Der Erste Weltkrieg wirkte als Motor der Emanzipation. So war es lange gängige Meinung. Sprachen die Fakten nicht für sich? Die Frauen hatten sich massenhaft in die "Heimatfront" eingereiht und dabei auch die Arbeit von Männern übernommen. Sie waren praktisch zu einem Eckpfeiler der Kriegswirtschaft geworden. Klar, dass die Einführung des Frauenwahlrechts da nur eine logische Folge sein konnte. Wer hart gearbeitet hatte, wurde nun durch Gleichstellung belohnt.

Heute sieht man die Sache anders. Zunächst: Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es in den aufstrebenden deutschen Industriestädten viele Arbeitsplätze für Frauen. Das wird am Textilbetrieb von Schiesser in Radolfzell anschaulich. Bei fast allen Produktionsschritten – vom Garnspinnen bis zur Verpackung der Waren waren Frauen maßgeblich beteiligt.

Die Mechanisierung und vor allem die Entwicklung von kleinen handlichen Maschinen wie der Nähmaschine hatten dem Einsatz von Frauen in der Produktion Vorschub geleistet.

In modernen Fabrikhallen mit viel Tageslicht konnte eine dreistellige Zahl von Arbeiterinnen beschäftigt sein. Diese Beschäftigung galt damals als durchaus erstrebenswert und war – im Vergleich mit den Löhnen in der Landwirtschaft – gut bezahlt. Dennoch war die Arbeit mühevoll. Der verbindliche Achtstunden-Arbeitstag wurde in Deutschland erst im Lauf des Krieges 1916 eingeführt – und nach Kriegsende dann beibehalten.

Auch in den Fabriken der Lebensmittelbranche waren seit der Jahrhundertwende tausende von Arbeitsplätzen für Frauen entstanden. Zu den Betrieben zählte Maggi in Singen, wo Gründer Julius Maggi 1887 ein Warenlager eingerichtet hatte, das dann zur Fabrik für Brühwürfel und (Maggi-)Würze ausgebaut wurde.
Frauen beim Kohlputzen
In der Produktion waren Frauen vor allem deshalb willkommen, weil die Arbeit von ungelernten Beschäftigten bewältigt werden konnte und keine besondere Körperkraft erforderte, wie es etwa in der Schwerindustrie der Fall war.

Maschinen für die Reinigung von Flaschen und Glasbehältern gab es damals noch nicht. Deshalb war viel Handarbeit zu verrichten. Auch das machten bei Maggi Frauen.

Im Lauf des Krieges wurden viele Maggi-Arbeiter als Soldaten einberufen. Deshalb war es notwendig, dass jetzt Frauen einen Teil ihrer Arbeit mit übernahmen. Dazu gehörte auch der Transport schwerer mit Mehl gefüllter Säcke.

Frauenarbeit wurde im Ersten Weltkrieg also aufgewertet, weil es an Männern oft mangelte. Aber ein Umbruch war damit nicht verbunden. Der hatte schon vor dem Krieg stattgefunden. Studien haben gezeigt, dass der Anteil erwerbstätiger Frauen zwischen 1914 und 1918 zwar zunahm, der Anstieg jedoch geringer war als in den Vorkriegsjahren.
Frauen bauen Maschinen
Es kam aber zu Verschiebungen – und zwar durch einen enormen Anstieg weiblicher Arbeitskräfte im Maschinenbau und in der Rüstungsindustrie. So nahm die Zahl der Frauen in der Stockacher Fabrik des Landmaschinenherstellers Fahr deutlich zu.

Auch bei der Motorenbau GmbH in Friedrichshafen (später Maybach Motorenbau) brauchte man Frauen als Ersatz für fehlende männliche Arbeitskräfte. 1917 gab es hier mehr als 500 weibliche Arbeitskräfte, die ein Viertel der Belegschaft stellten.

Viele Frauen hatten die Arbeit in den Rüstungsfabriken auch deshalb angenommen, weil sie besser bezahlt war. Die Löhne in der Lebensmittel-Industrie lagen niedriger, und Hausangestellte verdienten sowieso viel weniger. So war die Fabrikarbeit – auch wenn man mit gefährlichen Materialien umgehen musste und auch Unfälle vorkamen – eine attraktive Sache, zumal es Kantinen gab und eine betriebliche Sozialfürsorge.
Auf dem Land war es anders
Aber man darf diese Neu-Ausrichtung nicht zu hoch bewerten. Gerade in den ländlichen Gebieten war es kaum möglich, nicht berufstätige Frauen zu bewegen, ihr gewohntes Umfeld von Heim und Familie zu verlassen. Das wäre in einer von Landwirtschaft geprägten Gegend kaum möglich gewesen. Daher bleiben die Frauen dort, wo sie waren – auch in Oberschwaben und im Hegau.

Seltene Bilder dokumentieren den Alltag von damals. Fotografen waren noch mit schweren Kameras auf Dreibein-Stativ unterwegs und belichteten beschichtete Glasplatten. Deren Bildqualität ist auch 100 Jahre danach beeindruckend.

Als der Krieg im November 1918 verloren war, hatten viele Industriearbeiterinnen das Nachsehen – nämlich jene, die die Jobs von Männern übernommen hatten. Sie mussten den Heimkehrern wieder Platz machen. Von Emanzipation konnte hier also keine Rede sein. Zeitungen wie die "Freie Stimme" in Radolfzell hatten zu veröffentlichen, wer gehen musste, so etwa "Frauen und Mädchen, die an solchen Stellen sind, die mit Männern besetzt werden können". So will es der Bürgermeister sowie der lokale Arbeiter- und Soldatenrat.
Verdienste für die "Heimatfront"
Auch wenn es Entlassungswellen gab – die Wertschätzung weiblicher Arbeit war durch den Krieg gefördert worden. Nicht nur in den Fabriken, sondern auch als Krankenschwestern und Truppenhelferinnen in der Etappe hatten Frauen wertvolle Dienste geleistet. In der Landwirtschaft hatten sie die Dinge am Laufen gehalten.

Die Anerkennung dafür sollte bleiben, und daher wurden die Frauen im Wahlkampf Ende 1918/Anfang 1919 auch besonders umworben.