Strom, Spannung, Widerstand – Begriffe aus der Welt der Elektrizität. Aufs Wasserkraftwerk in Gündenhausen passen sie aber auch im übertragenen Sinne. Hier am Gewerbekanal wird nicht nur Strom erzeugt, es wurde auch politisch gegen den Strom geschwommen.

Wasser rauscht im Seitenkanal vorbei. Tatsächlich aber täuscht das Geräusch. Die Wassermenge im Gewerbekanal ist an diesem Sommertag so spärlich, dass die beiden Turbinen abgestellt sind. Da der Fluss Wiese bei Wasserknappheit Vorrang hat, kommt es immer mal wieder vor, dass für den Kanal nicht genug Wasser abgezweigt werden kann, um alle vier Kraftwerke am Gewerbekanal am Laufen zu halten.

Wenn Wasser rar ist, stehen Wartungsarbeiten an

Die Sommermonate werden daher gerne für Wartungsarbeiten genutzt, erklärt Tim Schöne, Betriebsleiter Kleinkraftwerke bei der Energiedienst (ED). Eine der beiden Turbinen ist beim Besuch denn auch gar nicht vor Ort. Sie wurde ausgebaut und zur Überholung weggebracht. Vor dem Rechen, der Treibgut aller Art herausfiltert – Schöne: „Alles, was Schopfheim so hergibt, findet sich hier. Von gelben Säcken bis toten Rehen und Wildschweinen.“ – ist der sonst so munter sprudelnde Kanal so etwas wie ein stehendes Gewässer.

Eine vermietete Wohnung im Obergeschoss

An sich jedoch ist das Kraftwerk in Gündenhausen ein energiegeladener Ort. Auch wenn das Gebäude nahe des Kreisels gar nicht wie ein Kraftwerk aussieht, sondern – rotes Ziegeldach, Mansarde, Holzbalken im Mauerwerk, Vorhänge an den Fenstern – wie ein beschauliches Wohnhaus. Tatsächlich befindet sich auch im Obergeschoss eine vermietete Wohnung. „Bei allen Kraftwerken, die damals in jener Zeit entstanden, war es so üblich, dass sie eine Wohnung hatten“, erzählt Schöne. Anfangs hätten die Betriebsleiter vor Ort gewohnt – bis dies wegen der zunehmenden Automatisierung nicht mehr länger erforderlich war.

Die Anfänge reichen zurück bis ins Jahr 1910

Die Anfänge des Kraftwerks in Gündenhausen reichen zurück ins Jahr 1910. Damals im Juli stellte die Papierfabrik Johann Sutter das Gesuch, ein Wasserkraftwerk bauen zu dürfen. Schon vier Monate später lag die Genehmigung vor, wenige Monate später im Jahr 1911 ging es in Betrieb – aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar schnell.

Wirtschaftliche Probleme und die Übernahme

1934 gerät die Johann Sutter Papierfabrik AG in wirtschaftliche Probleme. Im Januar 1937 kaufen die damaligen Kraftübertragungswerke Rheinfelden KWR – heute Energiedienst – das Kraftwerk einschließlich Leitungsnetz, die Stadt erhält für den Verzicht auf das Rückkaufsrecht und für das Verteilnetz eine Entschädigung.

Umfangreiche Modernisierungen folgen

1989 bis 1991 wird das Kraftwerk samt Wohnung saniert, 2002 die Steuerung und die Schaltanlage erneuert. Die Anlage ist seitdem weitgehend voll automatisiert. 2016 rollt eine umfassende Modernisierungswelle an: Bis dahin hatten sich in den beiden Turbinenschächten mehr als 100 Jahre lang zwei Francis-Turbinen gedreht, die über Wellen zwei ebenso alte Generatoren im Maschinenhaus antrieben. Neue Kaplan-Turbinen werden eingesetzt, in denen die Generatoren schon eingebaut sind. Die beiden Einheiten – jede wiegt ungefähr fünf Tonnen – arbeiten seitdem komplett unter Wasser. Auch die Steuerungs- und Schaltanlagentechnik wird nochmals modernisiert.

So viel Strom liefert das Kraftwerk

Rechnerisch liefert das Kraftwerk pro Jahr Ökostrom für rund 300 Haushalte (durchschnittliche Jahresproduktion 0,9 Millionen kWh). Die beiden alten Generatoren gingen in den Ruhestand. Als stumme Zeitzeugen der Anfänge der Stromerzeugung im Wiesental stehen sie aber weiter im Maschinenhaus. Sie sind der absolute Blickfang – zumal das weitere Interieur unspektakulär wirkt: Schaltschränke, eine Werkbank, ein ausgedienter Laufkran an der Decke.

Überhaupt wirkt im Inneren manches wie ein Relikt aus vergangener Zeit, etwa das Waschbecken neben dem Eingang. Rauf ins Obergeschoss geht es über hölzerne Treppenstufen, die bei jedem Schritt knarren – erst recht der Boden oben auf der Bühne.

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In der Nazizeit ein Ort des Widerstands

Geräumig wirkt das Gebäude nicht. Trotzdem soll es während der Nazi-Herrschaft möglich gewesen sein, hier Gegenstände zu verstecken. Überliefert ist, dass das Kraftwerk ein Ort des Widerstands war. So hatte sich hier am Tag der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 die Schopfheimer Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold versammelt.

Das ist das Schopfheimer Reichsbanner:

Vorsitzender Walter Faller und seine Mitstreiter warteten im Kraftwerk, „bis der Befehl von Magdeburg aus dem Hauptquartier des Reichsbanners kam, im Wiesental loszuschlagen“, wie in Fallers Erinnerungen, aufgezeichnet von Alt-Stadtrat Artur Cremans, zu lesen ist. „Wir saßen mit Pistolen und Karabinern bewaffnet bereit. Es wäre für uns kein Problem gewesen, die SA im großen und kleinen Wiesental völlig fertig zu machen.“ Doch das Hauptquartier scheute vor einem Bürgerkrieg zurück.

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Die Polizei stürmt das Gebäude – SA und SS warten draußen

Erneut zum Schauplatz wird das Kraftwerk am 1. November 1933. Faller feiert hier seinen Geburtstag mit Freunden, Polizisten stürmen herein, um die vermeintliche verbotene politische Versammlung aufzulösen, draußen vor der Tür stehen zudem 20 SA- und SS-Männer. Faller hat Glück: Er trägt ein illegales Flugblatt bei sich. Er wird aber nicht durchsucht.

Bei Gegenständen des Reichsbanners war Faller schon einige Zeit auf Nummer Sicher gegangen: Zwei Pistolen hatte er in den Turbinenkanal geworfen. Vor allem aber: Die reich verzierte Fahne des Reichsbanners überstand die Terrorherrschaft der Nazis verschweißt in einem Metallbehälter, der im Turbinenhaus versteckt wurde.