Für einen kurzen Moment wurde der Vorsitzende der großen Strafkammer laut. „Stopp, jetzt rede ich!“, ermahnte Veiko Böhm einen Zeugen, der ihm zuvor mehrfach bei der Befragung ins Wort gefallen war. Eine Vernehmung sei sicher nicht angenehm, aber „das ist hier keine Larifari-Veranstaltung“, betonte der Richter. Antworten des Zeugen, wie „er war halt besoffen“, zum Zustand des Angeklagten am Tatabend, waren Böhm zu flapsig, zu ungenau.
Verhandelt wurde am Landgericht Ravensburg erneut gegen einen 36-jährigen Mann. Er soll im Dezember vergangenen Jahres nach einer Weihnachtsfeier versucht haben, auf einen Taxifahrer einzustechen, muss sich unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten. Neben weiteren Zeugenaussagen von Kollegen und Polizisten wurden am dritten Prozesstag die Erkenntnisse der Gutachterin gehört.
Die Arbeitskollegen des 36-Jährigen beschrieben ihn durchweg als hilfsbereiten, freundlichen und zuverlässigen Kollegen. Zwei Zeugen sprachen aber auch von Verschwörungstheorien. „Die Erde sei eine Scheibe“, nannte ein Arbeitskollege ein Beispiel, wie sich das geäußert habe. Ein anderer Kollege berichtete: „Er hat mir mal gesagt, ich soll den Apfel nicht essen, weil ich sonst impotent werden würde.“
„Irgendwann war er einfach weg“
Bei der Weihnachtsfeier habe er durcheinander getrunken, erinnerten sich die Kollegen. Er schwankte, lallte beim Sprechen. Irgendwann sei er einfach verschwunden, auch telefonisch nicht erreichbar gewesen. Aus der Ferne hätten sie ihn gesehen und nach ihm gerufen, er habe aber nicht reagiert. „Wir dachten uns, er hat die Schnauze voll und nimmt sich ein Taxi.“ Die Nachricht von der Verhaftung kam zu Beginn der neuen Arbeitswoche bei der Belegschaft an. „Das Erstaunen war groß“, sagte ein 44-Jähriger aus. Gerechnet habe damit niemand, als aggressiv sei er nicht wahrgenommen worden.
Im Vorstrafenregister finden sich drei Einträge, unter anderem wegen einer fahrlässigen Gefährdung und Körperverletzung im Straßenverkehr. 2018 hatte er sich alkoholisiert ins Auto gesetzt, die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und einen Fußgänger erfasst. Anschließend fuhr er davon. Bei der Durchsuchung seines Zimmers wurde funktionsfähige Munition entdeckt, zudem Bilder und Videodateien mit kinderpornografischen Darstellungen. 2019 musste er sich vor dem Amtsgericht Tettnang verantworten.

Eine Polizistin zeigte anhand von Fotos, wie sich die Tat im Dezember 2024 zugetragen haben soll. Dafür hatten sie gemeinsam mit den Beamten, die in der Nacht im Einsatz waren, Schlüsselszenen nachgestellt und dokumentiert. Ein Motiv verdeutlichte dabei, wie nah der Angreifer vor einem der Beamten gestanden haben muss. Der hatte schon am zweiten Prozesstag gesagt: „Er hat mir direkt in die Augen geschaut.“ Auch der Geschädigte rekonstruierte zu Dokumentationszwecken vor Ort, was in der Nacht vorgefallen war.
Die Gutachterin beschrieb den Angeklagten während ihrer Gespräche als „recht auskunftsbereit“. Auf Widersprüche in seinen Ausführungen angesprochen, soll er mitunter vage geblieben sein. Kognitiv sei er nicht eingeschränkt. Festzustellen sei eine Cannabisabhängigkeit. Der Alkoholkonsum sei sicherlich im kritischen Bereich, eine Sucht könne sie allerdings nicht feststellen.

Auch Hinweise auf psychische Erkrankungen, Bewusstseinsstörungen oder eine Intelligenzminderung gebe es nicht. Zur Steuerungsfähigkeit in der Tatnacht führte sie aus: „Um herauszufinden, ob Erinnerungslücken echt oder nur vorgeschoben sind, gibt es keine Methode.“ Er sei leicht bis mittelgradig berauscht gewesen, habe aber ein situationangepasstes Verhalten gezeigt. „Er war in der Lage, die Situation wahrzunehmen.“ Aus forensisch-psychiatrischer Sicht gebe es keine Anzeichen auf eine verminderte Steuerungsfähigkeit.
Das Verfahren wird am 3. Juli fortgesetzt. Dann werden die Schlussplädoyers erwartet.