Für seine Arbeit seit Jahresbeginn gibt sich Andreas Brand die Schulnote Zwei Minus. „Wir haben die vielen Krisen gemanaged“, so der Oberbürgermeister. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER bezieht er zu elf Kritikpunkten Stellung – und ist oft „naturgemäß anderer Meinung“.
1. Friedrichshafen ist Profiteur der Energiekrise
Hintergrund: Das Stadtwerk am See hat die Preise für Strom stark angehoben. Die Stadt verdient über ihre Beteiligung am Versorger an höheren Preisen.
Andreas Brand: „Ich halte das für eine gewagte These. Richtig ist: Die Preise bilden sich am Markt.“ Auf den Einwurf, dass auch der Baden-Württembergische Verbraucherschutz die Preiserhöhung kritisiert hat, gibt Brand zurück: „Ich sage nicht, dass ich Preiserhöhungen nicht kritisiere. Wir wollen ja auch, dass unsere Kunden unsere Kunden bleiben – und wir auch neue Kunden gewinnen.“ Für alle Versorger sei die momentane Situation schwierig.“ Aber was würden Sie schreiben, wenn wir plötzlich einen Zuschuss der Gesellschafter bräuchten?“ Der Gewinn, der auch außerhalb der Energiesparte erwirtschaftet wird, bleibe teilweise im Unternehmen, teilweise würden zudem öffentliche Dienstleistungen mitfinanziert – wie etwa der Stadtverkehr.
2. Die Stadt verliert sich bei der Energiewende im Klein-Klein
Hintergrund: Investoren wollen an der Fassade des Edeka-Markt in Friedrichshafen eine Solaranlage anbringen. Bislang standen dem Vorhaben Regeln der Begrünungssatzung im Wege.
OB Brand: „Wir begrüßen, dass sich dort etwas entwickeln soll. Ins Obergeschoss des Gebäudes sollen Einzelhandelsgeschäfte einziehen, unten bleibt der Edeka.“ Brand verspricht: „In der Frage der PV-Anlagen werden wir zu einer Lösung kommen.“ Die Stadt verliere sich nicht im Klein-Klein. „Wir stecken im Vergleich zu früheren Jahren zusätzlich pro Häfler und Jahr 100 Euro in den Klimaschutz“, so Brand. Das Ziel sei klar: „Wir reduzieren CO2.“ Grundlage hierfür sei die Klimaschutz- und Klimaanpassungsstrategie – und die Begrünungssatzung sei ein Baustein, um das Ziel zu erreichen.
3. Die Verwaltung lässt sich beim Thema Nachhaltigkeit von Unternehmen fremdbestimmen

Hintergrund: Die MTU hat mit einem Parkplatz Flächen versiegelt – und wurde dafür von einem Klimaschützer kritisiert.
Von Unternehmen, die Einfluss auf die Stadtverwaltung nehmen, kann laut Andreas Brand nicht die Rede sein. „Das ist ein Generalverdacht, das halte ich nicht für sachgerecht.“ Fakt sei im konkreten Fall: Der Bauantrag für die Fläche wurde vor Inkrafttreten der Begrünungssatzung gestellt. Brand betont: „Gerade die MTU tut viel im Bereich Klimaschutz, etwa durch neue Technologien.“
4. Stadtverwaltungen und Landkreis begünstigen Mietwucher bei Geflüchteten
Hintergrund: In Tettnang wurde ein Fall bekannt, in dem eine ukrainische Geflüchtete 56 Euro pro Quadratmeter Miete bezahlte. Interventionen der öffentlichen Hand fanden nicht statt.
Für Friedrichshafen stellt Andreas Brand fest: „Ich habe aber einen äußerst positiven Eindruck von den Häfler Vermietern, diese stellen gut 40 Prozent Unterbringungen für Geflüchtete in der Stadt. In 60 Prozent der Fälle tritt die Verwaltung als Mieter auf oder bringt Geflüchtete in eigenen Gebäuden und Wohnungen unter. Und hier können wir solche Fälle definitiv ausschließen.“ Sollte die Stadt von zweifelhaften Einzelfällen erfahren, würde man der Sache nachgehen.
