Getrennt waren sie seit zwei Jahren, geschieden seit zwei Tagen. Hinter den beiden Eltern lag ein langer Sorgerechtsstreit um ihre Tochter. Die 45-jährige Mutter war angeklagt wegen versuchter gemeinschaftlicher, gefährliche Körperverletzung. Am Ende eines langen Prozesses vor dem Amtsgericht Überlingen stand fest: Zwei Jahren und sechs Monate Haft ohne Bewährung.

Was ist passiert?

Eines Morgens im Juli 2023 geschah nach Überzeugung des Gerichts Folgendes: An der Seite eines Komplizen, dunkel gekleidet, mit Sturmhaube vermummt, mit einem Elektroschocker und einer aufgezogenen Injektionsspritze bewaffnet, betrat die 45-Jährige die Wohnung ihres Ex-Mannes im westlichen Bodenseekreis. „Sie wollte mich umbringen“, erklärte der heute 57-Jährige später der Polizei-Vernehmung. Der Komplize konnte laut Anklageschrift unerkannt flüchten, weswegen er im weiteren Prozess keine Rolle mehr spielte.

Als die Staatsanwältin las, was der Mann zu Protokoll gegeben hatte, sagte sie in der Verhandlung: „Eine wilde Geschichte. Ob das so stimmt?“ Mittlerweile sehe sie ein Puzzle, das sich Teil für Teil zusammengefügt habe. Fast zwei Jahre vergingen, bis der Fall vor dem Amtsgericht Überlingen landete, schilderte die Staatsanwältin vor Gericht.

Zwei maskierte Personen und ein Elektroschocker

Der Mann schlief am Tatmorgen auf der Couch, als er eine Berührung am Hals spürte, sagte er vor Gericht aus. Vor ihm stand eine vermummte Gestalt, die sogleich aus der Wohnung flüchtete, als er aufwachte. Nachdem er die Tür von innen geschlossen hatte, hörte er Geräusche aus dem Bad. Dort traf er auf eine zweite maskierte Person. Die Hände in Gummihandschuhen, bedrohte diese Person ihn mit einem Elektroschocker.

Den blitzenden Lichtbogen des Stromschlaggeräts vor Augen, wich er erst zurück. Dann stürzte er sich auf den Eindringling. Mit der Faust schlug er dem Einbrecher ins Gesicht, mit dem Duschkopf auf die Hand, bis der Elektroschocker zu Boden fiel. Der Maskierte stürzte daraufhin in die Wanne, schilderte der Mann im Gerichtssaal. Der Bewohner riss dem Eindringling die Sturmhaube vom Kopf und erblickte – seine Ex-Frau.

Wollte er sie in eine Falle locken?

Die Angeklagte stellte ihren Ex-Mann vor Gericht als gewalttätigen Ehemann dar, der nach der Trennung zum Stalker geworden sei. Sie habe in jener Nacht lediglich mit ihm sprechen wollen, betonte sie im Prozess. Als er auf mehrfaches Klingeln nicht reagiert habe, sei sie dank eines von außen steckenden Schlüssels in die Wohnung gelangt.

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Drinnen habe ihr Ex-Mann sie geschlagen und beschimpft, sagte sie. Aus einer Schublade habe er den Elektroschocker gezogen und ihr in die Hand gedrückt, damit sie Fingerabdrücke hinterlässt. „Jetzt kriege ich dich wegen Mordversuchs dran“, habe er gesagt. Schließlich habe er sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Würgemale fand die Polizei am Hals der Ex-Frau allerdings nicht. Dass der Elektroschocker nachweislich ihrem neuen Lebensgefährten gehört, erklärte sie aber im Prozess, indem sie behauptete, ihr Ex-Mann habe das Gerät aus ihrer Wohnung entwendet. Alles sei vorbereitet gewesen, um sie in eine Falle laufen zu lassen.

Spritze stammt wohl von Ex-Arbeitgeber

Die Polizei fand noch am Morgen des Vorfalls in der Badewanne die Spritze. Darin, wie sich viel später herausstellte: ein Cocktail aus Phosphorsäure-Gel, WC-Reiniger und Pflanzenschutz-Gift. Die Ex-Gattin hatte kurz zuvor ihren Job bei einem Zahnarzt verloren. Dort soll sie unter anderem ein Gel mit Phosphorsäure-Anteil gestohlen haben. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung einige Wochen später wurden solche Spritzen gefunden, wie in der Wanne ihres Ex-Mannes zurückgeblieben war.

Richter weist auf Widersprüche hin

Für den Amtsrichter waren die Aussagen der Frau wenig glaubwürdig und widersprüchlich. „Sie haben uns hier eine wortgewaltige, aber von gravierenden Widersprüchen durchsetzte Lügengeschichte erzählt“, sagte Richter von Kennel. „Sie wollten ihm mindestens eine Abreibung verpassen – wenn nicht Schlimmeres.“ Für ein versuchtes Tötungsdelikt reichten die Beweise nicht aus, aber die kriminelle Energie sei erschütternd, so von Kennel.

Die leibliche Tochter der Frau und Ziehtochter des Mannes entlastete den Angeklagten. Sie ist heute 17 Jahre alt, lebte früher bei der Mutter. Inzwischen wohnt sie bei ihrem Ziehvater, der als Nebenkläger auftrat. Sie sagte aus, sie habe den Kontakt zu ihm lange geheim halten müssen, damit die Mutter „nicht durchdreht“. Sie habe beide Seiten gehört. „Was meine Mutter sagt, entspricht oft nicht der Wahrheit“, erklärte sie. Ihr Ziehvater sei ein gutmütiger Mensch.

Polizist bringt Licht ins Dunkel

Dass sich die Angelegenheit fast zwei Jahre später im Detail aufklären ließ, ist der Arbeit eines Polizeihauptkommissars zu verdanken. Der Fall war auf seinem Schreibtisch geblieben. Also dokumentierte der Polizeibeamte Widersprüche, sicherte Beweismittel, ließ den Inhalt der Spritze analysieren und befragte Zeugen und Beteiligte.

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Emotionale Szene und das Urteil

Nach den Plädoyers und bevor das Urteil verkündet wurde, kam es vor dem Amtsgericht zu einer innigen Szene: Tochter und Ziehvater lagen einander weinend in den Armen.

Das Urteil: versuchte gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, zwei Jahre und sechs Monate Haft; ein halbes Jahr mehr, als Staatsanwaltschaft und Nebenklage gefordert hatten. Eine Bewährungsstrafe hielt Richter Alexander von Kennel für ausgeschlossen.

Die Angeklagte könne darüber froh sein, sagte Richter Alexander von Kennel während der Urteilsverkündung, dass der Fall am Amtsgericht verhandelt wurde. Mit 2,5 Jahren sei sie „gut bedient“.