Ende Juli sollte sie spätestens eröffnet werden, am Freitag um 9 Uhr werden nun tatsächlich die Absperrungen entfernt. Die Schrägseilbrücke über die Millionenschlucht ist – zumindest fast – fertig: Ein Besuch kurz vor Abschluss der der Baustelle.
Die letzten 100 Quadratmeter werden Kies mit Pflastersteinen bedeckt
Auf der Baustelle staubt es ordentlich. Der Brücke wird hier der letzte Schliff verpasst: Pflastersteine werden zurecht gesägt. Reinhold Sigg und sein Team bedecken die letzten 100 Quadratmeter Kies mit Pflastersteinen. Anwohnerin Maryna Kuchefova nutzt eine Pause ohne Sägelärm, um zu passieren. Ihren Sohn Maik nimmt sie dazu auf den Arm. Sein Kinderwagen muss separat über den pflasterlosen Teil des Brückenzugangs getragen werden. Wie sie das geregelt hat, wenn sie alleine unterwegs war? „Alle, die hier arbeiten, sind sehr nett und haben mir immer geholfen“, verrät die junge Mutter. Drei Monate ist Maik nun alt, er kennt sein Zuhause fast nur mit Baustelle davor. Sie ergänzt: „Wir freuen uns, wenn die Brücke fertig ist.“
Ein Bauteil musste neu bestellt werden
Reinhold Sigg erläutert, wieso bisher noch keine Fahrradfahrer und Fußgänger queren können, obwohl die Brücke planmäßig seit mindestens zwei Wochen fertiggestellt sein sollte. Er deutet auf die rechte Seite des Brückenzugangs: „Hier fehlt noch der Ablauf.“ Der, so sagt er, habe eigentlich nur auf seine Abholung auf dem Bauhof gewartet. Von dort sei er auf unerklärliche Weise verschwunden. So habe das Bauteil erneut bestellt werden müssen und sei bisher noch nicht geliefert worden. Der erfahrene Handwerker lacht: „Ich mache den Job jetzt seit 46 Jahren. Da gewöhnt man sich dran, dass so was passiert. Das gehört dazu.“
Drei Tage Suche nach einem Kabel, das es nicht gab
Beim Ausmessen der Fläche, die an diesem Tag insgesamt gepflastert werden muss, erinnert sich Reinhold Sigg an eine weitere Anekdote. „Mein Kollege hat hier drei Tage lang nach einem Kabel gesucht.“ Dabei deutet er auf das Areal direkt vor dem Brückenzugang. Dort habe laut Plänen bereits ein Kabel verlegt sein sollen, das sie für die Beleuchtung unterhalb der Brücke nutzen könnten. Doch nach tagelanger Suche und samt Umgraben des gesamten Bereichs war klar: Das Kabel gab es nur in der Theorie. „Daher mussten wir ein neues ziehen“, erklärt er und zeigt den Verlauf an der Sedanstraße entlang.

Geschäftsinhaber freuen sich über besseren Zugang
Dass sich der Aufwand lohnt, da ist Sigg sich sicher. Schon jetzt kämen immer wieder Bürger gezielt zur Baustelle und fragten, wann man die Brücke endlich nutzen könne. Passend zu seinen Worten schlendert ein Spaziergänger neugierig Richtung Baustelle. Direkt nebenan freut sich Änderungsschneiderin Swetlana Engel über neue Kundschaft. Für sie sei die Brücke ein Gewinn: „Und natürlich für meine Kunden.“ Die Neukundin ist da anderer Meinung: „Ich freue mich für Sie, aber generell halte ich die Brücke für überflüssig und zu teuer.“

Ein weiteres Manko der Brücke liegt in Sichtweite: Eine Privatgarage am Ende der Sedanstraße. Beim Ausfahren ist die Brücke durch ihre Krümmung schlecht einsehbar. Daher soll zeitnah eine geeignete Anzeige angebracht werden, vermutlich ein Warnlicht beim Öffnen des Garagentors. Die Kosten dafür übernehme die Stadt Friedrichshafen, erläutert eine Pressesprecherin auf Anfrage.

Geöffnete Haustür ragt in nun öffentlich gewidmeten Straßenraum
Auch auf der anderen Seite der Brücke herrscht geteilte Meinung. Nazli Yucad, die hier vor zwei Jahren ihren Laden „mut“ eröffnet hat, freut sich, dass nun endlich ihr zweiter Ladeneingang benutzt wird. Der liegt nämlich in Sichtweite der Einmündung der neuen Brücke. Noch näher an der Brücke als ihr Laden ist Maximilan Zollners Wohnung gelegen: Wenn er die Haustür öffnet, ragt diese in den durch den Bau der Brücke nun öffentlich gewidmeten Straßenraum: 1,03 Meter weit, um genau zu sein, wie die Stadtverwaltung auf Nachfrage erklärt. Allerdings befindet sich nur ein kleines Stück der Tür im verlängerten Lichtraumprofil der Brücke. Ein Sicherheitsrisiko sieht die Stadtverwaltung dadurch nicht gegeben, da die Haustür aus Glas bestehe und man somit hindurchsehen könne. Zollner ist da anderer Meinung: „Ich kann vor Öffnen der Tür ja nur geradeaus schauen, die Radfahrer kommen aber von links. Da versperrt die Hausmauer die Sicht.“ Trotzdem überwiegt auch bei ihm die Freude. Für nächtliche Gassi gehen mit Hund Lämpel sei die Brücke eine Verbesserung. Er könne nun die riskante Straßenquerung bei ausgeschalteter Ampel vermeiden.

„Ich zweifle daran, dass viele die Brücke nutzen werden. Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen, denen sie nutzt.“Anwohnerin Nina Oelmaier
Anwohnerin Nina Oelmaier sorgt für verwunderte Blicke, als sie am Donnerstag hinter dem Bauzaun hervorkommt. Sie erläutert schmunzelnd: „Mir wurde erlaubt, schon rüberzugehen. Ich soll eben aufpassen, dass ich nicht stolpere.“ Da ihr Arbeitsweg sie von der Sedanstraße in die Nordstadt führe, werde sie die Brücke häufig nutzen. „Das erspart mir zwar nicht viel Strecke, aber die Wartezeit an der Ampel.“ Grundsätzlich sieht sie das teure Bauwerk kritisch: „Ich zweifle daran, dass viele die Brücke nutzen werden. Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen, denen sie nutzt.“

Millionenschlucht
Angesichts der Baukosten – 3,05 Millionen Euro hat der Gemeinderat genehmigt – drängt sich der Gedanke auf, dass erst die neue Brücke zu dem im Volksmund verwendeten Namen Millionenschlucht führte. Den gibt es aber schon viel länger: seit spätestens 1930 nämlich. Doch der Grund ist so ähnlich wie simpel: Nach Bau der Sonnenunterführung für Fußgänger im Jahr 1927 wurde 1930 die Bahnunterführung fertiggestellt. Teuer soll sie gewesen sein. Im Volksmund entstand daher der Name Millionenschlucht, erläutert Hartmut Semmler vom Stadtarchiv Friedrichshafen.