Paul Fundel ist sauer. Der Architekt liebt seine Heimatstadt Friedrichshafen und kennt sie wie seine Westentasche. Das Herz des Mannes Mitte 80 hängt also doppelt an Bauten, die Stadtgeschichte erzählen. Deshalb haben er und zwei Mitstreiter schon im Mai 2019 eine Broschüre vorgelegt, welche Gebäude – historisch betrachtet – beachtenswert sind. Wie mit dem Thema und der Liste seither umgegangen wurde, ist für ihn „frustrierend“.

Im Mai 2019 stellen Paul Fundel (von links) und Roland Hecht mit Jürgen Hauke vom Netzwerk für Friedrichshafen die knapp 50-seitige ...
Im Mai 2019 stellen Paul Fundel (von links) und Roland Hecht mit Jürgen Hauke vom Netzwerk für Friedrichshafen die knapp 50-seitige Broschüre „Beachtenswerte Gebäude und Anlagen in Friedrichshafen“ vor. | Bild: Bömelburg, Christina

„Die Stadt wirkt darauf hin, historische Bausubstanz zu bewahren und nutzt dafür ein Kataster schützenswerter Gebäude.“ So lautet ein Ziel, formuliert 2017 im Abschlussbericht fürs Stadtentwicklungskonzept (ISEK). Für Paul Fundel und Roland Hecht als kundige Bürger Grund genug, solch ein Verzeichnis aus ehrenamtlichen Engagement zu erstellen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne Honorar. „Wir wollten Hinweise und einen Anstoß geben“, sagt Fundel. Ein Kataster gehe natürlich über ihre 50-seitige Broschüre hinaus. Von der liegt inzwischen eine zweite Auflage vor.

„Arbeit einfach abgekupfert“

Umso verblüffter war der Architekt im Ruhestand, als er im Januar 2020 ein erstes Arbeitspapier der Complan Kommunalberatung sah. Die Stadt hatte das Unternehmen beauftragt, die „besonders erhaltenswerte Bausubstanz“ zu erfassen. Kostenpunkt: 75.000 Euro. Fundel sitzt seither im beratenden Expertenrat, in dem das Papier präsentiert wurde. „Die haben einfach unsere Arbeit abgekupfert“, stellt er fest. Von 23 Fotos seien 19 ihrer Broschüre entnommen worden, ungefragt und ohne Quellenangabe.

Die städtische Pressestelle ordnet das auf Anfrage unserer Zeitung anders ein. Mitglieder des Expertenrates hätten eigene Unterlagen zur Verfügung gestellt, die als Arbeitsgrundlage dienen. Diese Darstellung sei „einfach schäbig“, sagt Paul Fundel.

Das frühere Hauptzollamt gehört zum Ensemble des denkmalgeschützten Rathauses samt Kirche dazu. Trotzdem will es die Stadt abreißen und ...
Das frühere Hauptzollamt gehört zum Ensemble des denkmalgeschützten Rathauses samt Kirche dazu. Trotzdem will es die Stadt abreißen und das Areal neu bebauen. | Bild: Cuko, Katy

Kenntnis der Stadtgeschichte fehlt

Warum per Ratsbeschluss ausgerechnet eine in Potsdam ansässige Beratungsfirma den Auftrag erhielt, erklärt die Pressestelle mit besten Kompetenzen und Referenzen dieses Büros. Für Paul Fundel ein „Fehlgriff“. Dem Büro fehle nicht nur die Kenntnis der Stadtgeschichte. Er sehe auch keine Bereitschaft, dieses Unwissen im Kontakt mit Ortskundigen auszugleichen. Seine Briefe zumindest seien unbeantwortet geblieben.

„Die Aufnahme aller eventuell erhaltenswerter Gebäude würde bei Weitem den Auftragsumfang sprengen.“
Antwort der Stadt auf die Frage, warum es nur noch 30 Einzelobjekte in der Liste sein sollen

Nach der Auftaktsitzung des Expertenrates im Januar 2020 passierte ohnehin nicht mehr viel. Laut Zeitplan waren bis Ende 2020 vier Expertensitzungen und zwei Bürgerwerkstätten geplant. Dann sollte der Gemeinderat eine Liste mit 30 Einzelobjekten bekommen. Kein Kataster mehr? „Die Aufnahme aller eventuell erhaltenswerter Gebäude würde bei Weitem den Auftragsumfang sprengen“, erklärt die städtische Pressestelle auf Anfrage.

