Der Zahn der Zeit hat an diesem Gebäude schon kräftig genagt. Und doch fällt der markante, unverputzte Klinkerbau an der Eugenstraße sofort ins Auge. Das Haus war Teil des einstigen Eisenbahnausbesserungswerks, in dem sich Bahnmitarbeiter waschen konnten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden hier, an der damaligen Endstation der Eisenbahnstrecke Stuttgart – Friedrichshafen, die Fahrzeuge der Bahn gewartet und repariert. Das Werk gilt als Wiege des Maschinenbaus in Friedrichshafen. Heute wird das Gelände als Bus-Depot des Regionalverkehrs genutzt, das der Deutschen Bahn AG gehört.

Nach Angaben der Bahn AG in Stuttgart wurde das Gebäude bereits entkernt. Momentan ruhen die Arbeiten.
Nach Angaben der Bahn AG in Stuttgart wurde das Gebäude bereits entkernt. Momentan ruhen die Arbeiten. | Bild: Cuko, Katy

Die Deutschen Bahn hat keine Verwendung mehr für das Gebäude, erklärt eine Sprecherin der Bahn AG in Stuttgart auf Anfrage unserer Zeitung. Deshalb soll es abgerissen werden. Drinnen hat das Abbruchunternehmen schon ganze Arbeit geleistet. Das historische Gebäude ist komplett entkernt. Dass auch der Rest verschwindet, dagegen läuft Philipp Fuhrmann vom Netzwerk für Friedrichshafen seit Anfang Mai Sturm. „Sollte sich dies bestätigen, halte ich diesen Fall für einen handfesten Skandal“, schimpft er. Denn im Bauausschuss war der Abriss kein Thema. Und hat die Bahn AG überhaupt eine Genehmigung dafür?

Kein Interesse im Rathaus

Die brauche es nicht, antwortet das Rathaus auf Nachfrage unserer Zeitung. Zwar wurde das Baudezernat Ende Februar über die Absicht, das Waschhaus abzureißen, informiert. Doch da interessierte sich offenbar niemand dafür. „Für das Gebäude besteht kein Denkmalschutz“, schreibt die Stadt. Das sei bereits 2016 durch das Landesdenkmalamt geprüft und im Februar 2024 auch noch mal bestätigt worden. Beim Gebäude Eugenstraße 32 handele es sich nicht um ein Kulturdenkmal. Mit anderen Worten: Der alte Kasten kann weg!

Philipp Fuhrmann wünscht sich einen bewussteren Umgang mit historischen Gebäuden in Friedrichshafen, hier vor der Villa Winz.
Philipp Fuhrmann wünscht sich einen bewussteren Umgang mit historischen Gebäuden in Friedrichshafen, hier vor der Villa Winz. | Bild: Wienrich, Sabine

Diese Position bekräftigt das Rathaus mit einem zweiten Argument. Das Eisenbahner-Waschhaus stehe nicht auf der Liste der „besonders erhaltenswerten Bausubstanz“, die seit Mai letzten Jahres vorliegt. Die hat die Stadt anfertigen lassen, um historische Bausubstanz zu bewahren. Darin sind exemplarisch 30 Gebäude in Friedrichshafen aufgeführt, die zwar kein Baudenkmal, aber trotzdem erhaltenswert sind, weil sie den Zweiten Weltkrieg überlebt haben. So viele „bauliche Erben aus der Frühzeit der Industrialisierung“ habe die Stadt nicht mehr, so Fuhrmann.

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Den Stadtrat vom Netzwerk ärgert, dass „aus vergangenem Schaden nichts gelernt wurde“. Philipp Fuhrmann erinnert an den Abriss des Hotel „Schöllhorn“ an der Friedrichstraße, ein Konflikt, aus dem das Netzwerk 2018 erst entstanden ist. Er wundert sich, wie „unsensibel und uninteressiert die Verwaltung nach wie vor ist, wenn es darum geht, wertvolle historische Strukturen im Innenstadtgebiet zu erhalten und weiterzuentwickeln“, adressierte er in einem Schreiben an die Rathaus-Spitze. Und fordert dazu auf, bei der Bahn AG darauf hinzuwirken, den Abriss zu stoppen.

Bahn AG sucht das Gespräch

Genau das ist inzwischen passiert. Wie die Bahnsprecherin mitteilt, werde man allen Beteiligten das Gespräch anbieten. Parallel laufen Untersuchungen, ob sich in dem Gebäude Tierarten befinden, die geschützt sind. Auch wenn das nicht der Fall sei, werde man bis zum Abschluss der Gespräche die Arbeiten ruhen lassen, so die Sprecherin. Mit anderen Worten: So ganz abgeneigt ist man nicht, das Gebäude stehenzulassen.

Das ehemalige Waschhaus der Eisenbahner steht direkt an der Eugenstraße.
Das ehemalige Waschhaus der Eisenbahner steht direkt an der Eugenstraße. | Bild: Cuko, Katy

Die Stoßrichtung des Netzwerks ist klar. Die Stadt soll mit der Bahn AG über einen Kauf verhandeln. Allerdings zeigte der Konzern bisher die kalte Schulter, was die Veräußerung des RAB-Geländes betrifft. Doch beim einstigen Waschhaus für die Eisenbahner sieht Philipp Fuhrmann die Sachlage etwas anders. Das Gebäude stehe in Randlage direkt an der Eugenstraße. Man könnte es, mit einem Eingang zur Straße, aus dem Areal herauslösen.

Ein Pflanzenhaus im einstigen Waschhaus?

Erste Ideen für eine Nutzung des historischen Gebäudes gibt es bereits. Minimal saniert aus dem Klimabudget der Stadt, könnte das Waschhaus zu einem öffentlichen Pflanzenhaus umfunktioniert werden, das den Häflern Raum für Erholung, Begegnung oder Fortbildung bietet.

Am Dienstagabend machte Fuhrmann den Waschhaus-Abriss zum Thema im Bauausschuss – und bekam Rückenwind von Ratskollegen. Weil die Mehrheit des Gremiums im Erhalt des Gebäudes durchaus Potenzial für die Stadtentwicklung sieht, gab es für den Baudezernenten Fabian Müller am Ende den klaren Auftrag, mit der Bahn AG das Gespräch zu suchen.

Bahn AG will doch nicht

Doch das dürfte wohl erneut zum Scheitern verurteilt sein. Auf Anfrage erhielt Philipp Fuhrmann am Freitag die Nachricht, dass nun ein Gespräch mit Baubürgermeister Fabian Müller gab. Aber die Bahn AG sehe keine Möglichkeit, das Gebäude an die Stadt zu verkaufen. Auch eigene Investitionen seien „leider nicht möglich“.

Für den Stadtrat vom Netzwerk ist das trotzdem nicht das Ende der Geschichte. Er hat der Bahn AG ein Abbruch-Moratorium und einen zweiten Bahn-Gipfel im Herbst vorgeschlagen – in der leisen Hoffnung, doch noch eine Zusammenarbeit in Sachen Waschhaus hinzubekommen.