In einem unvergleichbaren Abstimmungs-Marathon hat der Gemeinderat am Montagabend den Weg für ein Maßnahmen-Paket frei gemacht, mit dem jährlich rund 500 neue Wohneinheiten geschaffen werden sollen. "Das ist ein besonderer Tag", kündigte Baubürgermeister Stefan Köhler die dreistündige Debatte über sieben Vorlagen der Verwaltung und genauso viele Änderungs-Anträge der Gemeinderatsfraktionen zu Beginn der Sitzung an. Eineinhalb Jahre spielten Politik und Verwaltung Ping-Pong, änderten die Vorlagen und differenzierten aus – bis am Ende ein Bündel von Maßnahmen stand, das im Großen und Ganzen nahezu alle Fraktionen mittragen konnten. Und das wurde gestern Abend im Detail beschlossen:
Die Ausgangslage: In Friedrichshafen fehlen Wohnungen – und zwar in allen Preissegmenten. "Der Druck auf den Markt existiert schon lange, aber er nimmt seit zwei, drei Jahren stark zu", erläuterte Köhler in der Sitzung. Die Verwaltung sei in den vergangenen Jahren nicht untätig gewesen, aber die geplante Nachverdichtung sei eben auch nicht so erfolgreich gelaufen, wie erhofft, da viele Eigentümer ihre Grundstücke nicht verkaufen wollen. Das größte Problem gibt es bei den Sozialwohnungen: Während der Bedarf steigt, sinkt der Bestand seit Jahren durch auslaufende Bindungen. Doch auch für mittlere Einkommensgruppen fehlt es an Baugrundstücken und Wohnungen. "Die Anzahl der Beschäftigten in den Häfler Unternehmen hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent erhöht", erklärte Köhler. Zum Zuzug komme die unkalkulierbare Flüchtlingswelle. Die Folge: Der Wohnungsmarkt ist leer gefegt und das immer größer werdende Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage führt zu Wuchermieten und utopischen Grundstückspreisen.
Der Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, diesen Fakten Rechnung zu tragen und bis 2019 rund 1500 Wohnungen, Reihen-, Doppel- und Einfamilienhäuser zu schaffen – durch Nachverdichtung, Baulücken und ohnehin bereits geplante Neubaugebiete. Bei der Vergabe von Grundstücken sollen auch Bauherrengemeinschaften berücksichtigt werden. Zudem wurden Prozesse und Verfahren (vorhabenbezogener Bebauungspläne, Acht-Punkte-Plan) vereinfacht.
Das künftige Bauland: Wo und wie in Friedrichshafen ab 2020 Bauland entwickelt wird, wurde bis dato nur in nicht-öffentlichen Sitzungen diskutiert. Der Grund: Die Verwaltung hat hier teilweise politisch umstrittene, stadteigene Flächen wie Oberhof III, aber auch komplizierte Flächen wie Fallenbrunnen-Nord-Ost, Erweiterung Hauptfriedhof, Jettenhausen-Langes-Feld im Blick. Bei der Erschließung großer Flächen scheinen die Konflikte auch in den politischen Lagern vorprogrammiert. Während Gerhard Leiprecht (Grüne) in seiner Fraktionserklärung für eine "grüne Stadt" plädiert und so wenig wie möglich "betonieren" will, spricht Achim Brotzer (CDU) davon, möglichst bald "städtische Grundstücke baureif" zu machen. "Wir sprechen heute nicht über Oberhof III", stellte Oberbürgermeister Andreas Brand mit Blick auf die Zuschauerreihen, in denen sich Mitglieder der Bürgerinitiative "Rettet die Schätzlesruh" fanden, klar. Dass hier eine Mammutaufgabe auf Verwaltung und Gemeinderat wartet, scheint allen bewusst zu sein. So sprach Dieter Stauber (SPD) in seiner Fraktionserklärung von einem "wichtigen Startschuss" und Jochen Meschenmoser (Freie Wähler) gar von einem "Meilenstein der Stadtgeschichte zur Nachkriegszeit".
Zunächst einmal beschloss der Gemeinderat allerdings einstimmig, dass die Verwaltung die Flächen in "kurzfristig verfügbare Potentiale" und "weitere Wohnbaulandentwicklung" (ab 2020) aufteilt, priorisiert und entwickelt. Der Gemeinderat gab zudem sein "Ja" für eine "Sonderbehandlung" von Oberhof III. Hier soll es zunächst weitreichende Analysen geben, bevor das Potentialgebiet entwickelt wird.
