Markdorf Von der Altstadt für die Zukunft lernen: Leon Beck läuft zwischen herausgeputzten Fassaden und Fachwerkhäusern, der Blick geht auf die St.-Nikolaus-Kirche. Heute sind sie die Schmuckstücke der Stadt, locken die Touristen nach Markdorf. Dafür mussten die Häuser aber erst ein paar Jahrhunderte stehen, sagt Leon Beck, das vergesse man schnell. Doch in Bestandsgebäuden stecke Potenzial: für Stadtbild, Gesellschaft und Nachhaltigkeit. Für weniger Abrisse und mehr Bauen im Bestand: „HouseEurope!“ möchte Sanierungen günstiger und attraktiver gestalten.
Seit Februar sammelt die europäische Bürgerinitiative Unterschriften, sie fordert neue EU-Gesetze für Sanierungen. In Deutschland stehen die „Architects for Future“ an der Spitze der Initiative – und Leon Beck ist der Vorstand des Vereins: Der Markdorfer war bei dem Entwurf von „HouseEurope!“ beteiligt und wirbt nun um Unterstützung. „Deutschland ist gebaut – jetzt ist die Frage, wie wir es umbauen“, sagt Leon Beck. Der Markdorfer Architekt setzt sich seit Jahren für Umweltthemen ein, hat die Gruppe „Klimaplan Markdorf“ mitgegründet, ist bei den „Architects for Future“ als bundesweiter Vorstand aktiv. Eine Antwort auf den Klimawandel sieht er in Um- statt Neubau: Das sei nachhaltiger, energetischer und sozial verträglicher. Doch das aktuelle Tempo geht ihm zu langsam: 2024 lag die Sanierungsquote laut Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle bei knapp 0,7 Prozent. Der Verband misst damit, wie viel Prozent des Hausbestands pro Jahr energetisch saniert wurden. Tendenz sinkend, auch aufgrund der schlechten Konjunktur. Doch woran scheitert es? „Oft erscheint so ein Projekt teuer oder es ist wirklich zu teuer, da versuchen wir, anzusetzen“, sagt der Architekt.
Jetzt wollen sie es europäisch angehen: „HouseEurope!“ wird von Architekten, Verbänden und Umweltaktivisten getragen – aus den 27 EU-Mitgliedstaaten. „96 Prozent unserer Gesetzgebung wird durch die EU beeinflusst und meist sehr direkt“, sagt Beck. Seit Februar kann man unterschreiben, zuvor haben sie rund drei Jahre an dem Entwurf gearbeitet: Die „Architects for Future“ waren an dem Prozess früh beteiligt, erzählt Beck. Der Architekt ist Teil des zuständigen Projektteams, hat die Vorschläge inhaltlich kommentiert, über den Entwurf diskutiert. Nun engagiert sich der Markdorfer mit den „Architects for Future“ als „National Organizing Member“ (auf Deutsch „Nationales Organisationsmitglied“) der Initiative. Sie sollen für die Vernetzung und Aufmerksamkeit in Deutschland sorgen.
Ihre Ideen haben sie in drei „Säulen“ zusammengefasst – die erste davon fordert eine Steuerbefreiung: Bei einem Umbau soll künftig keine Mehrwertsteuer für Sanierung und Materialien anfallen. Außerdem wollen sie faire Bewertungskriterien: Denn entscheidet sich ein Bauherr bisher für eine Sanierung, verlangt die Bank oft höhere Zinsen als bei einem Neubau. „Dieser Unterschied ist angesichts von Lieferengpässen und Knappheit im Handwerk nicht mehr gerechtfertigt: Beim Neubau sehen wir inzwischen ähnliche Risikofaktoren“, erklärt Beck.
Die letzte Säule zielt auf die Ökobilanz von Bauprojekten: Aktuell beginnt die CO2-Rechnung erst ab dem Zeitpunkt, an dem das Grundstück leer steht. Der Abriss und die Entsorgung des alten Gebäudes bleiben außen vor – das solle sich ändern. „Denn da steckt schon sehr viel graue Energie und graue Emission drin“, sagt Beck. So könnte eine Sanierung den Neubau in der CO2-Bilanz deutlich schlagen, das hätte etwa Folgen für eine Förderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
„Wir stehen als Architektenkammer Baden-Württemberg der Initiative positiv gegenüber“, sagt Wolfgang Sanwald. Er sitzt im Vorstand der Kammer, beschäftigt sich dort mit Bauen im Bestand: Er unterstütze „HouseEurope!“, besonders die Forderung nach einer Öko-Bilanz, die die alte Bausubstanz einbezieht: „Das wäre ein entscheidender Impuls, um mehr Bestandsgebäude zu nutzen.“ Nur der Vorschlag nach einer Mehrwertsteuerbefreiung überzeugt ihn nicht ganz: „Das erscheint mir etwas plakativ, da gäbe es vielleicht andere Wege.“ So sieht Sanwald beispielsweise Potenzial für einfachere Regulierungen im Bau: „Die stehen oft einer kostengünstigen Lösung im Weg.“
Und was sagt die Lage in Markdorf? „Wir finden auch hier sehr viel unsanierten Bestand“, sagt Leon Beck. Dabei geht es nicht nur um prominente Beispiele in der Altstadt: So stünden in Markdorf-Süd viele Gebäude aus den 70ern und 80ern, die saniert werden sollten: Die Substanz wird schlechter, die Energiekosten steigen. „Da gibt die finanzielle Frage oft den Ausschlag: Bin ich bereit, auf einmal zu investieren?“, sagt Beck – dafür möchte die Initiative nun Anreize schaffen.
Beck: „Jede Stimme hilft“
Doch bis sich die EU-Kommission mit ihren Ideen befasst, braucht es noch einige Unterstützer: Bisher konnten sie rund 18.000 Unterschriften sammeln, es fehlt ein gutes Stück bis zur Million. „Wir haben noch was vor uns, jede Stimme hilft“, sagt Beck, und zeigt sich optimistisch.
Das lesen Sie zusätzlich online: Der Marktplatz soll aufgewertet werden. Gemeinderat von Konzept und Kosten noch nicht überzeugt. www.sk.de/12413323.