Netto-Null: So wird das Ziel genannt, die weltweiten Treibhausgasemissionen so weit wie möglich zu reduzieren. „Irgendwann merkt man aber, dass sich das nicht mehr ausgeht“, sagt Unternehmer Frank Obrist dazu. Die Mengen an CO₂, die bis zum Erreichen der Klimaziele schon ausgestoßen wurden, richteten ihm zufolge schließlich genug Schaden an. Es müsse daher das Ziel sein, das Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre wieder herauszuholen.
Genau daran forscht Obrist mit seinem Unternehmen in Lindau, im ehemaligen Felix-Wankel-Institut direkt am Bodenseeufer. Unter dem Erfinder des Wankelmotors hat Obrist, gebürtig aus Bregenz, hier einst gearbeitet. Vom damaligen Chef habe er gelernt, zu Innovationen zu kommen, sie patentieren und lizenzieren zu lassen. 1996 gründete Obrist zu diesem Zweck sein eigenes Unternehmen, mittlerweile ist daraus die Obrist Group erwachsen, mit weltweit über 250 angemeldeten und über 120 vergebenen Patenten. Seit 2021 arbeitet ein Teil des Unternehmens in Lindau – aktuell steht das ehemalige Wankel-Institut allerdings zum Verkauf.

Erfolg hatte Obrists Unternehmen unter anderem mit umweltfreundlichen Kompressoren für Klimaanlagen, doch seit einigen Jahren möchte Frank Obrist weitergehen. Statt Netto-Null, oder auf Englisch „Net Zero“, strebt er „Sub Zero“ an, also sogar unter null. Mit grünem Methanol als Treibstoff könne die Erderwärmung aufgehalten und eventuell sogar umgekehrt werden, meint Obrist. Wie soll das funktionieren?
CO₂ aus der Atmosphäre geholt
„Methanol ist der einfachste Kohlenwasserstoff in flüssiger Form“, erklärt der 63-Jährige. Man könne damit alles betreiben, was sonst mit Erdöl, Kohle oder Gas läuft. Um den Treibstoff zu produzieren, holt das Unternehmen Kohlenstoff und Wasser aus der Atmosphäre, eine Versuchsanlage dafür steht im ehemaligen Wankel-Institut in Lindau.
„Wenn ich da ohnehin schon CO₂ aus der Atmosphäre nehme, dann kann ich ja auch mehr nehmen, spalte das auf und habe am Ende eine Abspaltung von Kohlenstoff“, sagt Frank Obrist im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Dieser Teil mache die Welt besser, er sei „ein Türöffner für unsere Kinder und Enkel“, so Obrist. Der abgespaltene Kohlenstoff könne dann in fester Form unter dem Namen „cSink“ etwa in der Baubranche verwendet werden.
Giga-Plants im Sonnengürtel der Erde
Um aus dem eingeholten Wasser grünen Wasserstoff abzuspalten, ist allerdings viel erneuerbare Energie nötig – ein Einwand, den Obrist oft höre. Der Österreicher will auch dafür eine Lösung gefunden haben: „Der einfache Trick: Ich gehe dorthin, wo die Energie nichts kostet, weil die Sonne immer da ist.“ Der gesamte Prozess soll also im Sonnengürtel der Erde erfolgen, etwa in Chile, Namibia, Marokko oder Australien. In Obrists Visionen entstehen dort „Giga-Plants“, also riesige Solaranlagen, die den vielen Strom für den Prozess zu geringen Preisen liefern sollen.

Für den Transport des Methanols könnte laut Obrist bestehende Infrastruktur genutzt werden und an Fahrzeugen, die mit dem Treibstoff fahren, müssten demnach nur geringfügige Änderungen vorgenommen werden. Nach Obrists Rechnungen ist das Methanol am Ende günstiger als fossile Energien, potenzielle Gesellschafter der Anlagen würden schnell Rendite machen und mit einem Verbrenner zu fahren, würde plötzlich zum Klimaschutz beitragen.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein, oder? „Ja ja“, sagt Obrist auf diesen Einwand. Aber im Grunde gebe es große Teile der Technologie bereits, man müsste sie eigentlich nur zusammensetzen. Was von Obrist vom Bodensee kommt, ist primär das Verfahren zur Einholung von Kohlenstoff und Wasser aus der Atmosphäre, und die Hybrid-Autos. Obrist hat mittlerweile zehn Teslas so umgebaut, dass sie mit einer kleinen Batterie und Methanol fahren können.
Der Haken
Aber: „Einen Haken haben wir noch“, sagt Obrist. Er zeigt Visualisierungen der riesigen Solaranlagen im Sonnengürtel. Geschätzte 18,6 Milliarden Euro würde eine der anvisierten „Giga-Plants“ kosten. Um sich komplett von Erdöl, Gas und Kohle zu verabschieden, brauche man 3000 dieser Anlagen. „Jetzt ist klar, wenn man das mal anfängt, dann hört das Thema Finanzierung nicht mehr auf.“ Ein Problem seines Vorschlags seien also die großen Dimensionen. Und: „Wir in Europa sind es nicht gewohnt, so groß zu denken.“

Zunächst brauche es nun Investoren, die bereit sind, die nächsten Schritte auf dem Weg hin zu den Riesenanlagen mitzugehen. 500 Millionen, schätzt Obrist, würde eine Standardanlage in etwas kleinerem Format kosten, bei der man den Prozess großindustriell testen kann. „Wir haben schon über 40 Millionen Euro investiert in das Ganze“, sagt Obrist. „Die Fundamente sind geschaffen, jetzt braucht es jemanden, der sagt, er suche genau solche Lösungen.“
Nicht das einzige E-Fuel-Projekt
Dass Frank Obrist mit dem Glauben an seine Technologie nicht allein ist, zeigt eine Anfrage bei Werner Tillmetz. Er war bis zum Beginn seines Ruhestands Leiter des Geschäftsbereichs Elektrochemische Energietechnologien des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZWS). Gebeten um eine Einschätzung des Verfahrens von Obrist, erwähnt Tillmetz, dass es weltweit viele Projekte zur Herstellung von derartigen E-Fuels gebe. „Bislang habe ich noch keines gesehen, das mit dem integrierten und sehr effizienten Ansatz von Obrist mithalten kann.“
Tillmetz geht davon aus, dass die Mobilität der Zukunft aus einem Mix unterschiedlicher Technologien bestehe, bei der E-Fuels eine wichtige Rolle spielen werden. Eine Hürde für Obrists Technologie sieht Tillmetz in der europäischen Gesetzgebung, die nur auf reine E-Autos setze und andere Technologien behindere.
Das Magazin „Auto, Motor und Sport“ wiederum kritisiert in einem Bericht über Obrists Technologie den geringen Wirkungsgrad – also das Verhältnis von verwendeter und erhaltener Energie – des Kraftstoffs. Der niedrige Wirkungsgrad könne dazu führen, dass immer mehr und neue Anlagen gebaut werden müssten und der Bedarf nicht befriedigt werden könne. Werner Tillmetz bezeichnet die Diskussion über Wirkungsgrade als irreführend. „Entscheidend sind am Schluss die Kosten für die Kraftstoffe“, so Tillmetz. Und die erwartbaren Kosten würden für die Technologie sprechen.