Heute vor 80 Jahren, um 18.15 Uhr, ging in Überlingen ein von Anfang an sinnloser und verbrecherischer Krieg endlich zu Ende. Er hatte an den Fronten, aber auch im eigenen Land, viele Menschenleben gefordert.

Von der nationalsozialistischen Führung geplant und mit großer Zustimmung der Bevölkerung begleitet, begann die deutsche Wehrmacht 1939 Eroberungsfeldzüge in Europa und Nordafrika, die junge Menschen zu Opfern machten, die ihr Leben noch vor sich hatten.

Nach früheren Kriegen wurden Denkmäler für die Krieger errichtet. So stand das Denkmal für die Opfer des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 auf dem Landungsplatz, bis es die Nazis 1934 abrissen. Und das Mahnmal für die 143 Gefallenen des Ersten Weltkriegs befindet sich im Überlinger Münster.

Dieses Mahnmal stammt vom Überlinger Bildhauer Werner Gürtner (1907-1991), der tief geprägt aus dem Krieg zurückkehrte und dessen ...
Dieses Mahnmal stammt vom Überlinger Bildhauer Werner Gürtner (1907-1991), der tief geprägt aus dem Krieg zurückkehrte und dessen Bestreben danach war, dass nie wieder Derartiges geschehen möge. | Bild: Hilser, Stefan

Für die Opfer des Zweiten Weltkriegs wurde erst 1968 ein Mahnmal vor der Friedhofskapelle eingerichtet. Es zeigt den auferstandenen Christus, seine Wundmale weisend. Es stammt vom Überlinger Bildhauer Werner Gürtner (1907-1991), der tief geprägt aus dem Krieg zurückkehrte und dessen Bestreben danach war, dass nie wieder Derartiges geschehen möge. Weder die Motive der Krieger, noch ihre Zahl werden genannt. Über der Figur ist zu lesen: „ICH LEBE UND IHR SOLLT AUCH LEBEN“, und zu ihren Füßen: „1933 – 1945 / DEN OPFERN / SCHWERER JAHRE.“ Wen das Denkmal mit den Worten des auferstandenen Christus nach Johannes 14,19 trösten will, bleibt offen. Die Formulierung „Opfer“ begrenzt das Gedenken nicht wie frühere Kriegerdenkmale nur auf die Soldaten, sondern lässt an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft denken.

Dieses Münsterfenster, das beim Einmarsch der Franzosen beschädigt wurde, steht symbolisch für das Kriegsende in Überlingen.
Dieses Münsterfenster, das beim Einmarsch der Franzosen beschädigt wurde, steht symbolisch für das Kriegsende in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

Gefallene und Vermisste

Im Stadtarchiv Überlingen hat der damalige Stadtarchivar Dr. Alfons Semler eine Aufstellung gemacht, bei der aus Überlingen 258 Gefallene und 85 Vermisste zu verzeichnen waren. Während die ersten Gefallenen noch in der nationalsozialistischen „Bodensee-Rundschau“ „für Führer und Vaterland“ starben (Anzeigen 1939), heißt es im Frühjahr 1945 „Den Heldentod für Deutschlands Zukunft starb“ (letzte Ausgabe vom 21.4.1945).

KZ-Häftlinge

Die zweitgrößte Opfergruppe waren die KZ-Häftlinge aus Dachau, die 1944 nach Überlingen gebracht wurden, wo sie den Goldbacher Stollen bauen mussten. Sie waren in einem Barackenlager unterhalb von Aufkirch untergebracht. Von den rund 800 Häftlingen starben in der Zeit vom frühen Herbst 1944 bis Ende April 1945 immerhin 243, an Entkräftung, an Folgen der unhygienischen Unterbringung und Seuchen, bei Unfällen und Misshandlungen. Einige wurden auf dem Überlinger Friedhof bestattet, 71 Todesfälle wurden in Überlingen beurkundet und in Konstanz feuerbestattet, 97 wurden in einem Massengrab im Waldstück Degenhardt verscharrt, nach dem Krieg 1946 exhumiert und auf dem KZ-Friedhof Birnau bestattet, und die übrigen Opfer starben auf Transporten von Lager zu Lager.