Zwei Jahre Sendepause

Zwei Jahre blieb das Thema ganz liegen. Das Projekt wurde durch die Corona-Pandemie und „personelle Kapazitätsengpässe bei Complan“ unterbrochen, so die Stadt. Nun ist das Potsdamer Büro ganz raus. Der Vertrag wurde im März 2022 an das neu gegründete Berliner Büro Bricks & Beyond übertragen. Die Chefin hatte bei Complan die Projektleitung inne.

Einpacken und Schluss? Paul Fundels Expertise und die anderer sachkundiger Bürger werde kaum nachgefragt, sagt er enttäuscht.
Einpacken und Schluss? Paul Fundels Expertise und die anderer sachkundiger Bürger werde kaum nachgefragt, sagt er enttäuscht. | Bild: Cuko, Katy

Nun tagt auch wieder der Expertenrat. Gehört fühlt sich Paul Fundel als sachkundiger Bürger trotzdem nicht. Nicht mal einen gemeinsamen Rundgang habe es gegeben. „Sachfremd und unkundig über die Häfler Baugeschichte“, urteilt er über die Expertise der Berater.

Steckbriefe „voller Fehler“

Der Architekt zeigt die Vorab-Liste mit den Steckbriefen zu Gebäuden und Objekten, die es mal in die Kategorie „besonders erhaltenswert“ schaffen könnten. „Voller Fehler“, weist Paul Fundel auf seine Bleistift-Notizen hin. „Eine Siedlung Keplerstraße gibt es nicht“, nennt er ein Beispiel. Oder die „Gartenstadt Jettenhausen“, die korrekterweise Gartenvorstadt heißt, werde in die 1930er-Jahre eingeordnet, wurde aber erst nach dem Krieg in den 50ern gebaut. Das Seehotel – „Wer will das abreißen?“, so Fundel – werde nach Manzell verortet.

Das Projekt sei noch nicht abgeschlossen, nimmt das Rathaus zu diesem Vorwurf Stellung. Daher gebe es noch keine abschließende Liste. Vor Veröffentlichung würden alle Unterlagen auf Richtigkeit geprüft.

Das Seehotel beim Stadtbahnhof ist derzeit in der Liste der erhaltenswerten Gebäude, doch warum?
Das Seehotel beim Stadtbahnhof ist derzeit in der Liste der erhaltenswerten Gebäude, doch warum?

Laut Paul Fundel stünden außerdem eine Reihe von Gebäuden, die stadthistorisch erhaltenswert sein sollten, dafür nicht drin. Das KBG-Hochhaus an der Keplerstraße etwa. Das wurde nach dem Krieg für Häfler gebaut, die von den französischen Besatzern aus ihren Häusern gejagt wurden. Davon abgesehen gebe es eine Reihe von Bauten, die als erhaltenswert erfasst werden sollten, aber „von der Stadt bereits im Vorfeld aus der Liste genommen“ wurden. Zum Beispiel die Villa Eckener, die inzwischen abgerissen ist. Oder das ehemalige Zollgebäude beim Rathaus, für das die Stadt ‚bereits ein anderes Planverfahren begonnen hat„, schreibt die Pressestelle. Ziel: Abriss und Neubau.

Auf 30 Objekte geschrumpfte Liste

Für Paul Fundel ist die auf 30 Einzelobjekte geschrumpfte Liste erhaltenswerter Bauten nicht mehr das, was vorgesehen war. Er habe ein schlechtes Gefühl dabei, was am Ende des Tages eben nicht in der Liste stehen werde. „Gestaltungsbeirat, Rathaus und Gemeinderat sitzen das aus“, befürchtet er.

Am Mittwochabend lädt die Stadt zur ersten Bürgerwerkstatt in Sachen erhaltenswerter Bauten ins GZH ein. Eine Liste wird dort noch nicht präsentiert, so das Rathaus. „Worüber sollen die Leute dann reden?“, fragt Paul Fundel.