Julia Wendl ist offensichtlich pflichtbewusst und ordentlich. Die Schalen, die nach dem Trennen der Eier auf dem Teller liegen? Werden sofort im Biomüll entsorgt. Die Eiweißspritzer, die beim Aufschlagen auf der Arbeitsfläche landen? Werden sofort weggewischt. „Es muss ja alles sauber und aufgeräumt sein“, sagt die 29-Jährige und strahlt über das ganze Gesicht.
Überhaupt strahlt sie sehr viel und sehr oft an diesem Vormittag. Julia Wendl lacht, weil sie glücklich ist. Und sie ist dankbar für die Chance, sich an einem Vormittag pro Woche in der Küche und im Frühstücksservice des Restaurants Ko‘Ono in Konstanz-Litzelstetten zu beweisen. Zu zeigen, dass sie eine ganz normale junge Frau ist, die ihr Leben so selbstständig wie möglich meistern kann. Selbstverständlich ist dieser Weg nicht. Denn Julia Wendl hat das Down-Syndrom.

Normalerweise ist der erste Arbeitsmarkt für Menschen wie sie kaum zu erreichen – also der reguläre Arbeitsmarkt, auf dem die Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse der freien Wirtschaft bestehen. Der zweite Arbeitsmarkt hingegen bietet geschützte Arbeitsplätze, etwa in Werkstätten, für alle Menschen, die Schwierigkeiten haben, auf dem regulären Markt aus eigener Kraft und ohne Förderung eine Stelle zu finden. Menschen wie Julia Wendl. Nur, dass sie nun einen anderen Weg geht.
Seit Oktober absolviert Wendl ein Praktikum im Restaurant. Ab dem 1. Januar wandelt sich das in eine Festanstellung um – als sogenannter ausgelagerter Arbeitsplatz. Das heißt, sie ist weiterhin in der Werkstatt Seewerk der Caritas angestellt, wo sie zusätzlich vier Tage pro Woche arbeitet.

„Damit hat die Beschäftigte einen Rückzugsort und damit eine Sicherheit“, erklärt Tim Schwenke, Gruppenleiter im Seewerk und somit Ansprechpartner und Bezugsperson von Julia Wendl. Der reguläre Arbeitgeber auf dem ersten Arbeitsmarkt, in diesem Fall das Ko‘Ono, zahlt den Lohn für ihre Arbeitskraft an die Caritas, die wiederum das Gehalt an Julia Wendl weitergibt.
Mit dem Bus geht‘s zur Arbeit
Die 29-Jährige fährt mittlerweile selbstständig von ihrem Wohnheim in Konstanz mit dem Bus nach Litzelstetten und nach Dienstschluss wieder zurück. „Ich kann zwar nicht lesen“, erzählt sie, „aber ich erkenne die Nummer auf dem Bus, den ich nehmen muss.“
Das bereite ihr so viel Spaß wie die eigentliche Arbeit. „Die Busfahrer und die Menschen sind sehr nett. Sie freuen sich jedes Mal, wenn ich komme. Das mag ich sehr.“ Derzeit arbeitet sie an einem Tag pro Woche von 8 bis 12 Uhr. Mit der Festanstellung und zunehmender Routine soll das sukzessive angehoben werden.
Wie steht‘s um die Bezahlung?
Da die Beschäftigten zu Beginn in der Regel noch nicht in der Lage sind, einen Arbeitsplatz mit den geplanten Anforderungen zur Gänze auszufüllen, werden sie zunächst unter Mindestlohn bezahlt. „Beeinträchtigungen werden abgezogen“, erklärt Sandra Sorgatz vom Fachdienst Betriebliche Inklusion bei der Caritas Konstanz, die Julia vom ersten Tag an begleitete.
„Julia ist ein tolles Beispiel, wie es klappen kann“, sagt sie weiter. „Der Betrieb ist wirklich vorbildlich, Julia wird ohne Druck 1:1 begleitet und unterstützt. Auch die Familie steht voll dahinter. Das kann man wirklich als Leuchtturm der Inklusion bezeichnen.“
Für viele Betroffene sei der erste Arbeitsmarkt überfordernd. „Da muss man dann genau beobachten, was überhaupt möglich ist. Wir stoßen da auch mal an Grenzen. Umso schöner ist es zu sehen, dass Julia es geschafft hat.“
Trinkgeld von zufriedenen Gästen
Die Frühstückszeit im Ko‘Ono neigt sich langsam dem Ende zu. Die Hotelgäste verabschieden sich in den Tag. Julia erhält ein paar Euro Trinkgeld, was sie vor Stolz fast platzen lässt. Doch pflichtbewusst räumt sie zunächst einmal Teller und Tassen weg, versorgt diese im Spülraum: Essensreste in den Mülleimer, Besteck in den dafür vorgesehen Kasten, das Geschirr in die Maschine.

Bevor das Büffet abgeräumt wird, nehmen die Mitarbeiter ein zweites Frühstück ein. Julia Wendl sitzt mit Ko‘Ono-Chefin Jacqueline Perk und Caritas-Gruppenleiter Tim Schwenke, der zum SÜDKURIER-Interview als Hilfe erschienen ist, an einem Tisch. Genüsslich beißt sie in ein Laugenbrötchen. „Die liebe ich“, sagt sie. „Genau wie alle Menschen hier. Alle sind so freundlich und so lieb.“