Die Grundstückspolitik: Rund 80 Prozent des möglichen Baulands sind in Privatbesitz. Nun kann die Verwaltung die Drohkulisse verstärken: Der Gemeinderat hat dem Instrument des Flächentauschs im Flächennutzungsplan (FNP) zugestimmt. Will ein Eigentümer sein teures Bauerwartungsland nicht verkaufen, kann die Verwaltung es an anderer Stelle gegen günstiges Ackerland eintauschen. Die SPD wollte zunächst, dass der FNP so bald wie möglich fortgeschrieben wird. "Wenn wir glauben, dass bei einem neuen FNP mehr Bauland-Flächen herauskommen, liegen wir falsch", entgegnete OB Brand. Besser sei es, die Möglichkeit des Tauschs – wie ebenfalls von der SPD gefordert – bereits jetzt zu nutzen. Dieser Meinung schloss sich die Mehrheit an. Ein wesentlicher Punkt ist, dass städtische Baugrundstücke künftig vorrangig vergünstigt an die städtische Wohnungsbaugesellschaft (SWG) und die Zeppelin-Wohlfahrt-GmbH (ZW) gehen, wenn diese hier mindestens auf 25 Jahre Sozialwohnungen schaffen.
Die 25-Prozent-Sozialquote: Die Idee klingt simpel, die Umsetzung kompliziert, letztlich war die umstrittene Sozialquote aber mehrheitsfähig. Schafft ein Bauherr neuen Wohnraum oder wird bestehendes Baurecht wesentlich geändert, müssen künftig 25 Prozent der neu geschafffenen Geschossfläche mietpreisgebunden, also Sozialwohnungen, sein. Die Bindung läuft dabei auf 25 Jahre. Allerdings stehen dem Bauherren fünf verschiedene Varianten zur Verfügung, unter anderem die Möglichkeit einer Ausgleichszahlung. Diese fließt dann zweckgebunden in einen Topf, aus dem wiederum beispielsweise Wohnungsbaugesellschaften, die verstärkt Sozialwohnungen schaffen, Gelder erhalten. Hier war der Diskussionsbedarf – wie erwartet – hoch. Denn während die SPD gleich eine Erhöhung der Sozialquote auf 30 Prozent, eine Verlängerung der Belegungsbindung auf 30 Jahre und das Streichen der Ausgleichszahlung beantragte, wollte die FDP die Sozialquote kippen. "Es besteht die Gefahr, dass das Angebot im mittleren Segment geschwächt wird", sagte Gaby Lamparsky (FDP). Dem pflichtete auch Brotzer (CDU) bei: "Diese Quote erfordert immer eine Gegenfinanzierung, die übrigen Wohnungen werden teurer." Sowohl der SPD-Antrag wurde abgelehnt, als auch der der FDP. Der Verwaltungsvorschlag wurde mit zwei Gegenstimmen und vier Enthaltungen mehrheitlich beschlossen.
Modelle für den Mittelstand: "Wir wollen, dass Grundstücke nicht nur für den Bau von Sozialwohnungen an die Wohnungsbaugesellschaften verbilligt abgegeben werden, sondern auch für Wohnungen für Menschen mit mittlerem Einkommen", erklärte Achim Brotzer (CDU) und beantragte eine Änderung. Konkret heißt das: Nicht nur Menschen, mit Wohnberechtigungsschein sollen in den Genuss einer bezahlbaren Wohnung kommen. Auch Bürger, die knapp über den Einkommensgrenzen liegen, sollen günstig mieten können. "Viele Haushalte kommen bisher nicht zum Zug", so Brotzer, "sie müssen hohe Marktmieten von 12 Euro zahlen." Die Idee, das bereits erarbeitete SWG-Konzept "Ausgewogenes Angebot für bezahlbare Mieten durch kommunalen Wohnungsbau" aufzubereiten, wurde einstimmig angenommen.
Finanzielle Förderung: Die Stadt investiert bis 2021 rund 12,5 Millionen Euro in die Förderung von Wohnraum. Dabei gibt es Angebote, die sich direkt an die Bürger richten, aber auch Anreize für Eigentümer und Investoren. Auch Mittel aus der Zeppelin-Stiftung können künftig in spezielle Wohnbauprojekte (beispielsweise in Senioren-WGs mit wohltätigem Hintergrund) fließen. Die Akteure im Wohnungsbau treffen sich künftig regelmäßig bei einem Wohnungsbaugipfel.