Als Hardy Buck und Barbara Stotz an den Zaun treten, bewegt sich ein riesiges Wollknäuel auf sie zu. „Ja, hallo Ida“, sagt Barbara Stotz und beginnt, dem Knäuel das Gesicht zu kraulen. Zwischen zotteligen Wollflusen schaut Ida freundlich nach oben und streckt das weiße Gesicht nach vorne.

Ida, das Wollknäuel, ist eines von 14 Schafen, die Hardy Buck und Barbara Stotz im Gaienhofener Ortsteil Horn auf der Halbinsel Höri am Bodensee halten. Gerade haben sich die Schafe unter ein paar Bäumen niedergelassen. In der Nähe hört man die Vögel zwitschern, durch die Bäume blitzt der Bodensee auf und bis auf ein paar Spaziergänger verirrt sich niemand in diese Ecke des Dorfs. Es ist die perfekte Idylle.

Ida ist mit zwei Jahren das jüngste Schaf der Herde.
Ida ist mit zwei Jahren das jüngste Schaf der Herde. | Bild: Nathalie Metzel

Jedes Schaf hat einen Namen

Kein Wunder also, dass Buck und Stotz bei ihren Schafen zur Ruhe kommen. „Die Schafe sind nicht hibbelig und sie fordern nichts ein. Sie geben uns Ruhe und Resilienz“, sagt Hardy Buck. Mittlerweile hat sich nicht nur Ida von ihrem Platz unter dem Baum erhoben. Buck und Stotz sind umringt von Schafen, die sich an Buck und seine Partnerin drängen und Kuscheleinheiten einfordern.

Hier gibts Leckereien: Barbara Stotz ist von der Herde umringt.
Hier gibts Leckereien: Barbara Stotz ist von der Herde umringt. | Bild: Nathalie Metzel

Jedes der Schafe hat einen Namen und einen anderen Charakter, sagen Hardy Buck und Barbara Stotz. „Jackie hat eine Ader für Menschen, denen es nicht gut geht“, sagt Stotz. Bonnie ist das Leitschaf, dem die Herde folgt. Zoe ist mit 15 Jahren die Oma der Herde. Ida ist mit zwei Jahren das jüngste Schaf.

Bonnie ist das Leitschaf, sie führt die Herde an.
Bonnie ist das Leitschaf, sie führt die Herde an. | Bild: Nathalie Metzel

Leben mit den Schafen ist achtsamer

„Hätte man mir vor sieben Jahren gesagt, dass ich Schafe beim Namen kenne, ich hätte es nicht geglaubt“, sagt Hardy Buck. Er ist gelernter Betriebswirt und arbeitete beim Technik-Riesen HP in Stuttgart. „Das Leben kann man gar nicht vergleichen“, sagt er. Buck arbeitete im Großraumbüro, sein Arbeitstag ging von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, erzählt er.

„Ich hatte eine super Zeit dort und einen tollen Arbeitgeber“, sagt Hardy Buck. Aber sein Leben sei deutlich materieller geprägt gewesen. Die Natur, die Jahreszeiten, all das habe er gar nicht wahrgenommen. Das habe sich nun geändert: „Ich lebe nun viel achtsamer, viel naturbezogener“, sagt er.

Die Schafe geben Hardy Buck und Barbara Stotz Ruhe.
Die Schafe geben Hardy Buck und Barbara Stotz Ruhe. | Bild: Nathalie Metzel

Zufällig die Geburt eines Lamms erlebt

Dabei kamen Buck und Stotz nur zufällig aufs Schaf. Aus seinem damaligen Beruf bei HP stieg Hardy Buck aus, um seinen kranken Vater zu pflegen. Vor sechs Jahren zogen Buck und Stotz auf die Höri. Bei einem Spaziergang kamen sie an einer Weide vorbei, auf der gerade ein Lamm geboren wurde. „Wir haben gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt“, sagt Barbara Stotz. Weit und breit sei kein Schäfer in Sicht gewesen.

