„Er kommt immer näher!“ Als im Gericht der Mitschnitt des Notrufs abgespielt wird, ist die Angst des Taxifahrers greifbar. Er hat einen 36 Jahre alten Mann in Friedrichshafen nach Hause gefahren. Doch der Fahrgast kann nicht bezahlen. Als der Taxifahrer ankündigt, er werde die Polizei rufen, zückt der Mann ein Messer und verfolgt ihn damit.
„Bitte, schnell“, ist die Stimme des Taxifahrers im Gerichtssaal zu hören. Schwer atmend versucht er, der Beamtin in der Leitstelle am Telefon zu schildern, was sich vor Ort gerade zuträgt. „Ich weiß nicht, was mit dem los ist.“ Die Polizistin versichert: „Die Kollegen sind gleich da!“ Als die Streifen eintreffen, läuft die Aufnahme weiter. Bruchstückhaft sind Stimmen zu hören. Offenbar wird gerade ein Gebäude umstellt. Dann plötzlich lautes Geschrei: „Hey, Polizei, auf den Boden.“
Sechs Monate nach dieser Dezembernacht hat das Strafverfahren gegen den 36-Jährigen begonnen. Er muss sich wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung vor Gericht verantworten. Zur Tatnacht gibt der Beschuldigte an, sich kaum an etwas erinnern zu können. Er habe Marihuana geraucht, sei zur Spätschicht und am Abend zur Weihnachtsfeier gegangen. Dort wurde gegessen und einiges getrunken.
„Dann endet meine Erinnerung.“ Er sei am Morgen in der Zelle aufgewacht und ein Beamter habe ihm mitgeteilt, dass er versucht haben soll, jemanden umzubringen. „Eigentlich hatte ich mich auf die Weihnachtsfeier gefreut, dass es so endet, darauf hat nichts hingedeutet“, meinte der Angeklagte am zweiten Prozesstag.
Zu seiner Biografie befragt, ist von frühem Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch die Rede. Ab der vierten Klasse habe er geraucht, sagte der Angeklagte, Alkoholkonsum mit 13, erste Drogenerfahrungen ab dem 14. Lebensjahr. Marihuana habe er irgendwann fast täglich geraucht, es zu Hause selbst angebaut, auch Amphetamine regelmäßig konsumiert.
Mehrfach war ihm der Führerschein entzogen worden, weil er betrunken am Steuer saß, einmal nach einem Unfall mit „heftigem Personenschaden“, wie der Vorsitzende Richter Veiko Böhm betonte. Bei der Bundeswehr hatte er sich für zehn Jahre verpflichtet, war 2018 vom Dienst suspendiert worden. Bis zur Untersuchungshaft hat er in einem Betrieb in der Region gearbeitet.
Der Taxifahrer sagte vor Gericht aus, der Angeklagte sei am Stadtbahnhof zu ihm an den Taxistand gekommen. Zunächst habe man sich unterhalten. „Er wirkte etwas nervös und war betrunken“, erinnerte sich der 28-Jährige. Er wollte zur Bank gebracht werden, dort sei er zum Automaten gegangen und wieder eingestiegen. „Bei ihm zu Hause angekommen, hat er gesagt, er habe kein Geld“, so der Taxifahrer. Er habe aber noch welches in der Wohnung, daher sollte der 28-jährige Taxifahrer mitkommen.
„Er wollte mit Gras bezahlen“
Er habe ihm Marihuana als Bezahlung angeboten, was er abgelehnt habe. „Ich habe ihm gesagt, dass ich die Polizei anrufen muss, wenn er nicht bezahlen kann“, erklärte der Taxifahrer weiter. Er sei nach draußen gegangen, um zu telefonieren. Der Angeklagte habe ihn getreten, sei schließlich mit gezücktem Messer auf ihn zugekommen.
„Dann bin ich gerannt, er war hinter mir“, so der Taxifahrer. Der 36-Jährige habe mit dem Messer in Richtung seines Kopfs gezielt. „Ich bin ausgewichen und dabei gestürzt, er hat gelacht und mich beleidigt. Er dachte wohl, er habe mich getroffen.“ Ob er Angst um sein Leben hatte, will der Vorsitzende wissen. „Ja“, sagte der 28-Jährige und fügte hinzu: „Wäre ich nicht ausgewichen, hätte er mich wohl getroffen.“
Der Angeklagte habe sich daraufhin etwas entfernt, war aber immer noch in der Nähe, habe auf einen Zigarettenautomaten eingeschlagen, dann sei er in Richtung seiner Wohnung verschwunden. Mehrere Polizeibeamte schilderten am zweiten Prozesstag den Einsatz.
„Wir haben die Meldung bekommen, dass jemand mit einem Messer bedroht wird“, sagte ein 27-jähriger Bundespolizist aus. Sie seien zu dem Gebäude gerannt und „schon im Laufen habe ich mein Pfefferspray in die Hand genommen“. Er habe ein Scheppern gehört, dann sei die Tür aufgeflogen und der Angeklagte sei mit einem Messer herausgekommen.
Angeklagter entschuldigt sich
„Er stand etwa einen Meter vor mir, kam mit dem Messer auf mich zu“, sagte der Polizist. Sein Kollege habe gerufen, dass er das Messer weglegen soll. „Und ich habe gepfeffert“, sagte er über den Einsatz des Pfeffersprays. Der 36-Jährige wollte wegrennen, sei aber von den Beamten überwältigt worden.
Der Angeklagte bedankte sich bei dem Beamten, dass er „nur das Pfefferspray eingesetzt hat und mir nichts Schlimmeres passiert ist“. Er entschuldigte sich ebenso wie gegenüber dem Taxifahrer mit den Worten: „Es tut mir leid, wie der Abend gelaufen ist.“
Der Prozess wird am 16. Juni fortgesetzt. Ein Urteil wird am 3. Juli erwartet.