Er kann es nicht lassen: Silvan Paganini fährt kurz nach Sonnenaufgang auf den Bodensee hinaus, um das Wrack eines versunkenen Motorboots zu finden. Er sei schon wieder seit fünf Uhr mit Vorbereitungen für die heutige Mission beschäftigt, sagt er und steuert sein mit Ausrüstung beladenes Motorboot aus dem Hafen hinaus.

Die Gischt spritzt ihm ins Gesicht, während er auf dem Navigationsgerät die Koordinaten ansteuert, wo er ein Schiffswrack vermutet. Die Mitglieder des Schiffsbergevereins hätten vor einiger Zeit zu recherchieren begonnen und nun hofft er auf einen spannenden Fund. Die Fahrt wird über eine Stunde dauern.

Silvan Paganini sei aktuell Freelancer für diverse Projekte und es laufe super, sagt er: „Ich könnte viel mehr arbeiten, aber auch Freizeit muss sein.“ Dass er dann für den Schiffsbergeverein auf den See hinausfährt und neue Wracks sucht, ist für ihn Abwechslung. Der Rest der Arbeit finde größtenteils im Büro statt.

Der Bodensee sei voller Überraschungen, sagt Silvan Paganini.
Der Bodensee sei voller Überraschungen, sagt Silvan Paganini. | Bild: Raphael Rohner

Die Lady Jay ist eine vierstöckige Stahljacht mit einer Länge von über zwölf Metern. Das zehn Tonnen schwere Schiff kenterte am 20. Juni 2011 um 11.15 Uhr in einem Sturm und sank. Nur knapp entgingen die Passagiere und der Skipper einer Katastrophe. Ein Segelboot kam den elf Passagieren damals zu Hilfe und rettete die Schiffbrüchigen.

„Die Ursache und Hintergründe des Unglücks sind bis heute ungeklärt“, sagt Silvan Paganini, der auch als Untersuchungsbeauftragter bei der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) Schiffsunglücke untersucht. Darum ist er gespannt darauf, das Wrack zu finden und dem Schiffbruch auf den Grund zu gehen.

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Tauchroboter wird ins Wasser gelassen

Mitten im See hält Paganini das Boot an und sagt: „Hier unten müsste es sein, wenn alles stimmt.“ Über mehrere Wochen haben Mitglieder des Schiffsbergevereins alte Dokumente und Sonardaten ausgewertet, um den Standort des Bootes dann mit den Tauchrobotern, die für die Dampfschiffbergung gebaut wurden, zu lokalisieren.

„Wir hatten zehn Objekte in der Umgebung und haben uns dann mithilfe des Ausschlussverfahrens auf fünf beschränkt, drei davon haben wir bereits abgetaucht, also müsste es bei den letzten zwei Koordinaten liegen.“ Paganini bereitet den Unterwasserroboter vor. Dieser trägt einige Kampfspuren von der Bergung des Dampfschiffes Säntis: Tiefe Kratzer und abgeplatzte Farbe.

Mit viel Hightech hat der Schiffsbergeverein um den Romanshorner Silvan Paganini ein weiteres Wrack auf dem Grund des Bodensees ...
Mit viel Hightech hat der Schiffsbergeverein um den Romanshorner Silvan Paganini ein weiteres Wrack auf dem Grund des Bodensees ausfindig gemacht. „Der Bodensee birgt noch viele große Geheimnisse, die wir erforschen werden“, sagt Paganini. | Bild: Raphael Rohner

Paganini sagt: „Der Roboter zeigt, wie wir uns fühlen, etwas angekratzt, aber es läuft weiter!“ Denn: Die aus finanziellen Gründen gescheiterte Dampfschiffbergung sei nicht einfach für immer vom Tisch: „Die Vereinsmitglieder haben an der Hauptversammlung entschieden, trotz des fehlenden Geldes weiterzumachen. Halt langsam und beständig. Step by step.“

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„Jackpot! Wir haben ein Wrack!“

Der Tauchroboter liefert während des Absinkens erste Bilder. Nicht etwa die Kamera, sondern die Side-Scan-Sonare. „Diese können unter Wasser Objekte ausmachen und diese Bilder dann live an die Oberfläche übertragen. Solche modernen Mittel hat sonst fast niemand“, schwärmt Paganini.

Der Roboter taucht tiefer und tiefer und dann plötzlich erscheinen die Umrisse eines Schiffes auf den Bildschirmen: „Jackpot! Wir haben ein Wrack! Doch was für eins ist das?“ – Paganini steuert den Roboter gekonnt um das Schiff herum. Das Schiff steht im Seeboden auf rund 170 Metern Tiefe. Schließlich hält er an und liest die Schiffsnummer vor: „Friedrichshafen 33233 – Gefunden!“

Die Kennung am Schiffswrack ist eindeutig: Es ist die „Lady Jay“.
Die Kennung am Schiffswrack ist eindeutig: Es ist die „Lady Jay“. | Bild: Schiffsbergeverein

Mit der Tauchdrohne schwimmt Paganini erst um das Boot herum und macht Aufnahmen von außen. Er prüft alle Fenster und den Zustand des Schiffs. Lediglich bei einer offen stehenden Schiebetür wird er stutzig: „Schwierig zu sagen, ob diese Tür zum Zeitpunkt des Unglücks offen stand oder zu war. Da müssen wir jetzt halt reintauchen und nachsehen.“

Die Drohne schwebt in das Wrack hinein. Im Innern ist alles zerstört: Möbel liegen übereinander und Quaggamuscheln haben überall angesetzt. Dennoch erkennt man auf den Bildern etwa die Uhr des Schiffes. Paganini erklärt: „Die Zeiger müssten den Zeitpunkt des Unglücks, also 11.15 Uhr anzeigen.“ Doch stehen die Zeiger der Uhr auf 10.44 Uhr.

Mithilfe von Fotos sucht Paganini den Schiffsrumpf ab.
Mithilfe von Fotos sucht Paganini den Schiffsrumpf ab. | Bild: Raphael Rohner

Wrack bleibt auf dem Grund des Sees

Bei der Tür könnten die Auswertungen der Videodaten zusätzliche Hinweise geben über den Zustand, also ob die Türe offen war oder nicht. Paganini hofft auch, dass er eins der Crew-Handys findet, doch mehr als einige alte Stühle des Schiffes auf dem Grund des Sees entdeckt er nicht. Nach dem Unglück der „Lady Jay“ wurde der internationale Seenotruf 112 sowie am Funk der Notfallkanal 16 länderübergreifend als Standard am Bodensee eingeführt.

Bergen will Paganini die „Lady Jay“ nicht. „Wir sind noch mit der Säntis beschäftigt und das wird unsere Energie brauchen, da am Ball zu bleiben.“ Die kommenden Tage wird Paganini mit Vereinsmitgliedern wieder am Dampfschiffswrack beschäftigt sein.

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Raphael Rohner arbeitet für die „Thurgauer Zeitung“, unserer Partnerzeitung, in der dieser Artikel zuerst erschienen ist.