Das Mutterschaf überlebte die Geburt nicht. Und Barbara Stotz und Hardy Buck zogen das Lamm mit der Flasche auf. „Das war am Anfang sehr anstrengend. Lämmer brauchen alle drei Stunden eine Flasche“, sagt Barbara Stotz. Und doch schlossen sie das kleine Schäfchen in ihr Herz. Resa heißt es und ist noch immer Teil der Herde.

Mit ihr fing alles an: Resa war das erste Schaf von Hardy Buck und Barbara Stotz.
Mit ihr fing alles an: Resa war das erste Schaf von Hardy Buck und Barbara Stotz. | Bild: Nathalie Metzel

Schafe sind keine Frühaufsteher

Mit der Zeit kamen immer mehr Tiere dazu. „Wenn man einmal mit dem Schaf-Virus infiziert ist, kommt man davon nicht mehr weg“, sagt Barbara Stotz und lacht. „Die Schafe haben sich für uns entschieden“, ist sich Hardy Buck sicher. Denn nach und nach hätten die Tiere zunehmend die Nähe zu Hardy Buck und Barbara Stotz gesucht.

„Die Schafe sind Gott sei Dank keine Frühaufsteher“, sagt Hardy Buck. Gegen halb zehn am Morgen geht Hardy Buck an den Stall zu seinen Tieren. Sind die Tiere versorgt, bricht Buck mit ihnen zu einem Spaziergang auf.

Anderthalb Stunden geht er mit seiner Herde durch die Landschaft auf der Höri. „Die Tiere folgen mir. Ich muss gar nicht viel machen“, sagt Buck. Ein Hütehund sei gar nicht nötig.

Mit seinen Schafen bricht Hardy Buck täglich zu Spaziergängen auf.
Mit seinen Schafen bricht Hardy Buck täglich zu Spaziergängen auf. | Bild: Nathalie Metzel

Schafe bewirtschaften Streuobstwiesen

Dann bringt er die Schafe auf eine der Wiesen in Horn. Vier Hektar stehen den Schafen zur Verfügung, sie grasen auf privaten und öffentlichen Grundstücken und bewirtschaften etwa Streuobstwiesen. „Das machen sie sehr gut. Besonders auf steilen Wiesen, auf die keine Maschinen kommen, sind die Schafe sehr hilfreich“, sagt Hardy Buck.

Lange Urlaube sind für Buck und Stotz nicht mehr möglich. „Ich dachte immer, ich werde einmal viel reisen“, sagt Barbara Stotz und lacht. „Jetzt habe ich Schafe.“ Inzwischen gönnen sich die beiden eine Woche Urlaub im Jahr. Dann kümmert sich eine gute Freundin um die Schafe.

Im Gaienhofener Ortsteil Horn grast die Herde auf einer Wiese.
Im Gaienhofener Ortsteil Horn grast die Herde auf einer Wiese. | Bild: Nathalie Metzel

Die Herde vertraut ihrem Besitzer

Barbara Stotz und Hardy Buck haben ihr Leben nach den Schafen ausgerichtet. Stotz arbeitet an vier Tagen in der Woche in Konstanz, Hardy Buck kümmert sich ausschließlich um die Schafe. „Sie kennen ihre Namen und hören auf uns“, sagt Hardy Buck. Für sie sind die Tiere etwas ganz Besonderes, weil sie keine Unterschiede zwischen den Menschen machen würden.

Und die Tiere vertrauen Hardy Buck und Barbara Stotz – wenn die Herde mit Hardy Buck an einer Straße entlangspaziert etwa. Oder wenn die beiden die Schafe bei einem schweren Gewitter in den Stall zurückbringen. „Das Vertrauen hat sich über die Jahre gebildet“, sagt Hardy Buck.

