Die Uhr tickt und die Situation spitzt sich zu: Gut 90 Tage bleiben noch, um die Verantwortung für die Kliniken Friedrichshafen und Tettnang und damit die medizinische Versorgung für 220.000 Menschen im Bodenseekreis neu zu regeln. Zum Jahresende steigt die Stadt Friedrichshafen aus dem Medizin Campus Bodensee (MCB) aus und möchte, dass der Landkreis übernimmt. Es gibt aber weiterhin keine Lösung.

Bei der Sitzung des Häfler Gemeinderats am Montag herrschte Bestürzung und Fassungslosigkeit angesichts der immer prekärer werdenden Lage. Aller Aufrufe und Appelle von Oberbürgermeister Simon Blümcke und des Gemeinderats zum Trotz bleiben Landratsamt und Kreistag bei der Ablehnung, die Trägerschaft für den Medizin Campus Bodensee zum Jahresende zu übernehmen. Die Fronten sind verhärtet. Unterdessen wehrt sich Landrat Prayon gegen ‚einseitige Vorwürfe und Fristen‘.

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Weitere 2,8 Millionen Euro für Klinik Tettnang

Wird bis 31. Dezember 2025 keine Lösung gefunden, drohe ein „unkontrollierbarer Zustand“, sagte Friedrichshafens Oberbürgermeister Simon Blümcke im Gemeinderat. „Das wollen wir nicht, wir wollen eine Lösung zum Wohl der Patienten und Beschäftigten.“ Dafür weiche man jetzt sogar von einem früheren Beschluss ab und stelle dem MCB zur kurzfristigen Sicherung des Klinikbetriebs Tettnang weitere 2,8 Millionen Euro zur Verfügung – außerplanmäßig aus der Stadtkasse und zusätzlich zu den bereits investierten 31 Millionen Euro von der Zeppelin-Stiftung dieses Jahr.

Nur durch eine zusätzliche Finanzspritze der Stadt Friedrichshafen in Höhe von 2,8 Millionen kann sich die Klinik Tettnang kurzfristig ...
Nur durch eine zusätzliche Finanzspritze der Stadt Friedrichshafen in Höhe von 2,8 Millionen kann sich die Klinik Tettnang kurzfristig über Wasser halten. | Bild: Ambrosius, Andreas

OB: „Wir können nicht mehr“

Der Oberbürgermeister stellte in Sachen Kliniken erneut klar: „Es ist nicht so, dass wir nicht mehr wollen, sondern dass wir nicht mehr können.“ 70 Prozent der Patienten kämen nicht aus der Stadt Friedrichshafen, sondern aus der Region. In Richtung Landratsamt und Kreistag sagte der Oberbürgermeister: „Wir wollen einen guten und fairen Übergang – keine juristischen Auseinandersetzungen.“ Und Friedrichshafen sei bei der Finanzierung künftig nicht außen vor, so der OB: 30 Prozent der Kreisumlage, mit der der Landkreis Aufgaben finanziert, kämen aus Friedrichshafen. Die erneute Finanzspritze für Tettnang heiße: „Für viel Geld finden wir fünf bis sechs Wochen Zeit.“ Das zeigt die ganze Dringlichkeit. „Wir geben das Geld nicht für Friedrichshafen, sondern für eine andere Stadt“, so Dagmar Mader (Grüne).

Oberbürgermeister Simon Blümcke: „Es droht ein unkontrollierbarer Zustand. Das wollen wir nicht, wir wollen eine Lösung zum Wohl der ...
Oberbürgermeister Simon Blümcke: „Es droht ein unkontrollierbarer Zustand. Das wollen wir nicht, wir wollen eine Lösung zum Wohl der Patienten und Beschäftigten.“ | Bild: Simon Conrads

Franz Bernhard (CDU) sprach mehrfach von „Fassungslosigkeit“, die in der CDU-Fraktion herrsche und schlaflose Nächte beschere. „Zwei Züge – Stadt und Kreis – fahren frontal aufeinander zu“, so Bernhard. Werde bis Ende des Jahres keine Lösung gefunden, drohe eine Insolvenz – mit möglicherweise fatalen Folgen für den Betrieb, das Personal und die Patienten.

Gemeinsame Sitzung gefordert

„Wir sind fassungslos, dass es zwischen Stadt und Kreis zu keiner Annäherung gekommen ist“, so Bernhard. Die Idee, in einer gemeinsamen Sitzung von Gemeinderat und Kreistag den Versuch zu unternehmen, das Ruder in letzter Minute noch herumzureißen, fand eine breite Zustimmung im Rat. Ob die Initiative auf Gegenliebe stößt, ist unklar. OB Blümcke hatte das Anliegen bereits im Juli an den Landrat herangetragen und Terminvorschläge unterbreitet – laut Blümcke vergebens.

Landrat Luca Prayon sieht den Landkreis nicht in der Pflicht, die Trägerschaft für den Medizin Campus Bodensee zu übernehmen.
Landrat Luca Prayon sieht den Landkreis nicht in der Pflicht, die Trägerschaft für den Medizin Campus Bodensee zu übernehmen. | Bild: Hans Peter Klesel

Vorwurf: Landrat schindet Zeit

Bei etlichen Räten stellt sich der Eindruck ein: Das Landratsamt „schindet Zeit“. Ein Markterkundungsverfahren, wie vom Landrat ins Spiel gebracht, sei sinnlos, so Franz Bernhard. „Wer übernimmt schon einen Betrieb, der jährlich so ein Millionendefizit einfährt?“ Dabei habe es schon unter Blümcke-Vorgänger Andreas Brand entsprechende Vorstöße gegeben, so Dagmar Hoehne (Fraktion Freie Wähler/FDP). Eine Insolvenz sei ein Szenario, was aber nicht bedeute, „dass die medizinische Versorgung zusammenbricht“. Klar wäre aber: Stadt und Kreis gäben die Zügel aus der Hand. Was mit dem MCB geschieht, bestimmen dann andere. Kai Nopper (SPD): „Eine Insolvenz kann nicht der Weg sein, es geht nicht um Zahlen, sondern um Menschen.“ Die Klinikbeschäftigten seien höchst verunsichert, „es braucht jetzt Klarheit“.

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„Es ist fünf vor Zwölf“

Simon Wolpold (Netzwerk) sprach von einer „politischen Irrfahrt des Landkreises“. Er fordert einen Schulterschluss, „es ist fünf vor Zwölf“. Auch wenn Fehler in der Vergangenheit passiert seien, Friedrichshafen habe dafür geradegestanden, jahrzehntelang die Klinik finanziert und betrieben – für den ganzen Landkreis. „Nun können wir nicht mehr.“

Die AfD stimmte zwar der Finanzspritze für Tettnang zu, teilt aber „nur teilweise die Argumente“, so Ralf Döschl, diese seien destruktiv. Er rät zu Deeskalation. Die Krankenhausversorgung „bleibt in jedem Fall gesichert, egal wer‘s nachher bezahlt und Träger ist“, so seine Überzeugung. Was der MCB jetzt vor allem brauche, sei ein Sanierungskonzept.