Im März erklang im Gemeinderat eine Jubel-Arie, als die Verwaltung über Fortschritte im Häfler Radwegnetz berichtete. Tenor: Friedrichshafen hat in den vergangenen beiden Jahren 3,1 Millionen Euro ausgegeben und kann sich mit Rad-Metropolen wie Münster messen. Das stimmt, sagt Bernhard Glatthaar, als Vorsitzender des ADFC-Kreisverbands Chef der Radfahrerlobby. Doch er sorgt für Misstöne. Im Schatten der Großprojekte blieb ein Vorhaben auf der Strecke, das aus Sicherheitsgründen oberste Priorität haben sollte.

Unfallstrecke Nummer 1

Schon 2016 beschloss der Gemeinderat, den Radweg neben der Paulinenstraße auf die Straße zu verlegen, denn „hier passieren wegen der vielen Einmündungen die meisten Radunfälle“, sagt Glatthaar mit Verweis auf Polizeistatistiken. Die Kosten inklusive dreier Querungsinseln waren mit 185 000 Euro überschaubar. Doch der rote Radfahrstreifen stadtauswärts fehlt bis heute. „Die Verkehrsbehörde torpediert eine gute Lösung“, klagt Glatthaar.

Bereits Ende November fragte der SÜDKURIER bei der Stadtverwaltung nach, warum das Projekt nicht in die Gänge kommt. Die Begründung lautete: „In der Paulinenstraße besteht hoher Parkdruck, weshalb der Wegfall von Stellplätzen kritisch zu sehen ist.“ Die Verantwortlichen müssten im Sinne des Allgemeinwohls abwägen – offensichtlich selbst dann, wenn der Gemeinderat per Beschluss bereits abgewogen hat.

Mit dem Beschluss zum Doppelhaushalt 2018/19 steht nun fest, dass die Verlegung des Radwegs an der Paulinenstraße erst „ab 2020“ geplant ist. In den nächsten Jahren bleibt das Sicherheitsrisiko an der Strecke also bestehen. Lediglich je 50 000 Euro für Planungen stehen im Budget, nachdem die SPD das so beantragt hatte.

Parkdruck? Auf beiden Seiten der Paulinenstraße parkten am Dienstagmittag gegen 11 Uhr zehn Fahrzeuge.
Parkdruck? Auf beiden Seiten der Paulinenstraße parkten am Dienstagmittag gegen 11 Uhr zehn Fahrzeuge. | Bild: Katy Cuko

Kosten auf Achtfache gestiegen

Denn statt 185 000 Euro wird heute mit Kosten von 1,4 Millionen Euro für den Radfahrstreifen auf der Straße gerechnet. Jetzt ist von einer Umgestaltung des heutigen Rad- und Fußwegs die Rede, um zwischen den Alleebäumen zumindest teilweise Ersatz für Stellplätze zu schaffen, die durch den Radlerstreifen wegfallen. Entsprechende „Variantenüberlegungen“ gebe es, hießt es aus dem Rathaus schon Ende November. Aber auch die „kleine Lösung“ nur mit Markierung der Radfahrstreifen und mit dem Bau der erforderlichen Querungshilfen sei nach wie vor "grundsätzlich möglich", antwortet die städtische Pressestelle auf Nachfrage. Es könnten aber auch "verkehrlich sinnvolle Teilabschnitte der 'großen' Lösung gebildet" und in den nächsten Jahren umgesetzt werden.

Abgesehen davon, dass Parkbuchten neben der Straße wieder neue Gefahren für Radler auf der Straße erzeugen würden, ist für den ADFC-Kreisvorstand der angebliche Parkdruck auf der Paulinenstraße ein Ammenmärchen. Beim Vor-Ort-Termin am Dienstag gegen 11 Uhr parkten zehn Autos auf beiden Straßenseiten zwischen Kleineberg- und Gebhardstraße, wo nach Auskunft der Stadt rund 76 Platz hätten. „Seit das Parken hier Geld kostet, parkt kaum noch jemand. Die stehen heute alle in der Gebhardstraße“, sagt Sandro Sterzai, Inhaber des Fahrradladens an der Paulinenstraße.

195 Parkausweise für Anwohner

Zu kurz gedacht, hält die Stadtverwaltung dagegen. In der "Oststadt", zu der die Paulinenstraße dazu gehört, gebe es von Bewohnern eine hohe Nachfrage nach Parkberechtigungen und damit ergo einen hohen Parkdruck. Für 259 Stellplätze habe die Stadt 195 Bewohnerparkausweise ausgestellt. Der Löwenanteil der verfügbaren Parkplätze (76) sei in der Paulinenstraße. Nur die Auslastung in der gebührenpflichtigen gelben Parkzone zu betrachten, sei daher falsch.

Stellplätze auf nur einer Straßenseite würden reichen, sagt hingegen Bernhard Glatthaar. Abgesehen davon sei im Verkehrsentwicklungsplan der Stadt das Leitziel definiert, den ruhenden Verkehr im Straßenraum zu reduzieren. Das gelte auch für die Paulinenstraße. „Der ADFC fordert die Stadtverwaltung auf, auf den Bau von Parkplätzen zu verzichten und schnellstmöglich die geplanten Radfahrstreifen zu markieren.“ Mit Kosten von 1,4 Millionen Euro sei die Gefahr groß, dass gar nichts gemacht wird.

"Die Diskussion, die der ADFC bemüht, ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht", nimmt Baubürgermeister Stefan Köhler Stellung. Entscheidend sei doch, dass die Stadt beabsichtige, an das Thema heranzugehen. Sobald der Doppelhaushalt vom Regierungspräsidium genehmigt sei, könne die Verwaltung dem Gemeinderat Vorschläge zur Umgestaltung vorlegen. "Erst dann wird über die Planung entschieden", verspricht Köhler.

 

ADFC-Kreisverband

Der Kreisverband Bodensee des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) hat derzeit 860 Mitglieder. In Deutschland hat der ADFC als Radfahrerlobby 400 Kreisverbände. Bei der Jahreshauptversammlung im März löste Bernhard Glatthaar den bisherigen Kreisvorsitzenden Karl Honnen ab. Glatthaar war bereits bis 2014 ADFC-Kreisvorsitzender. (kck)