Kriegsgefangene

Die Produktion in der Landwirtschaft und in Unternehmungen konnte während des Krieges nur mit Hilfe von Kriegsgefangenen aufrechterhalten werden. Wie einer Aufstellung des Landratsamtes zu entnehmen ist, starben in Überlingen 23 Kriegsgefangene, alle im Jahr 1945, nach ihren Nationalitäten waren das 7 Polen, 6 Franzosen, 4 Belgier, 3 Italiener, 2 Russen und 1 Kroate.

Tote nach Luftangriff

Beim Luftangriff am 22. Februar 1945, der den Bahnanlagen im Westen galt, wurden 20 Menschen getötet.

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Seelisch Kranke ermordet

1940 fand die so genannte „T4-Aktion“ statt (nach der Zentrale der Aktion in der Tiergartenstraße 4 in Berlin), das war die systematische Ermordung der geistig und seelisch kranken Menschen aus den psychiatrischen Anstalten. Die Ermordung der Opfer aus unserer Region fand in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb statt. Unter ihnen waren mindestens 7 Personen aus Überlingen. Im Moment erforscht eine Arbeitsgruppe im Kreisarchiv aus den Krankenberichten die Schicksale dieser Menschen, die bisher vergessen oder verdrängt wurden.

Die Opfer des Holocaust

Von den wenigen jüdischen Menschen, die anfangs der dreißiger Jahre in Überlingen lebten, sind 4 Personen gestorben. Der frühere Landrat des Amtsbezirks Überlingen, Hermann Levinger, und seine Tochter, die Schaupielerin und Schriftstellerin Barbara Levinger, nahmen sich im Dezember 1944 das Leben, als sie nach Auschwitz deportiert werden sollten, das Ehepaar Sigfried und Rosl Kluger zog von Überlingen nach Bad Cannstadt und Essen, wurde von dort deportiert und 1942/43 in Minsk ermordet. Andere Überlinger Juden konnten sich ins Exil retten, die Familie Levi über England in die USA, auch die Töchter der Familie Kluger konnten nach England gerettet werden, Werner Haberland überlebte in der Schweiz. Drei Juden überlebten in Überlingen dank der Solidarität ihrer Verwandten, Nachbarn und Freunde, der Schuhmacher Josef Banschik, die Arztgattin Elli Haas und Rahel Lahusen, die Frau der Komponisten Christian Lahusen.

Homosexuell und deshalb ermordet

Nicht vergessen werden darf der Pfleger im Überlinger Spital Franz Klauser, der homosexuell war, dafür verurteilt wurde und nach Abbüßen der Haftstrafe in ein KZ in Norddeutschland kam, wo er am 6.11.1944 ermordet wurde.

Das letzte Opfer

Schließlich sind die vor 80 Jahren beim Einmarsch der französischen Armee ums Leben gekommenen 3 Personen zu nennen, der Schüler Dieter Rübsamen, der Zeitungsausträger Josef Widenhorn und der Polizist Josef Hini.

Wenn man alle Opfer zusammenzählt, sind das 644 Menschen, bei einer Bevölkerungszahl von Überlingen im Jahr 1939 von 6512 sind das fast 10 Prozent.

Was dieser Verlust für die Nachkriegszeit bedeutete, darüber ist schon viel nachgedacht worden: Es fehlte ein großer Teil der Generation, die aufbaut, arbeitet, Familien gründet und Kinder aufzieht. Es dauerte lange, bis man sich unbefangen davon erzählen konnte, sowohl die Täter als auch die Opfer hatten Gründe zu vergessen und zu verdrängen. Die Aufbauarbeit und der stetig zunehmende Wohlstand trösteten über die Verluste hinweg und wendeten den Blick in die Zukunft. Zum Glück kamen viele Neuankömmlinge, Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Umsiedler, Gastarbeiter, schließlich Flüchtlinge, die Deutschland mit aufbauten und es zu einem vielgestaltigen, toleranten, friedlichen und wohlhabenden Land machten. Was für ein Glück – und heute Anlass zurückzublicken auf eine mörderische Zeit.

Dieser Artikel erschien erstmals am 25. April 2020.