Ein Festival ist eine kleine Stadt auf Zeit, die von den Besuchenden fordert, sich zeitweise gültige neue Lösungen einfallen zu lassen und auf alte Tricks zu vertrauen. Als sich am Freitagnachmittag unter strahlend blauem Himmel die Tore des Campus Festivals öffnen und die Besucher hüpfend und tanzend den Rasen vor der Bühne stürmen, ist aber erst mal alles perfekt.

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Schon die Stimmung auf dem Zeltplatz war super, „Wir haben auf dem Zeltplatz niemanden über 29 gesehen“, erzählt Annika van Straelen aus Bonn. Ihre Freundin Lea Mack stammt aus der Gegend und zeigt ihrer Clique ihre Heimat – und das Highlight wird das Campus-Festival.

Im Stadion beginnen bald die Rituale des sich Erkennens: Ein Mann winkt wie ein Bodenlotse, der ein Flugzeug nach der Landung einweist, damit seine Freunde ihn in der Menge sehen. Andere haben sich gleich in Signalkleidung gehüllt, Freundesgruppen mit identischen Oberteilen steigen die Stufen ins Stadion herab. Auf ihn folgt eine Gruppe, die froschförmige Hüte trägt.

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Modisch ist Konstanz wahrscheinlich nie interessanter, kein Outfit sieht einfach nur praktisch aus. Man sieht viel Haut, bunte Kopftücher gegen die Sonne, die auf den mit Glitzer geschmückten Wangenknochen von Männern wie Frauen schillert. Wem es zu heiß wird, sucht sich unter Baldachinen am Rand, auf dem Rot der Tartanbahn, etwas Schatten.

Heiße Kandidaten für das originellste Schuhwerk: Fisch-Treter mit Frosch-Socken auf dem Campus-Festival.
Heiße Kandidaten für das originellste Schuhwerk: Fisch-Treter mit Frosch-Socken auf dem Campus-Festival. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Die Hitze nimmt auch die Bühnentechnik in Mitleidenschaft: Chabo102 stimmt dreimal sein Loblied auf seine Heimat, die „allerschönste Hansestadt“ Hamburg an, bis es läuft. Er entschuldigt sich: „Irgendwas überhitzt hier gerade. Vielleicht kriegen wir es gefixt.“ Es klappt. Sein Lied über „Schietwetter und Korn“ ergänzt er um ein Kompliment an Konstanz: Das Alpenpanorama überm See findet er auch ziemlich schön.

Das überlastete Funknetz am Hörnle führe den Besucherinnen und Besuchern im Laufe des Tages ihre Verwachsungen mit dem Mobiltelefon vor Augen. Dass bei Massenveranstaltungen Websites nicht mehr aufgerufen werden können, Anrufe nicht mehr klappen oder Textnachrichten nicht mehr übertragen werden, ist ganz normal.

So viele Menschen, so viele Handys, hier beim Abschluss am Freitag mit KIZ: Da sind die Besucherinnen und Besucher des Campus-Festivals ...
So viele Menschen, so viele Handys, hier beim Abschluss am Freitag mit KIZ: Da sind die Besucherinnen und Besucher des Campus-Festivals plötzlich wieder auf andere Kommunikationswege zurückgeworfen. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Dann gilt es, sich zu verabreden, ein erprobter Festival-Trick ist der feste Treffpunkt einer Gruppe zur vollen Stunde, und auch pünktlich da zu sein. Ein Stift ist plötzlich wieder Gold wert: Um eine Telefonnummer für später zu notieren oder eine Liedzeile, um später einen Song zu finden, der besonders gefiel.

Dem Getränkeausschank hilft das am Freitagnachmittag aber nicht weiter: Die Kartenlesegeräte streiken immer mal wieder für einige Minuten, das führt zu entschuldigendem Schulterzucken hinterm Tresen. „Am Hörnle war immer schon das krasseste Funkloch. Jetzt haben wir 30 Grad und können keine Getränke verkaufen“, sagt eine Tresenkraft. Das weitgehend bargeldlose Festival hat eine Lösung dafür vorbereitet. Wer sich am Infopoint mit Wertmarken versorgt hat, trägt ohne lange Wartezeit seine Getränke an den Wartenden vorbei.

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Eine Festival-Wahrheit lautet auch, dass das perfekte Line-Up aus Künstlern besteht, die man unbedingt sehen will und solchen, die einem nicht so wichtig sind, weil man in der Zeit hat, sich mit Essen und Getränken zu versorgen. In der Schlange versucht auch Heidi Murphy aus Dresden ihr Glück. Sie hat sich seit dem Vortag einen kleinen Sonnenbrand geholt. Ihre Freundin Emely Karius tanzt gerade begeistert zum Auftritt von Ennio, da wäre Wasser holen unmöglich.

