Herr Klinger, in der jüngeren Vergangenheit sind in Gottmadingen größere Bauvorhaben von privaten Bauherren zu beobachten: Das Hochhaus am Gleis, die geplante Verdichtung zwischen Gasthaus Sonne und dem Brigg oder der bereits realisierte Komplex an der Randegger Straße. Wird Gottmadingen städtischer?

Michael Klinger: Bitte nicht polarisieren. Das Haus am Gleis ist keine Hochhaus, sondern ein hohes Haus. Wir befinden uns in Gottmadingen, wie übrigens andere Gemeinden auch, in dem Spannungsfeld zwischen Flächenverbrauch und der innerörtlichen Nachverdichtung. Die freie Landschaft und ihr Erholungswert ist nicht beliebig vermehrbar. Deshalb stelle ich umgekehrt die Frage: Ist es denn schlimm, wenn Gottmadingen städtischer wird? Ich denke nein, solange qualitativ hochwertige Gebäude entstehen. Sie bieten Menschen die Chance, in die Ortsmitte zu ziehen.

Gerade Senioren suchen die Möglichkeit, zentral lange selbstständig bleiben zu können. Dann werden Einfamilienhäuser für jüngere Familien frei. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern war bislang auch Konsens im Gemeinderat. Übrigens: Eine grundsätzliche Stimmung gegen hohe Gebäude erkenne ich in Gottmadingen nicht.

Wie in ganz Deutschland geht es in Gottmadingen aber auch um bezahlbaren Wohnraum. Wer kann sich das überhaupt leisten, in eine Neubauwohnung zu ziehen?

Klinger: In Gottmadingen entstehen zur Zeit zweimal rund 20 geförderte Wohnungen. Einmal 19 im Haus am Gleis und dann bei der Wohnbaugenossenschaft Gottmadingen (WBG). Das ist angesichts der hohen Baukosten durchaus bemerkenswert und sehr positiv. Es gibt also ein echtes Angebot für Menschen mit kleinerem Geldbeutel.

Das könnte Sie auch interessieren

Das Angebot erzeugt Nachfrage: Kinder brauchen zum Beispiel Kita-Plätze und müssen zur Schule gehen.

Klinger: Wir wachsen nur ganz langsam und organisch. Im Durchschnitt ziehen jährlich 700 bis 900 Leute weg. Dafür kommen zwischen 700 und 900 wieder in die Gemeinde. Gottmadingen ist als Wohn- und Arbeitsort attraktiv. Das zieht die Menschen an. Wir haben viel für unsere Infrastruktur getan. Wir haben eine neue Schule für 30 Millionen Euro gebaut und investieren in die Kindergärten, Awo und Naturkindergarten zum Beispiel. Die Entwicklung der Infrastruktur hält also Schritt.

Die Gemeinde baut auch Häuser für geflüchtete Menschen. Das Haus in der Hilzinger Straße ist fertig, ein weiteres entsteht gerade in Randegg. Ist das überhaupt noch nötig angesichts der sinkenden Flüchtlingszahlen?

Klinger: Es ist zwar richtig, dass insgesamt weniger geflüchtete Menschen zu uns kommen, aber von einem echten Rückgang kann nicht die Rede sein. Die Zahl der neuen Geflüchteten wächst einfach nur langsamer. Mit unseren Neubauten decken wir nur den Bedarf an Wohnungen ab für Menschen, die schon im Landkreis sind. Wir müssen immer noch die Aufnahmequote aus dem letzten Quartal 2024 und aus 2025 erfüllen. Und auch 2026 werden Menschen zu uns kommen. Viel weniger zwar, aber es wird nicht ganz abreißen.

Das könnte Sie auch interessieren

Andere Gemeinden haben das Wohnraumproblem mit Zelten und Containern gelöst. Gottmadingen baut. Warum?

Klinger: Ich bin dem Gemeinderat dankbar für diesen Kurs, weil wir kontinuierlich – auch außerhalb der Flüchtlingskrise – ganz langfristig bezahlbaren Wohnraum schaffen müssen. Wir können zufrieden sein mit dem, was wir bisher geschaffen haben. Es hat sich bewährt, dass wir die Menschen dezentral unterbringen. Das wird in den Ortsteilen akzeptiert. 