Zwischen Tier und Mensch hat sich ein großes Vertrauen gebildet.
Zwischen Tier und Mensch hat sich ein großes Vertrauen gebildet. | Bild: Nathalie Metzel

Kinder mit Förderbedarf kommen zum Schafbaden

Die Schafe von Hardy Buck und Barbara Stotz arbeiten auch mit der nahegelegenen Hannah-Arendt-Schule in Iznang zusammen. Dort werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. Regelmäßig besuchen Schulklassen die Schafherde in Horn. Die Kinder gehen mit Hardy Buck und den Tieren spazieren. Schafbaden nennen Buck und Stotz das.

„Auf die Kinder hat das einen ganz tollen Effekt“, sagt Barbara Stotz. Häufig würden die Kinder sehr aufgeregt bei den Schafen ankommen. Beim Schafbaden würden sie sich dann aber beruhigen, irgendwann mit den Schafen kuscheln und seien wie ausgewechselt. „Die Lehrer sagen uns oft, dass sie ihre Schüler gar nicht mehr wieder erkennen“, sagt Barbara Stotz.

Schafbaden hat auf viele Menschen einen beruhigenden Effekt, sagt Barbara Stotz.
Schafbaden hat auf viele Menschen einen beruhigenden Effekt, sagt Barbara Stotz. | Bild: Nathalie Metzel

Kooperation mit ZfP Reichenau

Nun gibt es ein neues Projekt: Ab Mai werden Patienten des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Reichenau zum Schafbaden auf die Höri kommen. Eine Mitarbeiterin aus der Abteilung Depressionsbehandlung sei auf die Schafherde aus Horn aufmerksam geworden. Tiergestützte Therapie gebe es dort schon – nun wolle man es mal mit den Schafen probieren.

„Wir versuchen das jetzt mal“, sagt Barbara Stotz. „Wir müssen auch schauen, dass es für unsere Tiere nicht zu viel wird.“ Denn die Tiere seien sehr sensibel. Stotz und Buck geht es vor allem darum, die Eigenschaften ihrer Schafe mit anderen zu teilen: „Wir verdienen da nicht groß dran“, sagt Barbara Stotz.

Wolle geht als Garn nach Campus Galli

Auch sonst bringen die Schafe den beiden kein Geld ein. Geschoren werden die Tiere erst nach den Eisheiligen im Mai. „Aktuell muss es sich für sie anfühlen, als hätten sie zwei Winterjacken an“, sagt Hardy Buck.

Die Wolle spenden Buck und Stotz an die Dorfgemeinschaft Lautenbach in Herdwangen-Schönach (Kreis Sigmaringen). In dem Inklusionsprojekt leben circa 500 Menschen. Dort würden Teppiche aus der Wolle hergestellt. Ein Teil der Wolle geht als Garn in die Klosterstadt Campus Galli nach Meßkirch.

Noch tragen die Schafe ihre dichte Winterwolle. Erst im Mai werden sie geschoren.
Noch tragen die Schafe ihre dichte Winterwolle. Erst im Mai werden sie geschoren. | Bild: Nathalie Metzel

Lämmer gibt es bei Hardy Buck und Barbara Stotz übrigens keine. Denn in der Herde sollen alle Tiere alt werden dürfen. Und mehr Schafe wollen die beiden nicht haben.

„Es ist schon oft anstrengend“, sagt Barbara Stotz. „Es ist schwere körperliche Arbeit.“ Denn die beiden machen das Heu für die Schafe selbst und das Klauenschneiden etwa benötige viel Kraft.

Bei den warmen Temperaturen liegen die Schafe im kühlen Schatten.
Bei den warmen Temperaturen liegen die Schafe im kühlen Schatten. | Bild: Nathalie Metzel

Auf der Wiese unterhalb der Kirche haben Stotz und Buck die Kuscheleinheiten für die Schafe inzwischen beendet. Bei ungewöhnlich warmen Temperaturen für diesen Apriltag haben es sich die Tiere wieder im kühlen Schatten bequem gemacht.

Barbara Stotz und Hardy Buck schließen den Zaun und blicken zurück auf ihre kleine Schafherde. „Wir lieben unsere Tiere“, sagt Barbara Stotz und lächelt. „Auch wenn es viel Arbeit macht.“