Die Steuerberatungskanzlei
Die Kanzlei Bühler und Partner ist ein Familienunternehmen in Friedrichshafen, das in dritter Generation geführt wird. Das Büro liegt im beliebten Stadtteil Seemoos, wenige Meter vom See entfernt. Die Mitarbeiter bekommen laut Inhaber Marc Bühler ein überdurchschnittliches Gehalt, machen keine Überstunden, bekommen Extras wie eine private Krankenversicherung oder einen Zuschuss für den Kindergartenplatz. Sehr gute Bedingungen also, um problemlos Fachkräfte im Steuerwesen zu bekommen. Könnte man meinen.

Warteliste mit Mandanten, bis neue Mitarbeiter gefunden sind
Das allein scheint aber nicht zu reichen, denn Marc Bühler ist wieder auf der Suche. „Wir haben so viel Arbeit, dass wir mindestens zwei Vollzeitstellen mit Steuerfachwirten oder Steuerfachangestellten besetzen können“, sagt der 43-Jährige. Jahresabschlüsse, Steuererklärungen, Buchhaltung und Lohnabrechnung – das ist das täglich Brot seiner Kanzlei. „Ich will nicht, dass alle extrem unter Druck stehen und Überstunden machen müssen“, sagt Bühler, „deshalb gibt es bereits eine Warteliste mit Mandanten, bis ich neue Kräfte gefunden habe.“

5000 Euro für die Unterschrift
Damit er die Stellen in seinem 16-Mitarbeiter-Unternehmen mit Standorten in Bermatingen und Friedrichshafen bald besetzen kann, schreibt Bühler nun 5000 Euro aus – für die Unterschrift eines neuen Arbeitnehmers unter den Vertrag oder für eine erfolgreiche Weiterempfehlung. „Auf die Idee hat mich ein Freund gebracht, der in der Unternehmensberatung arbeitet“, sagt Bühler. „Dort ist eine Sign-In-Prämie gang und gäbe.“ Doch Bühler weiß: Nicht allein das Geld macht einen guten Job aus.
Maximal flexible Arbeitszeiten
In Marc Bühlers Branche arbeiten viele Frauen. Und Frauen werden manchmal schwanger, gehen in Elternzeit, sind vielleicht auch einige Jahre aus dem Beruf draußen. Das Steuerrecht wandelt sich sehr schnell, der Wiedereinstieg wird für viele schwierig. „Genau diesen Frauen – oder auch Arbeitnehmern, die irgendwann in die besser zahlende Industrie gewechselt sind – will ich ein Angebot machen“, erklärt der Steuerberater. Das lautet: Es gibt neben dem Bonus ein Rückkehr-Coaching und maximal flexible Arbeitszeiten. „Alles ist möglich bei uns: Minijob, Teilzeit, Homeoffice – wir sind ein Familienunternehmen und wir wollen Eltern perfekte Arbeitsbedingungen bieten“, wirbt Bühler.

Das Hotel
Überstunden, schlechte Arbeitszeiten, miese Bezahlung: Uwe Felix, der seit 15 Jahren den Familienbetrieb Hotel Traube in Friedrichshafen-Fischbach führt, kennt die Vorurteile gegenüber seiner Branche. „In der Vergangenheit kamen in unserer Branche gerechte Bezahlungen und Bedingungen zu kurz, aber diese Zeiten sind in 95 Prozent der Fälle vorbei.“ 40-Stunden-Woche, Tarifgehälter mit Zuschlägen für Nacht- und Wochenendarbeit, dazu eine familiäre Arbeitsatmosphäre: Die Arbeitsbedingungen für die rund 70 Mitarbeiter im Hotel und Restaurant Traube sind laut Felix gut. Und dennoch werde es für ihn von Jahr zu Jahr schwerer, Personal zu bekommen.
Die Industrie lockt mit hohen Löhnen
Die Gründe sind laut Hotelier Uwe Felix vielfältig. Zum einen sind die Lebenshaltungskosten, insbesondere Wohnkosten, am Bodensee hoch, die Tarifgehälter hingegen nicht. „Alle im Dienstleistungsbereich kämpfen gegen die Industrie mit ihren hohen Gehältern“, sagt er, „die Löhne in unserer Branche sind zwar gestiegen, aber natürlich längst nicht auf Industrieniveau – und das werden sie auch nie sein.“ Wenn ein Angestellter in einem der Industrieunternehmen der Region als ungelernte Kraft ein Vielfaches mehr verdient als als gelernte Kraft im Hotel oder Restaurant, muss der Fischbacher Hotelier etwas anderes bieten.

