Mit der Bahn auf einer neuen Strecke von Sipplingen über Meersburg, Hagnau und Immenstaad, dies durch zwei Tunnel von insgesamt 22 Kilometern Länge – Zukunftsplanung aus dem Reich der Fantasie? Nicht für den Gemeinderat von Sipplingen, in dessen jüngster Zusammenkunft die Fachhochschule Nordwestschweiz eine entsprechende Studie zur Zukunft der Bodenseegürtelbahn vorstellte. Die Hochschule war mit der Idee der Studie auf die Gemeindeverwaltung zugekommen, Bürgermeister Oliver Gortat hatte diese daraufhin beauftragt.
Bürgermeister Oliver Gortat fasste zusammen: „Die Studie zeigt vorbildlich, wie wichtig es ist, dass die Verantwortlichen über den Tellerrand hinausblicken und auch Möglichkeiten vollkommen neu denken.“ Und weiter: „Insbesondere die Zufügung der Tunnel bringt wirtschaftliche und touristische Nutzen.“ Klaus Eisele von der Fachhochschule, der ebenso als technischer Berater fungierte wie Leonhard Widenhorn aus Sipplingen, sagte: „Eine Grundlage, um eine gute Diskussion zu entfachen.“
Gemeinde will Diskussion um Trasse neu entfachen
Die knapp 60 Kilometer lange Bodenseegürtelbahn ist aktuell weitgehend eingleisig und nicht elektrifiziert. Kapazitätsengpässe, niedrige Geschwindigkeiten, eine mögliche Verunstaltung der Landschaft fürs Auge durch die Elektrifizierung und verkehrstechnische Probleme veranlassten die Gemeinde Sipplingen, eine neue Trassenführung für die Bahn in Betracht zu ziehen.
Laut der Studie belaufen sich die jährlichen Kosten für die aktuelle Strecke mit Dieselbetrieb zwischen Ludwigshafen und Friedrichshafen über Salem auf 33 Millionen Euro. Die Kosten für Ausbau und Elektrifizierung der Strecke ohne neue Leittechnik und Lokomotiven werden auf grob 650 Millionen Euro beziffert. Eine neue Strecke mit Tunneln erfordere zwar mit rund 1,5 Milliarden Euro dreimal höhere Investitionen, „aber das Potenzial für den ökonomischen Rückfluss ist deutlich höher als beim Ausbau der alten Strecke“, wie es in der Zusammenfassung des Abschlussberichtes heißt.
Züge würden schneller und öfter fahren
Die neue Strecke ermögliche durch den zweigleisigen Ausbau, die Elektrifizierung und eine gerade Streckenführung höhere Geschwindigkeiten, einen engeren Takt sowie deutlich verkürzte Fahrzeiten. Die ökologischen Vorteile durch frei werdende Gleistrassen und unterirdische Strecken lägen auf der Hand; die Lösung der Verkehrsprobleme entlang des Bodensees werde dadurch wahrscheinlicher.
Investition soll sich nach 30 Jahren amortisiert haben
Die technischen Berater für die Studie empfahlen daher, den Neubau der Strecke in die politische Diskussion einzubringen und die anliegenden Gemeinden davon zu überzeugen. Mit der Tunnellösung kämen mehr Touristen, ließen sich durch zusätzliche Haltestellen mehr Tickets verkaufen, folge ein Bevölkerungswachstum sowie ein höheres Steueraufkommen. Dadurch amortisiere sich die Investition nach 30 Jahren, wie Widenhorn dem SÜDKURIER mitteilte. „Deshalb besser eine Tunnellösung für 1,5 Milliarden Euro, die sich nach 30 Jahren bezahlt macht, als eine reine Elektrifizierungslösung, die sich nie bezahlt macht.“
Gemeinderat Martin Kitt (DBS) machte deutlich, dass die Bodenseegürtelbahn ihrem Namen bislang nicht gerecht werde: Die Strecke verlaufe nicht wie ein Gürtel um den Bodensee, sondern zweige in Uhldingen-Mühlhofen ab und führe über Salem seefern Richtung Friedrichshafen. Gerade für touristisch stark geprägte Orte wie Meersburg, Hagnau oder Immenstaad brächte eine attraktive Bahnanbindung in Form einer Tunnellösung einen erheblichen Mehrwert. „Eine solche Verbindung würde nicht nur die Erreichbarkeit für Gäste deutlich verbessern, sondern auch helfen, den Autoverkehr rund um den See zu reduzieren, was wiederum der Umwelt und der Lebensqualität vor Ort zugutekommt“, sagte Kitt gegenüber dem SÜDKURIER. Der Gemeinderat regte in der Sitzung an, diese Gemeinden frühzeitig in den politischen Diskussionsprozess einzubinden und das Thema auch auf Kreisebene nochmals umfassend zu beleuchten.
Neuer Bodenseeradweg auf der alten Trasse
Auch Gemeinderat Clemens Beirer (CDU) griff Vorteile einer Tunnellösung für die Region auf, wohl wissend, dass eine Milliarde Euro Mehrkosten gegenüber der Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn nach aktuellem Stand in naher und mittlerer Zukunft nicht tragbar seien. „Politischer Wille vorausgesetzt, wäre dies natürlich möglich, mit all den Vorteilen, die eine Tunnellösung mit sich bringt“, teilte er auf Nachfrage mit. Bei der Umsetzung des Konzepts sieht Beirer die Möglichkeit für einen leistungsfähigen Radweg entlang des Bodensees auf der bisherigen Strecke der Bahn – und dadurch die Entschärfung von Gefahren- und Engstellen auf dem aktuellen Bodenseeradweg. Auch rechnet er mit einer Reduzierung des Autoverkehrs, weil der Nahverkehr von Pendlern und Gästen stärker genutzt werde.
Lärmbelastung durch Güterverkehr würde reduziert
Clemens Beirer wies zudem darauf hin, dass der Güterverkehr schneller den Bodenseebereich passieren könnte und dadurch die Lärmbelastung sinke. Schon jetzt verursache die Elektrifizierung der Gürtelbahn zwischen Friedrichshafen und Lindau mehr Lärm durch Güterverkehr. Güterzüge würden im Falle der Elektrifizierung auch in der Nacht fahren und brächten dann „einen erheblichen Verlust an Lebensqualität mit sich“. Bei einer Tunnellösung würde sich der Eingriff in Gebiete, die unter Natur- und Landschaftsschutz gestellt sind, auf ein Minimum reduzieren. „Diese Vision kann nur durch eine politische Entscheidung verwirklicht werden“, teilte Clemens Beirer mit.