Überlingen – Rahaf nimmt sich Kreide, zögert kurz und malt dann auf der rechten Seite der Tafel sorgfältig einen Kringel auf die Linie. Ihre Lehrerin Fatema Alali lobt sie für die Ausführung. Der Kringel ist ein arabischer Buchstabe. Seit Oktober besucht die Elfjährige einmal in der Woche einen privat organisierten Arabisch-Unterricht.

Rahaf kam vor drei Jahren mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland und lernt morgens in der Grundschule alle Fächer auf Deutsch. Wie viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien konnte sie in ihrer Heimat nur kurz zur Schule gehen und danach auf der langen Flucht lediglich sporadisch. In der Familie spricht sie arabisch, was sie aber weder richtig lesen noch schreiben kann.
Kein Angebot im Land
"Leider gibt es in Baden-Württemberg keinen herkunftssprachlichen Unterricht, wie in anderen Bundesländern", bedauert Roland Hipper. Er hat die Initiative ergriffen und das Angebot organisiert. Auslöser war eine Begegnung in der Stadt. Dort traf er das Kind einer von ihm betreuten Familie, das eigentlich beim Sport sein sollte. Die Mutter hatte den Termin auch in den Familienkalender eingetragen – auf Arabisch. Das konnte der Sohn aber nicht lesen und wusste nichts von einem Termin.

"Wenn diese Kinder nach Syrien kommen, weil die Familien zurück wollen oder müssen, sind sie Analphabeten!", betont Roland Hipper. Er machte sich auf die Suche nach Lehrmitteln, fragte bei der Wiestorschule an, ob man nachmittags einen Raum nutzen dürfe und fand Fatema Alali und Medieda Mustafa, die in Syrien als Lehrerinnen gearbeitet haben. "Mir war wichtig, dass es zwei Lehrkräfte sind", erläutert Roland Hipper. "Die 23 Kinder haben unterschiedliche Vorkenntnisse. So können sie mehr auf einzelne Kinder eingehen." Außerdem wäre so die Kontinuität gewährleistet, wenn mal eine ausfällt.

Bis im Oktober die erste Unterrichtsstunde stattfinden konnte, gab es für den engagierten Rentner viel zu tun. Da alle Lehrmittel im Klassensatz zu teuer waren, entwickelte er selber ein Heft mit den arabischen Buchstaben sowie passenden Wörtern und Bildern. Als Beispiel diente ihm ein Mitbringsel seiner Tochter aus Tunesien. Die Kopierkosten waren wesentlich günstiger als fertige Hefte. Dann warb er bei der Wiestorschule und der Franz-Sales-Wocheler Schule, wo viele Flüchtlingskinder angemeldet sind, sowie bei der Stadt Überlingen, die ihn mit einem Zuschuss förderte, für die Idee. Mit einem zweisprachigen Flyer lud er dann zu einem Infoabend ein.
Gebühr stärkt Motivation zur verbindlichen Teilnahme
Den Eltern erläuterte Roland Hipper das Vorhaben und dass für jedes Kind ein Beitrag von 50 Euro für ein Schuljahr fällig wird. "Das Geld ist wichtig für die Finanzierung der Lehrmittel, außerdem sollen die Lehrerinnen wenigstens eine Aufwandsentschädigung bekommen", sagt er. Dazu sorge der Beitrag für eine gewisse Verbindlichkeit. Noch sind nicht alle Kosten gedeckt, aber ein Antrag für Projektförderung beim Bodenseekreis ist bereits gestellt. Dazu freut er sich über die Unterstützung der Schulen.
Gute Muttersprache = bessere Kompetenz für Fremdsprachen
Als Roland Hipper anfangs von seiner Idee erzählte, hörte er manchmal die Replik: "Die sollen Deutsch lernen!" Das tun sie vielleicht sogar noch besser, wenn sie ihre Muttersprache gut beherrschen. Auf den Seiten des Deutschen Schulportals, das unter anderem von der Robert Bosch Stiftung unterstützt wird, steht dazu: "Studien belegen, dass die Pflege der Herkunftssprache nicht nur die Sprachkompetenz festigt, sondern auch den Erwerb der deutschen Sprache positiv beeinflusst – Hintergrund ist die Erkenntnis, dass Sprachen lernen desto leichter fällt, je mehr Sprachen jemand spricht."

Für Rahaf und ihre Klassenkameraden ist das kein Thema. Ihr macht der Arabisch-Unterricht einmal in der Woche Spaß und sie genießt es, dieselbe Sprache wie die Lehrerin zu sprechen. Nur dass sie an der Tafel von rechts nach links schreiben muss, ist eine Umstellung.
Herkunftssprachlicher Unterricht
Der muttersprachliche Zusatzunterricht basiert in Deutschland auf der "EU-Wanderarbeiter-Richtlinie" von 1977. In zehn Bundesländern wird an ausgewählten Schulen herkunftssprachlicher Unterricht angeboten, darunter auch Arabisch. Das hat eine Umfrage des Spiegel-Magazins unter den Kultusministerien der Länder ergeben. Nur in sechs Bundesländern gibt es demnach keinen staatlich finanzierten und organisierten herkunftssprachlichen Unterricht. Dazu zählen auch Baden-Württemberg und Bayern, die es den Konsulaten überlassen, Inhalte zu stellen und Lehrer im Herkunftsland zu rekrutieren. Diese Vorgehensweise wird vermehrt kritisch gesehen, da für den Türkischunterricht beispielsweise die Lehrer oft von der Türkei entsandte Staatsbeamte sind. https://deutsches-schulportal.de