Einen jungen Menschen zum Aufenthalt in einer Klink zu zwingen, die der Volksmund als „Geschlossene“ bezeichnet, das fiel der dritten Großen Strafkammer des Landgerichts in Konstanz nicht leicht. „Was machen wir mit Ihnen?“: Mehrfach richtete Richter Joachim Dospil im Lauf der siebenstündigen Verhandlung diese Frage an den Angeklagten.
Der 24-Jährige hatte im Juni vergangenen Jahres seinem ehemaligen Partner und dessen Familie in Überlingen auf eine Weise nachgestellt, die er im Laufe des Prozesses selbst als „verrückt“ bezeichnete. Der aktuelle Fall war nicht der erste, in dem er den Behörden als Stalker auffiel.
Blanke Zerstörungswut, Angst und hohe Schäden
Der Prozess behandelte eine Serie von Übergriffen, die nach dem Ende einer kurzen Beziehung mit dem Opfer begann. Angeklagt wurde der Täter wegen Nachstellung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch. Die Strafkammer sollte prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Psychiatrie vorliegen.
Das Opfer, heute 22 Jahre alt, und seine Familie wurden in ihrem Zuhause in Überlingen wiederholt Ziel von Einbrüchen und Sachbeschädigungen. Diese wurden in der Anklageschrift verlesen. Anfangs schlug der Angeklagte Scheiben ein und flüchtete. Nach und nach eskalierte die Zerstörung, die er hinterließ, immer mehr. Er verschaffte sich Zutritt zum Haus, zerstörte Fenster, Spiegel, Fernseher, das Cerankochfeld. Drinnen verspritzte er Rotwein und andere alkoholische Getränke, um, wie er sagte, das Haus zu „segnen“. Neben dem psychischen entstand Schaden in fünfstelliger Höhe, fasst die Staatsanwaltschaft die ihm vorgeworfenen Übergriffe zusammen.
Familie zieht aus Angst um
Die dreiköpfige Familie, das Opfer wohnt mit Mutter und Schwester zusammen, lebte in Angst. Zum Teil verbarrikadierten sie sich nachts zu dritt in einem Zimmer, aus Angst vor den Übergriffen. Später zog die Familie um. Die Sorge, der Exfreund des Opfers würde sie finden, blieb. „Das war Psychoterror“, sagte der 22-Jährige im Gericht. Er sei nach den angeklagten Vorfällen drei Wochen arbeitsunfähig gewesen. Besonders schwer habe es seine Schwester getroffen. Die Angst vor weiteren Übergriffen sei in der Familie bis heute präsent.
Während der Verhandlung wurden zahlreiche Videos gezeigt, Aufnahmen der Familienkamera und der Bodycams der Polizei. Die Szenen zeigten den Angeklagten mit einer selbstgebastelten weißen Stola, wie sie normalerweise Priester tragen. Er schlug Fenster ein, schritt durch das Haus, deklamierte auf Latein das „Ave Maria“. „Wer seine sieben Sinne beisammen hat, macht sowas nicht“, kommentierte der Richter im Landgericht die Videovorführung.
Göttliche Eingebung oder ein Befehl von Jesus?
Er sei aufgrund göttlicher Eingebung überzeugt gewesen, sein ehemaliger Partner sei in Gefahr, erklärte der Angeklagte im Sitzungssaal. Er habe helfen wollen, ihn zu beschützen. In einer Szene, während der Angeklagte im Erdgeschoss Scheiben zertrümmerte, rief das Opfer aus dem Obergeschoss: „Hör auf, so hilfst du mir nicht.“ Der Angeklagte sah sich stumm die Bilder seiner Taten im Gericht an. Vom Richter zu den Vorfällen befragt, sagte er: „Verrückt. Ich schäme mich.“
Mutter des Opfers: „Es ist seine Masche“
Die Mutter des Opfers sprach anschließend als Zeugin im Gericht von „reiner Schädigungsabsicht“. An göttliche Eingebung und Wahnvorstellungen glaube sie nicht: „Es ist seine Masche. Wenn er sagt, er will helfen, ist das in Wirklichkeit eine Bedrohung.“
Eine Polizeioberkommissarin aus Überlingen schilderte als Zeugin, wie sich die Fälle häuften, der Angeklagte auf keine Vorladung reagierte, sogar ihre Telefonnummer blockierte. Ein Kollege habe den 24-Jährigen „eine tickende Zeitbombe“ genannt.
Vom Escortservice zum Jurastudenten
Um die Zusammenhänge zu verstehen, wurde der Angeklagte nach seinem Werdegang befragt. Als Kind hatte der Angeklagte nach eigenen Angaben ADHS, nahm lange Ritalin. Er begann mehrere Studiengänge, ohne sie zu Ende zu bringen. Er berichtete von Alkoholeskapaden, die ihm drei Aufenthalte in der Intensivstation beschert haben. Dazu ein schwieriger Umgang mit Geld. 120.000 Euro Schulden habe er angehäuft, insbesondere durch Verluste bei riskanten Online-Börsengeschäften.
Das Geld war meist geliehen von vermögenden Gönnern. Seit drei Jahren erbringt der Angeklagte laut seiner Aussage vor Gericht in einem Escortservice sexuelle Dienstleistungen, daher die Bekanntschaften mit wohlhabenden, ihm zugetanen Männern. Vor Gericht gab er sich offen und reflektiert. Er kümmere sich um Therapie, nehme regelmäßig seine Medikamente. Mittlerweile hat er ein Jurastudium begonnen.
Die Psychiaterin sieht eine „erhebliche Gefährdung“
Die psychiatrische Sachverständige zeichnete das Bild eines Menschen, der in religiös getönte Wahnzustände verfällt, sobald Beziehungen enden. Sie konstatierte eine psychotische Störung, dissoziale und paranoide Persönlichkeitsanteile. Für die Zukunft sieht sie „eine erhebliche Gefährdung“, sobald wieder eine Beziehung ende. Ihrer Auffassung nach wäre eine ambulante Behandlung nicht erfolgversprechend.
Die Anwältin betonte die Therapiebereitschaft ihres Mandanten. Er habe die neue Behandlung von sich aus begonnen, nehme Medikamente, sei einsichtig. Die Trennung liege ein Jahr zurück, seitdem sei nichts passiert. Doch die Sorge vor einer erneuten Eskalation blieb im Raum. Der Staatsanwalt beantragte einen Unterbringungsbefehl: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das wieder geschieht.“
Urteil: Angeklagter wird untergebracht
Wie schwer dem Gericht die Entscheidung fiel, zeigte sich am späten Nachmittag. Das Urteil verzögerte sich. Als schließlich, noch vor dem Gericht, zwei Justizwachtmeister und zwei Sanitäter den Gerichtssaal betraten, war den Anwesenden klar, was kommen würde. Das Gericht ordnete die Unterbringung des Angeklagten in einer psychiatrischen Klinik an.
Während der Taten sei er schuldunfähig gewesen, so der Richter. Die Gefahr, dass bei einer erneuten Krise nicht nur Sachen, sondern Menschen zu Schaden kommen, sei zu groß. „Wir wollen Ihnen helfen. Seien Sie kooperativ, lassen Sie sich helfen, dann sind Sie schnell wieder raus“, sagte der Vorsitzende Richter. „Ich wünsche Ihnen alles Gute.“