Nächstes Mal mehr Sonnencreme: Heidi Murphy ist aus Dresden angereist.
Nächstes Mal mehr Sonnencreme: Heidi Murphy ist aus Dresden angereist. | Bild: Donata Künßberg

Lina Müller und ihre Freundinnen erholen sich für einen kurzen Moment zusammen an der Seitentribüne. Sie haben sich an einer der Ausgabestellen Wasser geholt, das für die Gäste kostenfrei zur Verfügung steht. Sie haben eine gute Zeit auf dem Festival, aber auch einen Verbesserungsvorschlag: „Das Wetter ist fantastisch, aber Sonnenschutz wär gut. Ich war mal auf einem Festival, da wurde Sonnencreme ausgeben“, erzählt Lina, dann sprintet die Gruppe davon, zurück ins Getümmel vor der Bühne.

Mit Freundinnen ist sie ins Bodenseestadion gekommen: Lina Müller (ganz rechts).
Mit Freundinnen ist sie ins Bodenseestadion gekommen: Lina Müller (ganz rechts). | Bild: Donata Künßberg

Melanie Thilenius und Christoph Seibel könnten da weiterhelfen. Die beiden sind als Awarenessteam auf dem Gelände unterwegs, das heißt, sie unterstützen Menschen, die sich unwohl fühlen oder etwas Unangenehmes erlebt oder beobachtet haben. „Wir sind für alle physischen und psychischen Bedürfnisse da, kommt zu uns an die Stände oder sprecht uns an“, lädt Thilenius ein. Insgesamt 20 Leute der Konstanzer „Initiative Nachtlicht“ sind an den Festivaltagen vor Ort, an ihren pinken Warnwesten erkennt man sie von weitem.

Melanie Thilenius vom Awarenessteam unterstützt wie alle anderen Helferinnen und Helfer in pinken Westen in schwierigen Situationen.
Melanie Thilenius vom Awarenessteam unterstützt wie alle anderen Helferinnen und Helfer in pinken Westen in schwierigen Situationen. | Bild: Donata Künßberg

Die Veranstalter haben neben den Awarenessteams auch lokale Vereine und Initiativen eingeladen, die mit keinen Spielen wie Dosenwerfen oder keinen Klebebildchen für die Haut ins Gespräch kommen wollen. „Hier sind junge Leute, eher keine Grosspender, erzählt Hannes Hänßler von der Seenotrettungsorganisation „Sea-Eye“. „Hier steht heute der Spaß im Vordergrund, wir freuen uns, von den Veranstaltern einen Space zur Verfügung gestellt zu bekommen und auf unsere Arbeit aufmerksam machen zu können.“

Findet es toll, dass auf dem Campus-Festival auch Raum für gesellschaftliche Anliegen die wie Seenotrettung im Mittelmeer ist: Hannes ...
Findet es toll, dass auf dem Campus-Festival auch Raum für gesellschaftliche Anliegen die wie Seenotrettung im Mittelmeer ist: Hannes Hänßler von der Organisation „Sea-Eye“. | Bild: Donata Künßberg

Nebenan werben Studierende für ihre Spieleabende. Die internationale Studentin Ilinca Dascaleanu aus Rumänien freut sich wahnsinnig darüber, durch die Mitarbeit auf dem Festival einen Einblick in ein normales Studentenleben in Deutschland zu gewinnen. „Wir internationalen Studierenden verbringen ganz viel Zeit untereinander. Es ist toll, so mal aus unserer Bubble rauszukommen!“, stimmt ihr ihre Kommilitonin Rina Kusui aus Japan zu.

Lernen eine neue Facette des Studentenlebens in Deutschland kennen: Ilinca Dascaleanu und Rina Kusui.
Lernen eine neue Facette des Studentenlebens in Deutschland kennen: Ilinca Dascaleanu und Rina Kusui. | Bild: Donata Künßberg

Was sich ebenfalls erneut zeigt: Das Campus-Festival ist nach dem Umzug von der Universität ins Bodenseestadion größer geworden. Es zieht Menschen von weiter her nach Konstanz, das bedeutet leider auch, dass irgendwann Leute dabei sind, die keine Rücksicht auf andere nehmen wollen.

Und wenn nur ein Bruchteil der Besucher keine Rücksicht nimmt, ändert sich schon was: „Bei so vielen Leuten ist ein Bruchteil zu viel“, sagt Jule Peerenboom. Sie hat den Freitag auf Krücken auf dem Festival verbracht und hatte Sorge, dass jemand auf ihr verletztes Bein treten könnte. Außerdem saß sie oft allein auf der Tribüne, weil sie ihre Freunde nicht erreichen konnte.

Dafür nimmt sie eine Idee mit in die Zukunft: Jule Peerenboom hat Leute mit Walkie-Talkies auf dem Gelände gesehen – eine gute Idee, das schwache Netz am Hörnle mit einem einfachen Funkgerät auszutricksen und vielleicht der Festival-Tip fürs nächste Jahr.

Ist besonders auf die Achtsamkeit der anderen Festivalgäste angewiesen: Jule Peerenboom hat sich am Fuß verletzt und will trotzdem feiern.
Ist besonders auf die Achtsamkeit der anderen Festivalgäste angewiesen: Jule Peerenboom hat sich am Fuß verletzt und will trotzdem feiern. | Bild: Donata Künßberg