In Baden-Württemberg leben 167.000 Menschen, die vor der Gewalt aus der Ukraine geflüchtet sind. Auch das Leben der Familie von Anzhela Rekhta (19) veränderte der russische Angriffskrieg grundlegend.

Nach dem Überfall suchten sie und ihre Familie in Deutschland Schutz. Im März 2022 flohen Anzhela, ihr Vater Oleksandr, ihre Mutter Larysa und ihr Bruder Denys (13) aus ihrer Heimatstadt Kiew.

In Kiew führte Oleksandr Rektha eine Firma für Technik, die zur Notrettung auf dem Wasser gebraucht wird. Das Lager und die Produktionsstätte wurden mittlerweile zerstört. So fehlt dem Familienvater für eine eventuelle Rückkehr die berufliche Grundlage. Anzhela selbst trug bei der Flucht nur eine kleine Tasche mit ihren Dokumenten, etwas Kleidung und dem Handyladekabel mit sich.

Die ersten Kriegstage hatte die Familie in Butscha, dem kleinen Dorf verbracht, in dem die russische Armee später ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichtete. „Dort haben wir gemerkt, dass wir das Land verlassen müssen“, blickt Anzhela zurück. Die Großeltern sind noch in Kiew. Sie wollen ihre Heimat nicht mehr verlassen. Über eine Bekannte fand die Familie rasch eine Wohnung in Meßkirch.

Sie will in Deutschland studieren und wohnen

Anzhela selbst studiert online an einer ukrainischen Universität Psychologie und möchte als Sozialarbeiterin in Deutschland arbeiten. Mit ihrem ukrainischen Abschluss kann sie in Deutschland nicht als Psychologin arbeiten. Daher sucht sie in Nürnberg einen Studienplatz in Richtung Sozialwissenschaften.

Bei einer Bäckereikette in Meßkirch verdient die Studentin eigenes Geld. Anzhelas Vater hatte nach der Ankunft schnell eine Arbeit als Hausmeister an der Goldöschschule gefunden. Anzhelas Mutter arbeitet im Verkauf, der Bruder besucht die Schule.

„Ich will in Deutschland studieren und wohnen. Ich weiß nicht, wie lange der Krieg in der Ukraine andauert. Das kann noch Jahre dauern“, sagt die junge Frau. In Deutschland sei die Familie gut aufgenommen worden und habe viel Hilfe erfahren. Dafür ist Anzhela dankbar.

Als Übersetzerin unterstützt sie Geflüchtete

Sie will den Deutschen etwas zurückgeben. Bereits in der Ukraine hatte sich Anzhela ehrenamtlich engagiert, in einem Waisenhaus und bei der Hilfe für Ältere. Nur etwa ein Jahr brauchte sie, um Deutsch sicher zu beherrschen. Bei weniger gebräuchlichen Begriffen nimmt sie die Übersetzungs-App auf dem Smartphone zu Hilfe.

Sobald sie in Meßkirch Fuß gefasst hatte, brachte sie sich ehrenamtlich ein. Drei Jahre half sie in der Kleiderkammer, die hauptsächlich von ukrainischen und syrischen Geflüchteten aufgesucht wurde. Als Übersetzerin unterstützt sie ukrainische Geflüchtete bei Behördengängen und der Post. Ferner betreut sie einen Ukrainer mit Behinderung.

Eines fällt ihr in Deutschland besonders auf: „Die Menschen in Deutschland sind ganz anders, viel freundlicher, grüßen sich auf der Straße. Das kenne ich von meiner Heimat nicht.“ Sie hat etwas gegen unzufriedene Landsleute, die auf Kosten des deutschen Staates leben. „Wenn der Krieg einmal vorbei ist, kann es sein, dass ich in die Ukraine zurückkehre“, sagt sie. Die Ukraine sei noch ihre Heimat.

Anzhela vermisst ihre Großeltern, aber sie will Abstand zum Krieg halten. Dass Freunde bei Angriffen gestorben sind, belastet sie, ebenso wie die Angst um ihre Angehörigen in Kiew. Beim Spaziergang im Meßkircher Hofgarten kann die Ukrainerin das Leid in der Heimat hinter sich lassen. Er ist ihr neuer Lieblingsort geworden.