, ausländische Straftäter rechtzeitig abzuschieben.

Ja, wir erleben derzeit eine hitzige Debatte, besonders im Vorfeld der Bundestagswahl. Migration steht im Fokus. Der Pass allein aber erklärt Kriminalität nicht. Auffällig ist, dass bei spektakulären Straftaten oft sofort Flüchtlinge oder Ausländer verdächtigt werden.

Die Leute rufen teilweise bei uns an und sagen: Das waren doch wieder Ausländer. Stellt sich dann heraus, dass dies nicht zutrifft, schwindet das Interesse. Viele suchen nur die Bestätigung ihrer Vorurteile. Dabei sind Transparenz und Fakten entscheidend. Genauso wichtig ist, die Probleme offen zu benennen.

Und diese sind?

Unsere Statistiken zeigen, dass Nichtdeutsche deutlich überproportional häufig in Gewaltstraftaten verwickelt sind. Dafür gibt es Erklärungen, die bitte nicht als Entschuldigungen und Relativierungen verstanden werden sollen. Gewalt ist oft jung und männlich.

Wer in gesicherten Verhältnissen aufwächst, wird eher nicht stehlen oder gewalttätig werden. Viele Migranten leben dagegen ohne Perspektive in schwierigen Wohnverhältnissen. Das führt zu Konflikten, vor allem untereinander in Asylunterkünften. Wir haben hier eindeutig eine Höherbelastung. Das ist so. Und das wird teilweise auch gerne instrumentalisiert.

Man kann nicht leugnen, dass die Öffentlichkeit Straftaten von Menschen mit Migrationshintergrund stärker wahrnimmt. Auch weil die Medien häufiger darüber berichten.

Es entsteht leicht der Eindruck, die Welt sei seit 2015 aus den Fugen geraten: auch in Konstanz. Der Staat habe die Kontrolle verloren. Dabei klären wir 90 Prozent der schweren Straftaten auf. Wir kriegen die Täter also fast immer. Und auch ein Blick auf die objektive Sicherheitslage zeigt: Die Häufigkeitsziffer – also die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner – liegt in Deutschland bei 7042.

Damit bleibt das Land vergleichsweise sicher. Traditionell stehen Baden-Württemberg und Bayern am besten da. Wenn ich das aber jemandem sage, hält der mich für einen „Schönschwätzer“. Die Menschen bewerten Kriminalität nicht nach Zahlen. Sie fragen sich, ob sie selbst Opfer werden könnten – das ist eine subjektive Risikoeinschätzung. Und damit sind wir beim subjektiven Sicherheitsgefühl.

Aus Gefühlen werden noch keine Tatsachen. Da könnte man auch sagen: Stellt euch nicht so an, ihr Angsthasen.

Aber genau das sage ich ausdrücklich nicht. Es ist entscheidend, schwere Straftaten aufzuklären. Bleiben sie unaufgeklärt, fühlen sich die Menschen unsicher. Und wer Angst hat, ändert sein Verhalten: Man bleibt nachts zu Hause, zieht sich zurück. Dieses Vermeidungsverhalten ist problematisch, denn es schwächt die soziale Kontrolle und kann dann auch objektiv zu einem Weniger an Sicherheit führen.

Warum?

Bestimmte Gebiete werden dann weniger besucht. Denken Sie an Stadtteile, die nach Geschäftsschluss menschenleer und dunkel sind. In einer belebten, hellen Gegend hingegen fühlt man sich sicherer. Man hofft, dass im Notfall jemand hilft oder die Polizei ruft. Wer ständig fürchtet, Opfer zu werden, sieht überall dafür Bestätigung. Das ist das Prinzip der sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Wer Angst hat, nimmt alles wahr, was diese Angst nährt, und bleibt schließlich zu Hause. Ich will das nicht kleinreden, aber es ist erklärbar.

Fast täglich gibt es Verbrechen, die mit einem Messer als Tatwaffe begangen werden.
Fast täglich gibt es Verbrechen, die mit einem Messer als Tatwaffe begangen werden. | Bild: Roland Halkasch

Eine Häufung bei Delikten, bei denen ein Messer gezogen wird, gibt es dennoch. Wo kommt das her? Warum fallen so viele junge Männer mit einem Messer auf?

