Die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich schwierig im Prozess um die potenziell tödlichen Messerstiche am 2. Februar mitten in der Konstanzer Fußgängerzone. Beobachter des Prozesses am Landgericht hatten ein Urteil für den dritten Verhandlungstag am Mittwoch, 13. August, nicht ausgeschlossen. Der 28-jährige Angeklagte hatte bereits am ersten Prozesstag ein Teilgeständnis abgelegt; er gab unter anderem zu, das Tatmesser geführt zu haben. Drei junge Männer wurden dadurch in der Tatnacht gegen 2.30 Uhr in der Wessenbergstraße schwer verletzt. Staatsanwaltschaft und Nebenklage halten am dritten Prozesstag ihre Plädoyers, dann aber ruft Richter Arno Hornstein überraschend einen Zeugen in den Gerichtssaal.

Denn noch immer wirft die Tat, die in Konstanz Entsetzen ausgelöst hatte, Fragen auf. „Es ist unmöglich, einen chronologischen Tatablauf festzustellen“, hält dann Staatsanwältin Claudia Fritschi zu Beginn ihres Plädoyers fest. Das Gericht habe abweichende Zeugenaussagen gehört. Es habe keinen neutralen Zeugen gegeben, der den Ablauf beobachtet habe. Nur ein grober Hergang konnte ihr zufolge bislang rekonstruiert werden.

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Wie trafen die Gruppen aufeinander?

Was für die Staatsanwältin feststeht: Die Geschädigten und ihre Begleitungen, die nachgewiesenermaßen Alkohol und zum Teil Drogen konsumiert haben, waren am 2. Februar um 2.30 Uhr unterwegs von einem Club in der Hussenstraße zu einer Bar in der Niederburg. Es kam zur Begegnung mit dem Angeklagten, der Bier und möglicherweise auch Kokain konsumiert hatte. Eine der jungen Frauen wurde vom Angeklagten belästigt, ein junger Mann aus ihrer Gruppe schritt ein, und es entwickelte sich ein Gerangel. So stellt sich der Sachverhalt für die Staatsanwaltschaft dar. Dass das Aufeinandertreffen der Gruppe und des Angeklagten mit dessen Begleiter so ablief, davon ist die Staatsanwältin überzeugt, auch wenn der Begleiter des Angeklagten in seiner Zeugenaussage andere Angaben gemacht hatte.

Wie sich die Auseinandersetzung aber genau entwickelt hat und wer wann was zu der fatalen Eskalation beigetragen hatte, das konnte der Prozess bislang nicht genau klären. „Wir haben viele unterschiedliche Aussagen gehört, die nicht deckungsgleich übereinandergelegt werden können“, sagt Claudia Fritschi. „Wir haben nur Sequenzen.“ Es sei zum Gerangel, Geschubse, zu Faustschlägen und zum Messereinsatz gekommen. Die Verletzungen hingegen sind belegt. Eine junge Frau hatte einen Faustschlag gegen die Schläfe bekommen, drei junge Männer wurden mit Messerstichen verletzt, so Fritschi. „Ich bin überzeugt, dass es ein bewusster Schlag war; er war sehr gezielt.“

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Welche Strafe fordert die Staatsanwältin?

Sie ist auch der Ansicht, dass der Angeklagte die Messerstiche gezielt ausführte – mindestens in der Absicht, zu verletzen, wobei er tödliche Verletzungen in Kauf genommen habe. Die Geschädigten „erlitten abstrakte, lebensgefährliche Verletzungen“, so die Staatsanwältin. Ob der Angeklagte das Messer während der tätlichen Auseinandersetzung oder bereits davor ausklappte, sei unklar, stellt sie zu diesem bedeutsamen Detail fest. Dass der Angeklagte in Notwehr oder Schutzwehr gehandelt haben könnte, sieht die Staatsanwältin nicht. Zugute hält sie dem Angeklagten, dass er ein Teilgeständnis gemacht, sich bei allen Geschädigten entschuldigt und an die drei Schmerzensgeld hat zukommen lassen. „Er hat sich da sehr bemüht“, äußert Claudia Fritschi.

Zulasten des Angeklagten gehe, dass er bei den Messerstichen mit einem tödlichen Ausgang habe rechnen müssen. „Es hing vom Zufall ab, dass sie überlebten“, so Fritschi. Eine verminderte Schuldfähigkeit sei nicht zu erkennen gewesen; das Aufklappen des Messers habe eine gewisse Fingerfertigkeit erfordert, was gegen eine verminderte Steuerungsfähigkeit spreche. Die Staatsanwältin fordert eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

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Nebenkläger fordert höheres Strafmaß

Ein Nebenkläger, Rechtsanwalt Sebastian Bösing, schließt sich der Staatsanwaltschaft an, der andere Nebenkläger, Rechtsanwalt Jens Weimer, fordert ein höheres Strafmaß als die Staatsanwältin. „Das Ausklappen des Messers ist eine Pfriemelei. Das schafft man nicht, wenn man gerade angegriffen wird“, meint er und bezieht sich darauf, dass während des zweiten Prozesstags am 8. August dem Gericht ein baugleiches Messer vorgelegt worden war.

Der Angeklagte habe „gezielt viermal zugestochen und das avisierte Ziel getroffen“, so Weimer, der von den schweren Folgen für seinen Mandaten spricht: Der junge Mann habe sein Schuljahr nicht beenden können und das Sicherheitsgefühl verloren. Wegen eines versuchten Tötungsdelikts in drei Fällen fordert Weimer eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren.

Richter sieht weiteren Klärungsbedarf

Dann spricht Richter Arno Hornstein. Er hat noch weiteren Klärungsbedarf, denn „das baugleiche Messer hilft nicht wirklich“, schließlich gebe es auch leichtgängige Exemplare. Er möchte das Original-Tatmesser vorliegen haben. Am dritten Verhandlungstag kann es aber nicht herbeigebracht werden; es wird für den vierten Prozesstag, Donnerstag, 14. August, erwartet. Hornstein legt großen Wert auf Genauigkeit, zumal mit einer Revision zu rechnen sei.

Richter Arno Hornstein hofft, dass im strittigen Hergang der Auseinandersetzung noch etwas Licht ins Dunkel gebracht werden kann. Dann folgt in diesem an Wendungen nicht armen Prozess erneut eine Überraschung: „Wir haben noch einen Zeugen, den wir nicht für unwichtig halten“, eröffnet Hornstein und fährt fort: „Er steht vor der Tür, das ist wie ein Sechser im Lotto.“

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Der Zeuge ist ein Anwohner in der Wessenbergstraße, der den Notruf gewählt hat. Er habe im leichten Schlaf in seinem Bett gelegen – das Schlafzimmer befinde sich Richtung Wessenbergstraße – und habe gegen 2.30 Uhr auffällig viel Lärm gehört. Sehr viele Leute hätten geschrien und er habe „hysterische Frauenstimmen“ gehört. Er sei aufgestanden, habe aus dem Fenster gesehen. Der Zeuge spricht von „mehreren Leuten, die ein Gerangel hatten“. Allerdings habe es für ihn nicht nach einer „einfachen Schlägerei“ ausgesehen, sondern „eher heftiger“; er habe sofort die Polizei angerufen.

Und doch kann der Zeuge nicht wirklich zu einem Erkenntnisgewinn beitragen. Richter Arno Hornstein zeigt Verständnis, schließlich sei es dunkel und das Geschehen sehr dynamisch gewesen. Jetzt bleibt abzuwarten, ob das Tatmesser und dessen Handhabung ein wenig Licht ins Dunkel bringen.