Eine Tür trennt den hellen Morgen vom dunklen Reich des Rausches. Draußen gehen die Menschen ihrem Alltag nach, sind auf Einkaufstour, drängen sich in den Gassen einer kleinen Stadt im Schwarzwald. Doch einige tauchen in diesem Trubel ab, gehen wie durch einen Vorhang hinein in eine andere Welt. Sie folgen einer kaum zu bekämpfenden Macht. Es ist eine Sucht – und der Weg in die Spielothek.
Die Fenster der Spielhalle sind abgedunkelt, der Gang durch die Tür fällt schwer. Der erste Eindruck ist erdrückend – Zigaretten-Rauch hängt in der Luft, die Atmosphäre wirkt angespannt, links vom Eingang hängen prall gefüllte Prospektständer, die sich mit Spielsucht-Prävention befassen. Niemand, der diesen Laden betritt, würde sie ernsthaft registrieren. Beim Blick auf die andere Seite wird klar, was hier wirklich passiert. Ein älterer Mann hängt versunken vor einem der bunt blinkenden Spielgeräte, neben ihm eine Frau, die hektisch an ihrer Zigarette zieht. Ein junger Mann, geschätzt 25, bedient gleich zwei Automaten. Zwei der laut Studien etwa 242.500 Glücksspielautomaten in Deutschland. Der Mann schiebt einen Geldschein in den dafür vorgesehenen Schlitz. Die Maschine zieht den Schein ein, dann noch einen und noch einen und noch einen. Es ist Samstag, 10.30 Uhr, alle Geräte sind belegt. Wirklich glücklich scheint in diesem Spielerparadies niemand zu sein.
Die Glücksspiel-Industrie hat neben den Spielsucht-Präventions-Prospekten noch weitere Instrumente, die gefährdeten Menschen helfen sollen. Spieler nennen sie scheinheilig, Augenwischerei. Spielzeitbegrenzung und Warnhinweise beispielsweise. Sie fallen kaum auf. Wer Zeit- oder Geldlimit erreicht hat, wechselt den Automaten. Was dagegen gleich auffällt, ist ein Zettel auf dem steht: „Der Aufenthalt für Nichtspieler ist nicht gestattet.“ Der Satz ist entlarvend und zeigt symbolisch den Weg nach draußen.
Auf der Suche nach einem Einblick in den Kreislauf der Sucht geht es weiter, hinein in die nächste Spielothek, die nur ein paar hundert Meter entfernt liegt. Dieses Mal ist die Spielhalle menschenleer. Der Blick des Angestellten fällt sofort auf den einzigen Gast - mich. Peinlich berührt führt der Weg gezwungenermaßen zu einem der Spielgeräte. Es wird schon noch jemand kommen, da kann man sich sicher sein. Statistiken besagen, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein problematisches Spielverhalten aufweisen. Migranten gelten als besonders gefährdet, Männer sind gefährdeter als Frauen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verzeichnete beim Spielen an Geldspielautomaten 2013 einen stetigen Anstieg, besonders bei den 18- bis 20-jährigen Männern: 5,8 Prozent von ihnen spielten im Jahr 2007 an Geldspielautomaten. Sechs Jahre später waren es 23,5 Prozent. Um nicht aufzufallen, wandern meine ersten fünf Euro in einen der Automaten. Das ist das, worum es mir geht: Nicht auffallen in diesem Spielerparadies, in das ich eigentlich nicht hineingehöre. Beobachten, was man sonst nicht sieht und worüber nicht gesprochen wird.
Der Mitarbeiter der Spielhalle bietet mir ein Getränk an. Eine Cola und ein luxuriös bequemer Sessel vor dem Gerät: Es kann losgehen. Der Einsatz ist frei wählbar, zwischen 10 Cent und 2 Euro für ein Spiel, das nur einen kurzen Augenblick lang dauert. Die Entscheidung fällt auf einen Einsatz von 10 Cent und ein Spiel mit knallig farbigen Früchten. Eine Rolle spielt es ohnehin nicht, der Verlust ist einkalkuliert. Der Automat blinkt ein bisschen, das Stoppen der Walzen, die doch nur Pixel auf einem Bildschirm sind, wird akustisch untermalt. Die ersten Spiele verrinnen schnell. Dann kommt er, der erste Gewinn. Zunächst 40 Cent. Blinken. Einige Töne. Risiko? Lieber nicht. Das Spiel geht weiter. Dann plötzlich ein großer Gewinn: Fünfmal das gleiche Symbol, die Sieben, 50 Euro Gewinn. Der Automat blinkt hektisch, spielt eine Melodie ab. Glückwunsch an den erfolgreichen Zocker!
Während sich in meinem Testspiel ein Gewinn ergeben hat, hat sich an das Gerät direkt nebenan ein Mann gesetzt. Getrennt sind beide Automaten von einer milchig undurchsichtigen Glasscheibe – Diskretion. Zu erahnen, was sich auf seinem Bildschirm abspielt, wird zum absurden Hörspiel. Da ist das heftige Drücken der Spieltaste, das bisweilen zu einem dumpfen Schlag wird. Akustische Signale des Automaten. Nächste Runde. Wieder nichts. Nochmal.
Die Ruhe, die bislang in der Spielothek herrschte, ist dahin. Die Stimmung wird nervös, auch gereizt, mitunter sogar aggressiv. Der Mann geht den Mitarbeiter der Spielothek verbal an. Es ist nicht zu verstehen, worum es geht. Der Mitarbeiter reagiert gelassen. Für ihn scheint das nichts Ungewöhnliches zu sein. Immer und immer wieder wirft der Spieler Geld nach. Geschätzt alle dreißig Sekunden rutschen die Münzen in den Automaten. Das Geräusch klingt nach Getränke- oder Zigaretten-Automat. Entspannung oder Spaß haben hier keinen Platz. Das alles an einem Samstag, mittlerweile um 11.30 Uhr, während draußen das Leben weitergeht. Der Eindruck sitzt, willkommen in der Spielhölle.
Den Gewinn, der sich auf dem eigenen Gerät ergeben hat, lasse ich auszahlen. Der Vorgang dauert lange. Das ist das taktische Spiel der Automaten-Industrie. Die Aufgabe, in diesem ungewohnten Umfeld nicht aufzufallen, scheint gelungen. Erst ganz am Ende fällt meine Maske. Es ist eine simple Frage, die alles verrät. „Was kostet denn die Cola?“ An den Gesichtszügen des Mitarbeiters ist die Verwunderung abzulesen. Diese Frage stellt man nicht. Wer öfter hier ist kennt die Antwort: „Die Cola kostet nichts, die ist für Spieler natürlich umsonst.“