Dazu ein Blick zurück: Ich kam Anfang der 80er Jahre als junger Polizist nach Stuttgart. Damals kontrollierten wir in der damaligen Einsatzhundertschaft oft das Drogenmilieu rund um den Bahnhof. Viele trugen Messer bei sich – keine harmlosen Brotmesser, sondern Springmesser. Auf Nachfrage erklärten sie, sie bräuchten die Messer zur Verteidigung. Für mich war das eher ein Statussymbol, eine Art Machtdemonstration: „Ich habe eine Waffe.“

Messer waren damals also schon weit verbreitet, das ist kein neues Phänomen. Ein Messer ist eine extrem gefährliche Waffe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte damals eine klare Maxime: „Wer sticht, der sitzt.“ Und das zu Recht. Denn wer zusticht, riskiert, lebenswichtige Organe oder Arterien zu treffen. Es ist letztlich ein Lotteriespiel, ob das Opfer überlebt. Wer mit einem Messer angreift, gehört ins Gefängnis. Da darf es keine Nachsicht geben. Und da sehe ich hier und da auch noch Nachholbedarf.

Dabei gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Gesetzesverschärfungen im Waffenrecht. Es ist aber nach wie vor legal mit einem Messer mit einer 12 cm langen Klinge in der Jackentasche durch die Gegend zu laufen. Brauchen wir noch schärfere Gesetze oder mehr Waffenverbotszonen?

An Orten kann man ansetzen. Denn jede Waffe, die nicht verfügbar ist, kann nicht benutzt werden. Allerdings sollte man auch da aufpassen: Verbote sind nur so sinnvoll, wie sie auch kontrolliert und durchgesetzt werden können. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Messerverbotszonen, aber es darf nicht den Eindruck entstehen, das Problem sei damit gelöst. Wer sich ohnehin nicht an Gesetze hält, lässt sich von einem Verbot nicht abschrecken. Die Zonen können deshalb nur ein Mosaikteil der Sicherheitsarchitektur sein.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht wegen eines Messers die Polizei gerufen wird. Einige Städte haben daher Waffenverbotszonen ...
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht wegen eines Messers die Polizei gerufen wird. Einige Städte haben daher Waffenverbotszonen ausgewiesen. | Bild: Thomas Banneyer

Was also tun?

Das Problem ist nicht das Messer an sich, sondern die Person, die es trägt. Der erste Ansatzpunkt ist für mich daher diese Person. Gezielt also gegen diejenigen vorgehen, die bereits mit Messern aufgefallen sind. Hier müssen stärkere Eingriffe in die Freiheitsrechte möglich sein, um die Bevölkerung vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen. Wer als gefährlich gilt, sollte konsequent mit freiheitsentziehenden Maßnahmen belegt werden.

Nach jedem Vorfall, bei dem jemand Polizeibekanntes mit einem Messer gewalttätig wurde, werden die Menschen weiter verunsichert. Sie fragen: Warum läuft so jemand frei herum? Da verstehe ich auch, dass die Bürger die Leistungsfähigkeit des Staates in Frage stellen.

Das Sicherheitsgefühl hat zuletzt gelitten. Was erwarten die Bürger jetzt?

Vor allem sichtbare Polizei: Präsenz und Wahrnehmbarkeit sind entscheidend – das heißt, rund um die Uhr verfügbare Kräfte. Wenn Bürger eine Streife sehen, fühlen sie sich sicherer. Jede Bürgerbefragung zeigt das. Das gilt besonders in unserer Region mit einer großen Fläche. Präsenz ist aber aufwendig. Genauso wichtig ist die Fähigkeit, notfalls schnell eingreifen zu können.

Heute reicht es nicht, bei größeren Gruppen nur mit einem Streifenwagen vorzufahren. Um Maßnahmen durchzusetzen, braucht es schnell ausreichend verfügbare Kräfte. Das Gewaltmonopol liegt bei uns, und wir dürfen da nicht zurückweichen. Sonst entsteht der Eindruck, die Polizei lasse sich einschüchtern – das wäre ein fataler Lerneffekt. Und nicht zuletzt: Die Aufklärung schwerer Straftaten ist essenziell. Da sind wir zum Glück ziemlich gut.