Ein fahrbarer Ständer mit Bildschirm, Kamera und Vorrichtungen zur Messung von Vitalwerten wie Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Blutzucker steht im Haus der Pflege St. Martin in Ailingen bereit. Mithilfe des Tele-Doc-Mobiles können Pflegekräfte die Gesundheitswerte der Bewohner ermitteln und direkt an Hausarzt Johannes Martin übermitteln. Das Pflegeheim und die Hausarztpraxis gehören zu den am Pilotprojekt Telemedizin beteiligten Partnern. Rund ein Jahr nach Projektstart informiert sich der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha über den aktuellen Stand.

Wundkontrolle per Kamera, Abhören per Mikrofon

Hausarzt Martin sitzt – eher ungewöhnlich im Bereich der Telemedizin – schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite in seinem Sprechzimmer vor dem Bildschirm. Hier sieht er den Patienten und kann mit ihm und der Pflegekraft kommunizieren. „Wie sieht die Wunde aus?“, fragt Martin bei der Televisite und die Pflegekraft richtet eine Kamera entsprechend aus. „Aha, da mache ich jetzt ein Foto“, sagt Martin. Schon befindet sich das Bild gestochen scharf auf seinem Bildschirm und kann an die Patientenakte digital angeheftet werden. Dann schaltet der Arzt vom Mikrofon- in den Stethoskopmodus; die Pflegekraft hört die Lunge des Patienten gut hörbar für den Mediziner ab. „Gebe ich einen neuen Medikationsplan ein, kann er sofort vom Pflegeheim abgerufen werden“, nennt Martin einen weiteren Vorteil.

Televisite bei einem Bewohner im Haus der Pflege St. Martin in Ailingen (von links): Gesundheitsminister Manfred Lucha, Landrat Luca ...
Televisite bei einem Bewohner im Haus der Pflege St. Martin in Ailingen (von links): Gesundheitsminister Manfred Lucha, Landrat Luca Wilhelm Prayon und MdL Klaus Hoher sind dabei, wenn Hausarzt Johannes Martin die Vitalwerte des Patienten erfasst. | Bild: Claudia Wörner

Johannes Martin, der sich selbst als technikaffin bezeichnet, ist von der Telemedizin überzeugt. Anfangs habe sie für ihn jedoch einen großen Aufwand bedeutet, auch in finanzieller Hinsicht. „Ich sitze jetzt in meinem Zimmer, aber die Pflegekräfte haben vor Ort die Arbeit zu leisten“, ist er sich bewusst. Während er mit den Krankenkassen abrechnen könne, werde die Arbeit der Pflegekräfte von den Kassen nicht honoriert, merkt Regionalleiter Roland Hund von der Stiftung Liebenau an. Positiv sei jedoch, dass der Pflegeberuf durch die Telemedizin aufgewertet werde.

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Einsatz auch im ambulanten Bereich

Im ambulanten Bereich setzen Versorgungsassistentinnen und -asstistenten im hausärztlichen Bereich (Verah) eine portable Version für die Telemedizin ein, untergebracht in einem Köfferchen. Enthalten ist unter anderem ein Pocket-EKG, das etwas größer als eine Scheckkarte ist. Auch die Versorgungsassistenten können sich vor Ort beim Patienten mit dem behandelnden Arzt in Verbindung setzen, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder Rücksprache erforderlich.

Den Koffer samt Inhalt nehmen Versorgungsassistenten im hausärztlichen Bereich mit zum Patienten. Der Arzt wird bei Bedarf per Video ...
Den Koffer samt Inhalt nehmen Versorgungsassistenten im hausärztlichen Bereich mit zum Patienten. Der Arzt wird bei Bedarf per Video zugeschaltet. | Bild: Maike Stork

Für Minister Lucha bildet die Telemedizin die Verantwortungsgemeinschaft im Gesundheitswesen ab. „Wir müssen das Ziel ‚ambulant vor stationär‘ verinnerlichen“, betont er. Die Telemedizin sei für ihn eine mehr als sinnvolle Ergänzung, die Teil der Regelversorgung werden müsse. Seines Erachtens bedeute sie eine deutliche Erleichterung für die Ärzte. „Es geht um die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung“, sagt Lucha mit Blick auf die vielen nicht besetzten Arztsitze.

„Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem alle mit dem System arbeiten können“, erklärt Gesundheitswissenschaftlerin Nicole Pottharst vom Gesundheitsamt des Bodenseekreises. Patienten würden von weniger Krankentransporten profitieren, da zahlreiche medizinische Leistungen mithilfe der Telemedizin vor Ort im Pflegeheim oder zu Hause erbracht werden können. Anfangs sei die Implementierung der Technik eine große Herausforderung gewesen. Mehr als wünschenswert sei eine Verlängerung der Projektlaufzeit, gab sie Lucha mit auf den Weg.

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Perspektiven statt Grenzen im Blick

Über Grenzen im Zusammenhang mit der Telemedizin möchte Lucha nicht sprechen. „Das ist genau das Problem, warum Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern 20 Jahre zurückliegt. Was wir brauchen, sind Perspektiven und Lust auf neue Wege“, sagt er. Für Hausarzt Martin steht der persönliche Kontakt zum Patienten nach wie vor ganz oben. Die technischen Möglichkeiten seien jedoch fast grenzenlos, sagt er. „Wir denken viel zu oft in Grenzen, müssen aber vielmehr die Chancen sehen“, so Landrat Luca Prayon. Er dankt insbesondere den Pflegekräften, die das Projekt Telemedizin vor Ort in den Pflegeheimen umsetzen.