5. Friedrichshafen ist infrastrukturell abgehängt

Hintergrund: Vertreter aus der Industrie haben die schlechte Anbindung der Stadt kritisiert: Straße, Schiene, Flüge – an vielen Stellen herrscht laut ihnen Nachholbedarf.
„Bei Ihrer These könnte ich mitgehen, hätten wir das Jahr 1980“, kontert Andreas Brand. In den vergangenen Jahren habe sich viel getan: „Friedrichshafen profitiert von der B-31-Umfahrung – und die Umfahrung Überlingen wurde rechtzeitig zur Landesgartenschau fertiggestellt.“ Allerdings befinde sich das Nadelöhr in der Mitte – er bezieht sich auf den Staupunkt Hagnau – „leider noch im Nirvana der notwendigen Abstimmungen.“
Auch auf der Schiene sieht Brand Fortschritte: Die Elektrifizierung der Südbahn wurde umgesetzt, die Verbindung Wendlingen-Ulm wurde neu eingerichtet, Stuttgart 21 würde bald abgeschlossen. Dann sei Stuttgart per Zug schneller erreichbar als mit dem Auto. Für bessere Flugverbindungen schlägt Brand vor, dass Unternehmen Kontingente von Flugtickets kaufen. Auch vom Flughafen ist ein derartiger Vorschlag bereits gekommen. Für die Zukunft wünscht sich Brand, dass der Lückenschluss auf der B31 erfolgt – und dass die Planungen für die Bodenseegürtelbahn zwischen Friedrichshafen nach Radolfzell vorankommen. Hierfür fordert er: „Land, Bund und Bahn sollen sich ihrer Pflicht stellen – und nicht in die Taschen der Gemeinden greifen!“
6. Hohe Ausgaben für Prestige-Projekte – wie Messe und Flughafen – fressen das Geld für Kitas und Schulen auf
Hintergrund: Fehlende Kitaplätze waren ein großes Thema im vergangenen Jahr – auch Schulen müssen erneuert werden.
„Fakt ist, dass wir im Doppelhaushalt, was den Kindergartenbereich angeht, in zwei Jahren nun 76 Millionen ausgeben“, betont Andreas Brand. Für die Rettung des insolventen Flughafens hätte die Stadt deutlich weniger Euro investiert, er nennt den Betrag von 8 Millionen Euro. Er betont mit Blick auf Bildung, Betreuung, Kitas und Vereinssport: „Da sehen wir uns finanziell robust aufgestellt. Das Gegenrechnen mit anderen Investitionen könne man zwar machen. „Aber das dient nicht der Beurteilung einer Sache.“
7. Friedrichshafen plant Großprojekte – bringt sie aber nicht nicht zu Ende
Hintergrund: In der Vergangenheit wurde über mehrere große Vorhaben diskutiert, etwa die Umgestaltung des Uferparks, die Erweiterung Zeppelin Museum um ein Kunsthaus, oder auch den Neubau der Albert-Merglen-Schule.
„Das sehe ich naturgemäß anders“, so Andreas Brand. Nur die Merglen-Schule sei eine Pflichtaufgabe der Stadt. Zudem habe Corona zu einem Dividenden-Ausfall bei ZF für das Jahr 2021 geführt – hinzu kämen die aktuellen Krisen. Selbstkritisch gibt sich Brand beim Uferpark: „Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen.“ Die Pläne hätten nach und nach ein riesiges Ausmaß angenommen. „Irgendwann war die Komplexität zu groß.“ Nun wurde das Projekt auf kleinere Schritte geschrumpft: „Wir starten mit der Sanierung des Gondelhafens, dann soll es weitergehen mit Sitzstufen Richtung Freitreppe und dem Beach Club.“
8. Friedrichshafen wird auf lange Sicht sein Krankenhaus nicht halten können
Hintergrund: Über die Zukunft des Medizin Campus Bodensee wird immer wieder diskutiert. Die Stadtverwaltung wünscht sich einen Neubau des Krankenhauses.
