Den geplanten Volksbank-Neubau im Stil eines Campus sieht der neugewählte Überlinger Stadtrat von LBU/Die Grünen, Herbert Dreiseitl, nicht als Stolperstein, sondern will ihn als Baustein zur Stadtentwicklung verstehen.
Der Planer für lebenswerte Städte sieht in der städtebaulichen Entwicklung der gesamten Lippertsreuter Straße „die Therapie, um das Einkaufszentrum La Piazza wieder an unsere Stadt anzubinden“. Die Fassadengestaltung des Volksank-Gebäudes des Architekturbüros Vollac hält Dreiseitl, der sich seit 1980 mit Architektur befasst, allerdings für „kurzlebig und aufmacherisch“. Die wuchtig und schwer wirkenden Rahmen in Anlehnung an Tore seien in spätestens fünf Jahren wieder aus der Mode. „Es gibt doch da oben gar keine Tore oder Türme, so wie es auch keine neue Mitte gibt.“ Bei der Lippertsreuterstraße handele es sich um eine maßgebliche Einfallstraße nach Überlingen. Die Optik und Präsentation der Straße sei deshalb enorm wichtig, so das Mitglied des Bauausschusses.
Das Einkaufszentrum La Piazza im Überlinger Gewerbegebiet bezeichnet Dreiseitl als „Unfall und eine offene Wunde für die Stadt Überlingen„. „Das ist doch eine typisch amerikanische Shopping-Mall auf der grünen Wiese, die hängt jetzt da oben wie ein Trabant und zieht immer mehr Aufmerksamkeit auf sich, was Verkehr und Kaufkraft betrifft. Hier hat die Stadtverwaltung ihre Hausaufgaben jahrelang nicht gemacht, ein Leitbild für die gesamte Achse, vom Einkaufszentrum La Piazza bis zur Zimmerwiese, zu entwerfen. Ich bin ehrlich entsetzt, dass die Stadt für die Lippertsreuter Straße gar kein Leitbild hat, da müssen wir dringend umdenken.“ Diese Straße sei Achse und Rückgrat zwischen Kernstadt und grüner Wiese. Hier liege enormes Entwicklungspotential. Man könnte sogar den unter der Espach-Brücke verlaufenden Bach freilegen und damit völlig neue Ansichten schaffen, erklärt der Experte für Städteplanung.
Überlingen wird zum Altersheim und Museum
Dreiseitl möchte, wie er betont, jedoch nicht als „Unkenrufer“ gegenüber dem baulichen Vorhaben der Volksbank oder der Stadtverwaltung verstanden werden. Er möchte vielmehr mit dem Neubau der Volksbank einen Startschuss für eine zukunftsgewandte und mutige Stadtentwicklung setzen. Dreiseitl spricht von der großen Gefahr, dass sich die Überlinger Kernstadt zu einem Museum und einem Altersheim fortbewegt. „Wir haben als Gemeinderat die Verantwortung, alle mitzunehmen, das heißt aber in die Zukunft gewandt auch, an die Jugend zu denken. Ich meine Start-Ups (Junge Unternehmen), die in die Stadt wollen, ganz ohne Autos aufgestellt sind, und eine Café und Kulturszene möchten.“ Die alte Volksbank an der Hofstatt könnte laut dem Gründer eines Labors für lebenswerte Stadtentwicklung so genutzt werden.
Gesamtrahmen im städtebaulichen Kontext schaffen
Auf keinen Fall möchte der Stadtrat der Grünen den „Buhmann jetzt der Volksbank zuschieben“, denn die Gebäudeplanung sei funktional, ökologisch sinnvoll und durch den Campus-Gedanken modern und offen. Dem gemeinsamen Prozess zwischen Volksbank und Stadt, sich hier auf den Weg zu machen, sei auch seitens des Gemeinderats zugestimmt worden. „Wir wollten erst einmal den Gesamtrahmen im städtebaulichen Kontext und den Spielraum für Bewegung schaffen“, argumentiert Dreiseitl diese Entscheidung. Er sitzt für seine Fraktion im Bauausschuss. Allerdings hält Dreiseitl eine frühe Festlegung auf einen Architekten grundlegend für falsch und diese sei auch im Rat abgelehnt worden. Man habe die Empfehlungen und die Kritik des mobilen Gestaltungsbeirats der Architektenkammer durch den Freiburger Architekten Volker Rosenstiel vernommen, bei der Gestaltung intensiver nachzudenken, und vor allem eine Kooperation zwischen Gestaltungsbeirat und Bauherrn herbeizuführen.
