Natur oder Industrie? Grünflächen oder Montagehallen? Diese Debatte wird in der Stadt derzeit leidenschaftlich diskutiert. Denn ein Teil des Seewaldes steht zur Disposition, genauer gesagt 3,5 Hektar. Auf diesem Waldstück wollen die Firmen Liebherr-Aerospace und Aerospace Transmission Technologies (ATT) ihr bestehendes Werksgelände erweitern. "Ein weiterer strategischer Kapazitätsaufbau ist dringend erforderlich", teilte eine Sprecherin der Liebherr-Aerospace auf Nachfrage des SÜDKURIER im November 2018 mit.
Der Protest formiert sich
Seit Anfang Februar unterschrieben bereits 700 Menschen eine Unterschriftenliste, die die örtlichen Umweltverbände Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Naturschutzbund (Nabu) initiiert haben. Darin werden Stadtverwaltung und Gemeinderat dazu aufgefordert, "die Rodung zu verhindern" und die Firmen Liebherr-Aerospace und ATT dazu, ihre "Planung so zu ändern, dass kein Wald gerodet wird." Michael Wlaka, Greenpeace-Sprecher und Koordinator der Unterschriftenliste, ist von der großen Resonanz fast etwas überrascht. "700 in zwei Wochen ist viel, wir sammeln ja öfters mal für unsere Anliegen, oft mit weniger Erfolg", erzählt Wlaka. Auch Brigitte Wallkam, Sprecherin des BUND Friedrichshafen, ist begeistert von der Unterstützung durch die Bevölkerung. "Wir hatten einen Stand in der Stadt und die Menschen kamen von selbst zu uns, um zu unterschreiben", berichtet sie.

Der Gemeinderat brachte das Verfahren, das eine Änderung des Flächennutzungsplanes vorsieht, Ende November 2018 ins Rollen, obwohl das Thema schon damals für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Denn für die Erweiterung der beiden Industrie-Unternehmen hatte die Stadt bereits eine 22 000 Quadratmeter große Fläche an der Flughafenstraße reserviert. Dieses würde jedoch nicht direkt an den derzeitigen Standort angrenzen, sondern wäre durch die Bahnlinie und die Flughafenstraße getrennt. Eine Erweiterung in den Seewald sei "die deutlich bessere Standortlösung", so die offizielle Meinung der Verwaltung.
Dabei ist klar, dass es streng geschützte Tierarten gibt, die in dem betroffenen Waldstück angesiedelt sind, etwa die Haselmaus oder die Gelbbauchunke. Aber nicht nur deshalb sammeln Greenpeace, BUND und Nabu die Unterschriften gegen die geplante Abholzung. "Wir befürchten, dass die Rodungen nicht auf die aktuell vorgesehenen ca. 3,5 Hektar begrenzt bleiben werden: Im Gewerbeflächenentwicklungskonzept aus dem Jahr 2011 wurde die gesamte Waldfläche zwischen Bahntrasse und Bundesstraße B 30 als geeignete Gewerbefläche eingestuft", schreiben sie in einer Presserklärung. Angesichts des ohnehin fortgeschrittenen Artenschwundes und des Insektensterbens verbiete sich die Vernichtung naturnaher Lebensräume, so die Meinung der Umweltverbände. Zudem trage der Wald zur Klimaverbesserung bei.
Die Verwaltung der Stadt hat nach dem Beschluss des Gemeinderates das Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans und der Erstellung eines Bebauungsplanes begonnen. Dazu gab es auch die Möglichkeit der "frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung", wie die Pressesprecherin der Stadt, Monika Blank, erläutert. Zudem wurden 24 Behörden und Träger öffentlicher Belange um Stellungnahmen gebeten. Die Frist hierzu lief am Dienstag ab. "Zehn Behörden haben bisher geantwortet, fünf haben um eine Verlängerungsfrist zur Abgabe einer Stellungnahme gebeten. Zudem gingen sechs private Stellungnahmen ein", erklärt Monika Blank.
Darunter waren auch Stellungnahmen von Greenpeace und eine weitere gemeinsame von BUND, Nabu und Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LVM), die dem SÜDKURIER vorliegen. Neben umweltpolitischer Bedenken geht es aber auch um ganz praktische Kritik: So sei die Erweiterung auch für weitere Bürogebäude, eine Kantine oder Parkflächen vorgesehen. "Für viele dieser Nutzungen sind flächensparende Lösungen möglich, etwa mit einer mehrstöckigen Bebauung", heißt es in der Stellungnahme. Greenpeace kritisiert, dass die Suche nach einer anderen Lösung Vorrang haben müsse. "Das ist keine nachhaltige Stadtentwicklung, denn unsere Lebensqualität leidet darunter. Auch in einer Industriestadt wie Friedrichshafen muss sich nicht alles den Wünschen der Industrie unterordnen", heißt es.

Unterschriften wollen die Umweltverbände weiter sammeln. "Wann wir diese dann übergeben, ist noch nicht ganz klar", sagt Brigitte Wallkam. Zudem sind Gespräche mit den Gemeinderatsfraktionen und den beiden Unternehmen angefragt. Seit einigen Tagen hängt auch deutlich sichtbar ein Schild im Wald: "Es reicht – Finger weg vom Seewald" steht darauf. Es sieht so aus, als hätte der Kampf um den Seewald gerade erst begonnen.
Das weitere Verfahren:
Nun werden nach Angaben der Stadt verschiedene Fachgutachten erstellt, zudem müssen weitere Untersuchungen und Kartierungen über das Jahr verteilt durchgeführt werden. Vorraussichtlich im Frühjahr 2020 soll es einen Entwurfsbeschluss geben. Auch hier werden nach Angaben der Stadt wieder die Fachbehörden und Träger öffentlicher Belange gehört. Erst danach könnte der Gemeinderat einen Satzungsbeschluss fassen, diese abschließenden Verfahrensschritte sind für das 1. Quartal 2021 vorgesehen.
Die Unterschriftenliste gibt es zum Download im Internet:
www.bund-friedrichshafen.de