„Wir haben einen Not...“ – diese Worte funkt ein 74-jähriger Schweizer Pilot am 8. August 2017 Uhr auf Englisch an die Firma Swiss Radar. Wenige Sekunden später kracht er mit seiner einmotorigen Malibu Piper Mirage zwischen Litzelstetten und der Insel Mainau in den Bodensee. Mit an Bord: Seine 75-jährige Partnerin, die ebenfalls stirbt. Der SÜDKURIER berichtete damals aktuell.

Die beiden Schweizer sind auf dem Weg von Zürich nach Hamburg, als es zum Unglück kommt. Gegen 12 Uhr gibt es Probleme, die Maschine verschwindet vom Radar der Flugsicherung. Nach dem dramatischen letzten Funkspruch bricht der Kontakt ab. Doch was ist an jenem Augusttag genau passiert?

Augenzeuge beschreibt den Absturz

Roland Ballier, selbst Pilot und Notarzt, erlebt das Unglück als Augenzeuge mit. Er beschreibt 2017 seine Eindrücke so: Die Maschine kommt in großer Höhe – auf etwa 5100 Metern – plötzlich ins Trudeln. Dann stürzt sie senkrecht auf die Oberfläche des Sees, die hart wie Beton ist. Ballier hört einen lauten Knall, sieht eine Fontäne aufsteigen. Das Flugzeug wird auf ein Drittel seiner Länge zusammengedrückt. Ballier weiß: Hier ist gerade ein schreckliches Unglück passiert. Rettungskräfte machen sich sofort auf den Weg.

Wenige Minuten später ist auf dem Weg von der Seeblickhalle hinunter zu dem kleinen Steg am Litzelstetter Ufer vor allem eines zu sehen: Blaulicht. Denn unzählige Fahrzeuge von Feuerwehr und Polizei, Rettungswagen und DLRG-Autos stehen an der Zufahrt zu dem Ort, der zum Schauplatz trauriger Szenen werden wird.

Einsatzkräfte bergen am 8. August 2017 ein Rad des Flugzeug-Fahrwerks.
Einsatzkräfte bergen am 8. August 2017 ein Rad des Flugzeug-Fahrwerks. | Bild: Rau, Jörg-Peter | SK-Archiv

Was die Einsatzkräfte, ob ehren- oder hauptamtlich, nach dem Alarm von 11.53 Uhr erwartet, wissen sie zunächst selbst nicht. Eine Wasserrettung heißt es zunächst, vielleicht eine Notlandung mit Überlebenden. Die DLRG bringt Boot um Boot zu der kleinen Slipanlage, Taucher machen ihre Neoprenanzüge und Pressluftflaschen fertig. Doch die kleine Piper Malibu ist bei ihrem Eintreffen bereits untergegangen.

Doch als die Helfer am späten Nachmittag das Litzelstetter Ufer wieder verlassen, gehen sie mit der Traurigen Gewissheit, dass sie die Flugzeuginsassen nicht mehr retten konnten. Sie finden nur Trümmer- und Leichenteile. Die Obduktion der beiden geborgenen Körper ergibt später, dass die beiden Insassen direkt beim Aufprall starben.

Geborgene Flugzeugteile der Malibu Piper Mirage.
Geborgene Flugzeugteile der Malibu Piper Mirage. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Da das Wrack in über 50 Metern Wassertiefe unerreichbar für die Taucher liegt, können sie dort nichts ausrichten. Als schlechtes Wetter aufzieht, muss die Bergung verschoben werden. Eine Woche später sucht die Polizei den Grund mit einem Sonargerät weiter gründlich ab. Die Ermittler wollen für die Aufklärung des Unfalls ein bestimmtes Teil des Flugzeughecks ausfindig machen, das wohl vor dem Aufprall bereits abbrach.

Bereits am Unglückstag mutmaßen Feuerwehrleute vor Ort, dass die Piper möglicherweise schon in der Luft schwer beschädigt wurde. Auch dass das Flugzeug nach einem flotten Start in Zürich immer langsamer wurde, wirft Fragen auf. Doch erst einmal bleibt das alles nicht mehr als Spekulation.

Wrackteile des verunglückten Flugzeugs auf einer Fähre.
Wrackteile des verunglückten Flugzeugs auf einer Fähre. | Bild: Achim Mende

Was war die Absturzursache?

