Die Vorwürfe wiegen schwer. Wegen Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung am Klinikum Friedrichshafen ermittelt die Staatsanwaltschaft Ravensburg seit März gegen einen Chefarzt und vier Assistenzärzte. Gegen die Ärzte bestehe der Anfangsverdacht einer Straftat, wie die Staatsanwaltschaft offiziell bestätigt, es gibt eine Ermittlungsgruppe. Die Kriminalpolizei soll aufarbeiten, ob die beschuldigten Ärzte durch Fehlverhalten oder Unvermögen mindestens dazu beigetragen haben, dass ihnen anvertraute Patienten zu Schaden kamen.

Genau darauf hatte eine Oberärztin im Herbst 2023 intern mehrfach hingewiesen. Im November nahm sie sich das Leben, nachdem ihre fristlose Kündigung im Raum stand.

Namen sind vielen bekannt

Im Klinikum und dessen Umfeld ist weitgehend bekannt, gegen welche Personen sich die Vorwürfe richten und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ihre Namen werden jedoch nie öffentlich erwähnt. In seinen Pressemitteilungen spricht das Klinikum von „fünf ehemaligen und aktiven Ärztinnen und Ärzten des Klinikums“, ergänzt um die Mitteilung, dass „der betroffene Chefarzt“ seine Tätigkeit während der Untersuchung ruhen lasse. Staatsanwaltschaft und Polizei nennen ebenso immer nur „fünf Ärztinnen und Ärzte des Medizin Campus Bodensee“, gegen die ein Ermittlungsverfahren laufe und macht keine näheren Angaben. Auch in den Medien tauchen keine Namen auf. Warum ist das so?

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Vorverurteilung vermeiden

Aus Sicht vieler Betroffener, vor allem ehemaliger Kolleginnen und Kollegen der Ärztin, scheint die Sache klar. Für sie ist die Schuldfrage geklärt. Dabei bestreiten die beschuldigten Ärzte die Vorwürfe. Was wäre also, wenn sich die Vorwürfe doch als falsch herausstellen? Im Rechtsstaat gilt daher ein Prinzip: Solange die Kriminalpolizei ermittelt, der Staatsanwalt nicht anklagt und ein Richter kein Urteil gesprochen hat, gelten alle Beschuldigten als unschuldig. In laufenden Verfahren herrscht folglich die Unschuldsvermutung.

Das heißt für Medien und ihre Berichterstattung: Die Mediziner dürfen namentlich nicht genannt werden, damit in der Öffentlichkeit keine Vorverurteilung erfolgt. Gerade während laufender Untersuchungen muss zwischen einem Verdacht und erwiesener Schuld deutlich unterschieden werden. Eine Namensnennung erweckt oft den Eindruck, die Anschuldigungen seien schon bestätigt. Um sich als Person davor zu schützen, lassen sich wie in diesem Fall Beschuldigte häufig von Rechtsanwälten auch in Medienangelegenheiten vertreten. Sie weisen darauf hin, dass nähere Angaben zur Person von Beschuldigten wiederum eine eigene Straftat darstellen könnten. Ausgenommen davon sind weitgehend Prominente und Personen des öffentlichen Lebens.

Compliance-Verfahren bald abgeschlossen

Parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft läuft ein sogenanntes Compliance-Verfahren am Klinikum. Durch die Compliance-Untersuchung, geleitet von einer spezialisierten Kanzlei, möchte der Aufsichtsrat des Klinikums feststellen, ob die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Mitte Juli wird der Abschlussbericht dieses Verfahrens erwartet. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wiederum werden noch weit länger dauern.