„Medizinische Versorgung wird ihren Platz in Friedrichshafen haben“, betont Andreas Brand. Der Aufsichtsrat des MCB betone, dass ein Neubau sinnvoller sei als eine Renovierung. „Wir wollen hierzu nächstes Jahr Planungen vorlegen.“ Billig wird das nicht, konkrete Zahlen will der OB aber noch nicht nennen. Er ist überzeugt: „Wir können so ein Projekt stemmen, gerne auch mit Partnern.“ Wichtig seien vor allem die Patienten: „Sie müssen Angebote der Versorgung auch annehmen.‘‘ Das gelte auch für den zweiten Standort des MCB in Tettnang.
9. Die Stadt kann sich finanziell die Unterstützung eines Profi-Volleyballvereins nicht leisten

Hintergrund: Nachdem die ZF-Arena schließen musste, hat der VfB keine eigene Spielstätte mehr. Mittelfristig wurde ein Flughafen-Hangar als Übergangslösung ausgemacht. Langfristig stellt sich aber die Frage: Wohin mit dem Verein?
Brand betont mit Blick auf die Volleyball-Mannschaft: „Ich halte den Begriff „Verein“ an dieser Stelle für irreführend. Wir haben hier eine GmbH, darin sind Profis aktiv.“ Seines Wissens sei gerade mal ein Eigengewächs der jungen Spieler in der Mannschaft. Es müsse also die Frage beantwortet werden: „Ist es Aufgabe der Stadt, eine Spielstätte für eine Profimannschaft zu bauen?“ Von 2006 bis 2021 haben laut Brand die Stiftungsunternehmen gut 32 Millionen Euro für den VfB für Sponsoring und Werbung ausgegeben. Für die Spielstätte am Hangar wurden 1,8 Millionen Euro vom Gemeinderat bewilligt. „Die Förderung des Hangars ist mit der Forderung verbunden, zu prüfen, wie die zukünftige Strategie der Profi-Volleyballer aussieht .“ Diese Bewertung werde im Jahr 2024 oder 2025 stattfinden. Dann müsse der Rat entscheiden, wie Friedrichshafen zum Profi-Volleyball steht.
10. In Zukunft wird Friedrichshafen finanziell kleinere Brötchen backen müssen
Hintergrund: Große Unternehmen wie die ZF stecken inmitten einer Transformation in Richtung Nachhaltigkeit. Das kostet Geld – und führt zu geringeren Einnahmen für die Stadt.
„Wie sich die Dividenden und die Gewerbesteuer kurz- und mittelfristig entwickeln, ist Kaffeesatzleserei‘“, findet Andreas Brand. Er schätzt allerdings auch: „Bis 2025 werden wir sicher nicht mehr die Spitzenwerte wie vor Corona erreichen.“ Er versuche, zuversichtlich zu sein. „Aber auch das nächste Jahr wird spannend.“
11. Friedrichshafen ist „Friedhofshafen“

Hintergrund: Die Einschätzung hält sich hartnäckig: Für junge Leute sei die Stadt mangels kultureller Angebote uninteressant.
„Ich trete dem mit Entschiedenheit entgegen. Nicht gefühlt, sondern faktenbasiert“, so Brand. Er verweist auf neue Gastronomien, die entstanden sind: etwa das Secret Café, das neue Lukullum, das Arte de la Pizza oder auch Vilmas Bar. Die Fränkel-AG habe etwa im Sommer Konzerte in der Vorstadt veranstaltet. Und auch sonst sieht Brand FN breit aufgestellt: Durch das Kulturhaus Caserne, das Kulturufer, das internationale Stadtfest oder die geplante Open-Air-Konzerte am Graf-Zeppelin-Haus und im Fallenbrunnen. Andreas Brand: „Da läuft einiges.“