Städtebauliche Entwicklung muss professionell sein
Zur Aussage seines Fraktionskollegen Walter Sorms, der in einem SÜDKURIER-Interview am 10. September eine Einmischung des Überlinger OBs Zeitler auf die Gestaltung der Fassade unterstellt hatte, sagt Dreiseitl: „Städtebauliche Entwicklung muss professionell sein und ich gehe davon aus, dass hier ein Bürgermeister keinen Einfluss ausüben sollte und auch nicht wollte“. Die Stadtverwaltung hatte in einer Stellungnahme der Aussage Sorms widersprochen. Eine Festlegung oder Vorgabe des äußeren Erscheinungsbildes durch Zeitler habe es nicht gegeben. Die Volksbank nahm zu den Aussagen von Sorms und der Stadtverwaltung keine Stellung.
Empfehlung des Rates
Der Gemeinderat hat den städtebaulichen Vertrag mit der Volksbank über das geplante Zentralgebäudes in der Lippertsreuter Straße beschlossen. Bei der Vorberatung im Ausschuss hatte er allerdings mehrere Empfehlungen formuliert. Dazu zählen die Veränderung der Zufahrt zur Tiefgarage, eine Berücksichtigung der Umgebung und eine weniger massive Fassade. Im Juli 2016 hatte die Volksbank den Kaufvertrag für die Grundstücke unterzeichnet. Im Juli 2018 befürwortete der Gemeinderat die Aufstellung eines Bebauungsplans und brachte die Vorbereitung eines Vertrags auf den Weg.
Lippertsreuter Straße soll Sanierungsgebiet werden
Dass der Bereich um die Lippertsreuter Straße mit seinen ganz unterschiedlichen Nutzungen als zentrale Zufahrt zur Innenstadt dringend einer konzeptionellen Überplanung bedarf, hatten mehrere Stadtplaner in den letzten Jahren mit Nachdruck betont. In dem 2016 beschlossenen Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) ist das Gebiet mit einem vordringlichen Handlungsbedarf belegt worden. Jetzt beschloss der Gemeinderat, für einen großflächigen Bereich vom Burgbergring bis zur Schlachthausstraße eine Aufnahme in das Städtebauförderprogramm 2020 des Landes zu beantragen. Zuvor nahm das Gremium vom ersten Teil der vorbereitenden Untersuchungen mit der Abgrenzung des Untersuchungsebietes durch das Karlsruher Büro Schöffler Kenntnis. Eine Festlegung des förmlichen Sanierungsgebiets erfolgt gegebenenfalls später.
Nicht erst Oberbürgermeister Jan Zeitler bewertete den Status Quo jetzt als „städtebaulichen Missstand“. Da es keine rechtsgültige Bauleitplanung gibt, sind in jüngerer Zeit punktuell schon erste markante neue Projekte ohne ein zu Grunde liegendes Gesamtkonzept realisiert worden. Wie zum Beispiel das Ärztehaus an der Ecke zur Hägerstraße oder die Wohnbebauung des Investors Löffler als selbst ernannte „Neue Mitte“. Daneben liegen nicht nur im Bereich der Einkaufsmärkte zahlreiche Flächen, die aus heutiger Sicht nur unzureichend genutzt sind. Dererlei Bestandsflächen zu mobilisieren wurde im ISEK als Ziel genannt. .
Die schon im ISEK explizit formulierten Missstände sind aus Sicht der Verwaltung Berechtigung genug, um hier ein Sanierungsgebiet im Sinne des Städetbauförderprogramms auszuweisen. Die Verwaltung wurde beauftragt, eine Büro mit der Antragsstellung zu beauftragen, die Frist zur Einreichung ist der 31. Oktober 2019. (hpw)