Davon abgesehen können wir den privaten Vermietern nicht genug danken. 77 Prozent der Geflüchteten, die in Gottmadingen leben, sind bei Privatpersonen untergekommen. Wenn wir diese Bereitschaft nicht hätten, würden wir die Unterbringung nicht schaffen. Zur Zeit leben 430 Geflüchtete in Gottmadingen.

In der alten Eichendorff-Schule leben keine Geflüchteten mehr. Der Landkreis hat die Notunterkunft gekündigt und hält die Einrichtung nur noch bis zum 31. Dezember als Reserve. Wie geht es weiter?

Klinger: Für uns war die Vermietung der Schule als Notunterkunft an den Landkreis ein Glücksfall, weil wir dadurch etwas mehr Zeit für eigene Lösungen gewonnen haben. Die Zahl der Menschen in der Notunterkunft wurde auf unsere Unterbringungsquote angerechnet. Das hat bei uns den Druck verringert. Solange das Quartier 2020 noch nicht physisch realisiert wird, schlägt die Verwaltung vor, die alte Hauptschule auch weiterhin als Wohnraum für bis zu 50 geflüchteten Menschen zu nutzen. Damit könnten wir auch 2026 die Quote erfüllen.

Kommen wir zum Thema Bürokratie: Welche Gesetze und Verordnungen müssten von Bund und Land abgeschafft werden, um einen Bürgermeister Klinger zu besänftigen?

Klinger: Mit dem Abbau einzelner Gesetze ist es nicht getan. Die Zahl der Gesetze und Vorschriften wächst ja trotz aller Abbaukommissionen gefühlt exponentiell weiter. Wir brauchen eine Änderung in der Denkweise. Wir müssen uns wieder mehr zutrauen, nicht jedes Detail regeln und auch mal Fehler akzeptieren. Wir sollten bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen, statt uns zu Tode zu kontrollieren.

Wir brauchen weniger Regulierung von oben, sondern müssen bereit sein, Dinge vor Ort selber in die Hand zu nehmen. Wir brauchen eine Strukturreform, sollten uns auf Kernthemen konzentrieren und müssen auch den Bürgern etwas zumuten. Außerdem brauchen wir dringend Wege aus dem Förderdschungel. Wir haben Berge von Programmen für und gegen alles, die niemand mehr überblickt und die aufwändig verwaltet weden müssen.

Das könnte Sie auch interessieren

Gibt es da auch positive Beispiele?

Klinger: Ja, ich will ja nicht der Obergrantel sein. Es gibt etwas, das mich gefreut hat, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Die Landesbauordnung wurde so verändert, dass man keinen Bauantrag für eine Freilandsolaranlage mehr braucht, wenn es einen Bebauungsplan gibt. Das ist ein kompletter Antrags- und Genehmigungsschritt weniger. Damit wird das Verfahren erheblich verkürzt. Wir brauchen dringend mehr Vereinfachung.

Zuletzt hatte es Turbulenzen bei der WBG gegeben. Sind die Wogen wieder geglättet, nachdem sich der neue Aufsichtsrat mit Ihnen an der Spitze konstituiert hat?

Klinger: Wir sind wieder auf einem konstruktiven Weg trotz teilweise unterschiedlicher Ansichten. In Gottmadingen wird die Wohnbaugenossenschaft als wichtige Institution für bezahlbaren Wohnraum wahrgenommen. Das sieht man am Mitgliederzuwachs um rund 100 Personen.

Wir setzen weiterhin auf Sanierung und Modernisierung im Wohnungsbestand und verfolgen parallel weiterhin den Neubau von Wohnraum. Wir bereiten jetzt Förderanträge für die Hardtstraße vor, damit wir gerüstet sind, wenn die Bundesregierung wieder Fördergelder freigibt. Ich bin froh, dass im Aufsichtsrat jetzt wieder wirtschaftlicher, baulicher und politischer Sachverstand vereint sind.

Fragen: Gudrun Trautmann