Die Gastrobranche lockt Migranten
Beispielsweise Möglichkeiten für Menschen, die in Deutschland wenig Chancen haben, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. „Unsere Branche ist Nummer 1 in der Integrationsarbeit“, erklärt Felix. Rund die Hälfte seines Personals hat Migrationshintergrund. Außerdem werden rund die Hälfte seiner Mitarbeiter angelernt. „Wir sind immer sehr froh über qualifizierte, ausgebildete Leute“, berichtet Felix, „aber es gibt auch viele Bereiche, in denen ich Menschen einlernen kann.“ Das macht in der Traube auch gern mal der Chef persönlich. „Wir packen im Familienbetrieb alle an, das macht auch einen Teil des Wir-Gefühls aus, das wir hier haben.“
Das Konzept Personalwohnungen
Die Wohnungsnot im Bodenseekreis ist auch für Felix ein großes Thema. Er hat zwar einige wenige Personalwohnungen, aber besonders für Saisonkräfte wird es knapp, beispielsweise Studenten aus Osteuropa, die im Sommer aushelfen. Auch seine Festangestellten klagen über verzweifelte Wohnungssuchen und zu hohe Mieten. „Wir brauchen eine aktivere kommunale Wohnungspolitik und mehr Wohnraum, und zwar bezahlbaren, sodass Menschen aus der Dienstleistungsbranche überhaupt hier leben können.“

Der Friseursalon
Waschen, Schneiden, Föhnen – wer einen Termin bei der Klufterner Frisörmeisterin Carmen Crepinsek haben will, muss auch mal länger warten. „Aktuell haben wir wieder zwei Stellen vakant, aber eigentlich suchen wir über Jahre hinweg grundsätzlich“, sagt sie.
Im Salon gibt es die 4-Tage-Vollzeit-Woche
Um den Zustand der Dauersuche zu durchbrechen, hat sich Crepinsek bereits vor einiger Zeit für eine Vier-Tage-Vollzeit-Woche entschieden. Der Salon in Kuftern öffnet von Dienstag bis Freitag, Montag und Samstag ist frei. „Ich hatte gehofft, dadurch mehr Bewerber zu bekommen“, erklärt Carmen Crepinsek. Doch dieser Effekt blieb aus. Und das, obwohl die Frisörmeisterin nach eigenen Angaben weitere Vorteile bietet: übertarifliche Bezahlung, einen Bausparvertrag oder auch eine Betriebsrente, Möglichkeiten zur flexiblen Teilzeitarbeit, regelmäßige interne und externe Weiterbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten, Einzel-Coachings. „Ich will, dass sich alle hier so wohl fühlen, dass sie kommen und bleiben“, sagt Crepinsek.

Junge Menschen wollen nicht mehr dienen
Das Bleiben sei nicht so das Problem, eher das Kommen. „Hier hat die Friseurbranche, aber eigentlich das ganze Handwerk, wirklich ein Imageproblem“, meint die Klufternerin. Die meisten jungen Menschen wollen Abitur machen, studieren. „Jemanden zu dienen, belastbar zu sein, auch mal Kritik vom Kunden einzustecken, das wollen und können viele Jugendliche gar nicht mehr“, sagt Crepinsek. Viele meinten zudem, als Auszubildener im Frisörsalon müsse man erst einmal nur Haare zusammenkehren. „Wir kehren hier aber alle, vom Meister bis zum Azubi“, stellt sie klar. „Das sind Hintergrunddienste, die einfach dazugehören.“
Fachkräftemangel in der Region: Düstere Zukunftsprognosen
- So viele Fachkräfte fehlen: 2019 fehlten fast 19.000 Fachleute in der Region Bodensee-Oberschwaben, um die Nachfrage der Betriebe zu decken. Ab diesem Jahr wird die demografisch bedingte Schrumpfung des Angebots spürbar werden. 2019 gab es noch 226.000 Fachkräfte (ohne Hilfskräfte). Im Jahr 2030 wird das Angebot auf 183.000 Personen, das heißt um 43.000 Personen oder 19 Prozent zurückgegangen sein. Quelle: Fachkräftemonitor der IHK Bodensee-Oberschwaben
- Diese Berufe sind besonders gefragt: Insbesondere Meister, Fachwirte und Techniker fehlen laut Industrie- und Handelskammer (IHK). Aber auch den Bedarf an Fachkräften mittlerer Qualifikation werden die Unternehmen nicht decken können. Selbst der Überschuss im Bereich der Hilfskräfte wird in den nächsten Jahren abschmelzen und ab 2027 wird es an dieser Stelle nach und nach zu einem Mangel kommen, meint die IHK. Die Lücke bei den Akademikern bleibt dagegen relativ konstant und beträgt im Mittel der Jahre 1800 Personen.