Überlingen – Die Besinnung auf regionale Besonderheiten und kulturelle Angebote steht weit oben auf der Agenda der Città-Slow-Initiative, die das seit 2004 bestehende Label Überlingens mit mehr Leben erfüllen will. Beitragen sollen dazu Erkundungstouren zu Überlinger Besonderheiten unterschiedlicher Art. Auftakt dazu war eine Führung mit Thomas Vogler unter dem Titel "Von Stadt, Gärten und Bäumen", an der rund 60 Teilnehmer Interesse zeigten. Die Organisatoren wiesen darauf hin, dass nicht immer so viele Interessenten teilnehmen können. Daher sei für die nächsten Veranstaltungen zu den Themen Nudeln, Kaffee und Filzen eine Anmeldung erforderlich.
Thomas Vogler startet in der Eiszeit
Thomas Vogler, mehr als 30 Jahre lang Chef des Grünflächenamts und Hüter der Stadtgärten, nahm seine Zuhörer mit auf eine Reise durch Zeit und Raum. Er begann bei der Eiszeit, die der Landschaft hier den letzten Schliff gegeben habe. Selbst Heiligenberg und der Obere Linzgau seien von einem mächtigen Eispanzer überdeckt gewesen, dessen Abschmelzen nicht nur den Bodensee selbst, sondern auch die zahlreichen schluchtartigen Tobel geschaffen habe.
An den Molassefelsen wuchs der Überlinger Wein
Aber auch in zeitgeschichtlichen Dimensionen habe das Gelände dramatische Veränderungen erfahren. So war der Eingang zum Grundgraben in früheren Zeiten noch von einem Wäldchen bestanden, später wuchs an den Terrassen der Molassefelsen der Überlinger Wein. Nach Abschluss der Hangbefestigung wolle das Grünflächenamt diese Erinnerung durch eine beispielhafte Bepflanzung mit einigen Rebzeilen beleben. Die mittelalterliche Stadt sei "keine grüne Stadt, sondern eine Steinstadt" gewesen, erklärte Thomas Vogler.
Mit dem Tourismus kam das Grün in die Stadt
Dass Überlingen ergrünte, habe es in erster Linie dem wachsenden Tourismus Ende des 19. Jahrhunderts zu verdanken gehabt, als auch die "Lastschiffe immer mehr zu Lustschiffen" wurden. Wanderwege und Aussichtspunkte wurden angelegt, die nach Literaten wie Scheffel oder Uhland benannt wurden, die gerne an den Bodensee kamen. Klug und vorausschauend sei es gewesen, dass die Stadt private Grundstücke in Seenähe auf- und nicht mehr verkaufte.
Tunnelbau für Bahn ersparte der Stadt die Zweiteilung
Ebenso der Tunnelbau für die Eisenbahn, der Überlingen eine Zweiteilung weitgehend ersparte. "Diese Grundstückspolitik war eine großartige Sache", erklärte Vogler und zählte dazu auch den Erwerb des Graf-Geländes, was die Schaffung des neuen Uferparks ermöglichte.
Vogler zeigt Besonderheiten im Stadtgarten

An einigen Beispielen außergewöhnlicher Bäume zeigte Vogler die besonderere Qualität des Stadtgartens auf. "Viele sind Weltenbummler mit Migrationshintergrund", sagte der Experte. Wie direkt am Quellturm die einzige Sumpfzypresse als Exemplar einer Art, die ursprünglich in Nordamerika beheimatet war. Schon im Tertiär vor rund 50 Millionen Jahren bildete sie in Europa dichte Wälder, die später zu Braunkohle mutierten. Zugereist ist auch der mächtige Riesenmammutbaum knapp außerhalb des Stadtgartens an der Bahnhofstraße oder die Riesenlebensbäume und Scheinzypressen am Eingang der Anlage.
Zu den "lebenden Fossilien", die als Relikte früherer botanischer Evolutionsstufen unverändert erhalten geblieben sind, gehören unter anderem der Urweltmammutbaum, der seine Nadeln mit den Trieben wie ein Blatt abwirft.
Ginkgo als ältester Baum überhaupt

Oder der Ginkgo, der erst Anfang des 18. Jahrhunderts in China entdeckt und nach Europa gebracht wurde. Entwicklungsgeschichtlich ist er der älteste Baum überhaupt, er wurde schon von Goethe gewürdigt, ein Exemplar überlebte sogar die Atombombe in Hiroshima. Der Ginkgo gilt nicht nur deshalb als Kraftspender und Wunderheiler.
"Ziele von Città Slow passen perfekt zu Überlingen"
Es war eine Idee des früheren Kulturbürgermeister Ulrich Lutz gewesen, mit Überlingen der vor 15 Jahren noch recht jungen Bewegung beizutreten, die unter dem Italo-Anglizismus "Città Slow" firmierte und sich aus der Slowfood-Philosophie ableitete. Der Gemeinderat hatte ihm im April 2003 den Rücken gestärkt. Doch über ein Jahr musste die Stadt warten, bis als dritte Kommune nach Hersbruck in Franken und Waldkirch im Schwarzwald in den kleinen Kreis aufgenommen wurde. Der Bauernmarkt mit seinen regionalen Produkte, die geschichtsträchtige Identität und eine nachhaltige Entwicklung sollten das Markenzeichen sein. Doch so richtig mit Leben erfüllte sich das Label trotz mehrerer Anläufe kaum. Bis heute sind es lediglich knapp 20 Städte in Deutschland, die dem Netzwerk angehören, weltweit allerdings mehr als 200.
Der symbolhaften Schnecke einen kleinen Turbo verleihen wollte schon im vergangenen Jahr eine Initiative engagierter Bürger um Norbert Meier, Mathilde Balser und Sibylla Kleffner mit einer Info-Veranstaltung im Ratssaal. Sie haben sich als Motoren angeschickt, die Città-Slow-Stadt Überlingen mit einer Entdeckungstour in Form einer Veranstaltungsreihe sichtbar zu machen. Umso erfreuter waren sie, dass die Führung mit Thomas Vogler auf so große Resonanz stieß. Mit dem Programm knüpft die Initiative an die Ziele des Städte-Netzwerks an: Schonung der natürlichen Ressourcen, regionalverträgliche Konzepte, Stadtgeschichte als Entwicklungspotential, qualitätsorientierte Gastronomie, Wahrung von regionalen Besonderheiten, Erhalt kultureller Einrichtungen, Förderung der Direktvermarktung, Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Das alles passe perfekt zu Überlingen, denkt die Initiative und will sichtbar machen, wie lebenswert die Stadt im Sinne von Città Slow ist. Die nächste Veranstaltung ist am 27. September im Nudelladen von SKID.
Die Initiative im Internet:
http://www.citta-slow.dewww.cittaslow.net