Liselotte Noth

Küssaberg - „Arbeite in der Lonza, dann hast du einen Job fürs Leben.“ Nach diesem Rat haben etliche Familien gehandelt. Insbesondere in der Lonza-Siedlung in Ettikon, wo den Arbeitnehmern günstiger Wohnraum zur Verfügung stand. Die Lonza-Werke – benannt nach dem Wildbach im Kanton Wallis, wo das Hauptwerk der Gesellschaft lag – errichteten nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Areal des von ihnen gekauften Ettikoner Hofs die Wohnsiedlung.

„Es herrschte hier immer ein wunderbares Zusammenleben – man war nie allein“, erinnert sich Christel Mangelsdorf. Sie wurde in Ettikon geboren und beschließt hier auch ihren Lebensabend, weil, wie es die 73-Jährige formuliert, „es mir hier sehr gut gefällt, es hier ruhig ist und wir bis heute ein schönes nachbarschaftliches Verhältnis haben.“ 1920 wurden die ersten Häuser gebaut, weitere folgten 1922. 1961 registrierte die Gemeinde Kadelburg 35 Gebäude mit 90 Haushalten und 317 Einwohnern. Heute sind es 298 Einwohner trotz weiterer Gebäude, die in den 1990er Jahren dazu kamen.

Die Wohngegend war bei den „Lonzianern“ beliebt und wer in der Siedlung Ettikon leben wollte, musste zwei Bedingungen erfüllen: verheiratet sein und Familie haben. „Jedes Haus hatte einen großen Garten, außerdem einen Schweinestall“, erinnert sich Christel Mangelsdorf, deren Eltern zusätzlich Hühner, Hasen und Truthähne hielten. Den Siedlern standen durchschnittlich 1500 Quadratmeter Gelände zur Verfügung. Sie waren Selbstversorger. Zeitweise gab es bis zu drei Lebensmittelgeschäfte sowie mindestens sechs Getränkeabgaben.

Die Lonza-Werke unterhielten unter Leitung der Handarbeitslehrerin „Fräulein Hildenbrand“ einen Kindergarten, der nachmittags den Schulkindern offen stand, die das Flötenspiel und das Weben erlernten oder Theaterspiele für Aufführungen einstudierten. Milch und Pudding gab es kostenlos. „Und Lehrer Haasler ärgerte sich immer, dass wir die Volkslieder schon alle kannten, die er uns in der Schule beibringen wollte“, sagt Christel Mangelsdorf, die viel Freude an diesen Erinnerungen hat.

In der Siedlung war eine Poststelle, es gab ein Café mit Bäckerei und Konditorei bei Hermine Maier. Dort durften die Frauen ihre Kuchen backen. Im zentralen „Wäschhüsle“ wurde gewaschen. Die Männer gaben dem Siedlungsleben Impulse. Wie Franz Fischer mit seinen Fasnachtsaktivitäten: Die Ettikoner Fasnachtswagen holten in Tiengen immer die ersten Preise. Ettikon gründete 1958 einen Narrenverein, der im Sommer Waldfeste ausrichtete und Kinderverschickungen mit vielen Angeboten organisierte. 56 Mark Miete im Monat hatten die Siedler zu bezahlen. Wenn am Haus Reparaturen anstanden, übernahmen diese die Lonza-Werke. Als nach Schließung des Werks in Waldshut die Häuser für je etwa 70 000 Mark zum Verkauf standen, blieben bis auf eine Familie alle in Ettikon.

Chronik Lonza-Areal

  • 1913: Lonza Waldshut wird erste Auslandsniederlassung der Lonza AG.
  • 1978: Wirtschaftlicher Zenit der Lonza Waldshut, 1400 Mitarbeiter produzieren anorganische und organische Basisprodukte.
  • 1993: Betriebsschließung aus wirtschaftlichen Gründen. 570 000 Quadratmeter Werksgelände mit schweren Umweltbelastungen bleiben zurück.
  • 2004: Erster Investor erwirbt Gewerbegrundstück auf dem Areal. Spatenstich vor der Phoenix-Halle zu Sanierung und Rückbau.
  • 2005 bis 2009: Sanierung
  • 2005: Städtebaulicher Vertrag, Bebauungsplan Gewerbepark Hochrhein
  • 28. Juni 2005: Sprengung des Kamins, Renovierung von Liegenschaften.

Damals und heute

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Zwei Lonzianer erinnern sich

Christel Mangelsdorf wurde in Ettikon geboren und hat die Siedlung als Wohnort nie verlassen. Sie hatte Glück. Nach ihrem Vater Fritz Grieshaber – er war Kranführer in der Lonza – hatte auch ihr Ehemann Hans in den Lonza-Werken in Waldshut Arbeit gefunden. Dadurch waren die Bedingungen für ein Wohnen in der Arbeitersiedlung erfüllt. „Wir sind nur von einer Straße in die andere gezogen, wenn ein Kind geboren wurde und wir eine größere Wohnung gebraucht haben“, erzählt die Mutter von fünf Kindern.

So zog die Familie von der Waldshuter- in die Ringstraße, zum Lonzaplatz und lebt heute wieder im eigenen Haus in der Waldshuterstraße. Die heute 73-Jährige wuchs mit vier Geschwistern auf. „Wir hatten eine schöne Kindheit. Ettikon ist mir ans Herz gewachsen“, sagt Mangelsdorf. Durch die rege Bauaktivität nach Schließung der Lonza-Werke und dem damit verbundenen Verkauf der Häuser ist ihr Grundstück zwar um die Hälfte auf 800 Quadratmeter geschrumpft. „Aber auch damit habe ich noch genug Arbeit“, sagt die Gärtnerin aus Leidenschaft.

Hans Mangelsdorf war 33 Jahre lang Staplerfahrer in den Lonza-Werken und ist voll des Lobes über die Loyalität des Arbeitgebers. „Wir hatten stets ein gutes Miteinander im Betrieb“, erzählt der 82-Jährige. „Es war eine herrliche Zeit, als ich im Januar 1964 nach Ettikon gekommen bin.“ Habe am Wohnhaus eine Reparatur angestanden, seien sämtliche Baumaterialien bürokratie- und kostenlos von der Lonza zur Verfügung gestellt worden.

„Für 50 Pfennig konnten wir in der Kantine so viel zu Mittag essen wie wir wollten“, erzählt Mangelsdorf. Der Stundenlohn habe anfänglich zwar nur bei 2,10 Mark gelegen. „Dafür aber gab es Schicht-, Staub- und Nachtzulagen.“ Gearbeitet wurde in drei Schichten, zur Arbeit ging es in den ersten Jahren mit dem Fahrrad. „Bei Glatteis sind wir alle miteinander zur Arbeit gelaufen.“ Es sei eine schöne Zeit gewesen, wobei der Rentner besonders die damalige Kameradschaft hervorhebt „Wir hatten so viele Originale unter den Kollegen, das war eine wahre Freude.“ Übrigens: Der Stundenlohn von Hans Mangelsdorf hatte sich zuletzt auf 16 Mark gesteigert und der langjährige Lonzianer stellt zufrieden fest. „Ich kann nichts Schlechtes über meinen ehemaligen Arbeitgeber sagen.“ (tn)