Erst im Dezember 2020 wird der offizielle Unfallbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung veröffentlicht. Der Untersuchungsbericht zeigt die zeitliche Abfolge detailliert bis auf die Sekunde genau auf. So erfolgt laut Funkaufzeichnung am 8. August 2017 um 11.21 Uhr die Freigabe, um 11.34 Uhr der Start der Maschine. Bis 11.50 Uhr und 59 Sekunden gibt es keine Auffälligkeiten im Flugverlauf. Die Maschine befindet sich auf Kurs, in einer Höhe von über 5000 Metern, mit einer Geschwindigkeit zwischen 289 und 298 Kilometern pro Stunde.

Nur eine Minute und 26 Sekunden später hat das Flugzeug schon mehr als 1000 Meter an Höhe verloren. Der Fluglotse funkt den Piloten an, dieser antwortet drei Sekunden später: „We have an emerg...“ (deutsch: „Wir haben einen Not...“). In der Funkaufzeichnung sei die Stimme des Piloten als laut und hoch wahrgenommen worden, was laut Untersuchungsbericht für eine Notlage spricht, die nicht mehr zu beherrschen war. Weitere Funksprüche an den Piloten bleiben unbeantwortet.

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Zeugen beobachten das Flugzeug, das sich um die Längsachse drehend senkrecht nach unten stürzt. Etwa vier Sekunden lang ist es unter der Wolkendecke zu sehen. Während dieses Sturzflugs verliert die Maschine zuerst die linke, dann die rechte Tragfläche. Dann folgt der Aufprall auf dem Wasser.

Das sagt ein Experte zum Untersuchungsbericht

Der SÜDKURIER hat erneut mit Roland Ballier über das Unglück von 2017 gesprochen. Was weiß der Experte? Drei Mal hat der Pilot vor Flugbeginn Wetterdaten abgerufen: zweimal am Vortag und wenige Stunden vor Flugbeginn. Laut Unfallbericht sei für den größten Teil der Flugstrecke mit signifikanten Wettererscheinungen und einzelnen, in die Wolken eingelagerten Gewittern zu rechnen gewesen. Außerdem hätten die Vorhersagen Beeinträchtigungen durch Vereisung und Turbulenz prognostiziert.

Notarzt und Pilot Roland Ballier geht davon aus, dass es durch Wetterturbulenzen zum Unglück kam: „Beim Durchflug ist der Pilot von ...
Notarzt und Pilot Roland Ballier geht davon aus, dass es durch Wetterturbulenzen zum Unglück kam: „Beim Durchflug ist der Pilot von Plusgraden in Minusgrade geraten.“ | Bild: Nikolaj Schutzbach | SK-Archiv

Das Flugzeug war vom Start an konstant aufgestiegen und geriet schnell in eine Schauerlinie. „Beim Durchflug ist der Pilot von Plusgraden in Minusgrade geraten“, so Ballier. Er betrachtet es als eindeutig, dass es zur Vereisung gekommen ist und dadurch die Fluggeschwindigkeit gesunken sei. Dass der Pilot wegen Turbulenzen selbst die Geschwindigkeit verringert hat, sei dagegen unwahrscheinlich.

Unterschätzte der Pilot die Wetterbedingungen?

„Man kann nicht von einem unerfahrenen Piloten sprechen“, sagt Ballier. Gewitterwolken und die auftretenden Turbulenzen seien aber niemals zu unterschätzen. Möglicherweise habe der 74-Jährige diesen Fehler am 8. August 2017 gemacht. Auch im Unfallbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung steht, es sei davon auszugehen, dass der Pilot keine oder nur wenig Erfahrung mit den gegebenen Wetterbedingungen hatte.

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Mit hoher Wahrscheinlichkeit, so die Schlussfolgerung des Unfallberichts, war die Wahl des Flugweges und der Flughöhe, die durch ein Gebiet mit starken Turbulenzen und Vereisung führten, die Ursache für den Kontrollverlust und anschließenden Absturz. Besonders tragisch: Mit dem Absturz in den Bodensee wiederholte sich ein trauriges Schicksal in der Familie. Bereits der Cousin des 74-Jährigen war 1995 mit demselben Flugzeug-Typ tödlich verunglückt.

  • Anmerkung der Redaktion: Dieses Stück beinhaltet Passagen aus Archivtexten des SÜDKURIER.